Ein Koloss für punktgenaue Bestrahlung
In Heidelberg entsteht weltweit die erste Anlage zur punktgenauen Bestrahlung von Krebspatienten mit schweren Ionen. Vor kurzem wurde das 600 Tonnen schwere Strahlführungs-System (Gantry) installiert.
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Eine Bestrahlungsanlage gigantischen Ausmaßes hat kürzlich ihr gewichtigstes Herzstück erhalten: Per Schwertransport traf die 600 Tonnen schwere Ionen-Gantry am Heidelberger Ionenstrahl-Therapie-Zentrum (HIT) des Universitätsklinikums ein. Das tonnenschwere drehbare Strahlführungs-System, die Gantry, erlaubt es, Krebspatienten aus jeder Einfallsrichtung punktgenau zu bestrahlen. Und: Die Gantry ermöglicht erstmals die Bestrahlung mit verschiedenen Ionen, nämlich Protonen sowie schweren Kohlenstoff-Ionen.
Mit der weltweit ersten Anlage dieser Art soll nun geklärt werden, welche Tumoren auf welche geladenen Teilchen am besten ansprechen. Darauf wies der Ärztliche Direktor der Radiologischen Uniklinik Heidelberg, Professor Jürgen Debus, hin.
Weit über zehn Jahre hat die Entwicklungsarbeit gedauert, die jetzt mit der Einrichtung der Anlage gekrönt wurde. Aus seiner langjährigen Erfahrung mit dem Einsatz von Schwerionen weiß Debus, dass chirurgisch und strahlentherapeutisch schwer erreichbare Tumoren, etwa der Schädelbasis, sehr gut auf diese Therapie ansprechen. Die Heilungsrate bei bislang mehr als 200 Patienten mit solchen Tumoren betrug 80 bis 90 Prozent, ohne dass bislang gravierende Nebenwirkungen aufgetreten seien, freute sich Debus. Er hat die ersten Patienten am Darmstädter Institut für Schwerionenforschung (GSI) bereits seit 1997 behandelt. Obwohl die Anlage am GSI nur für Forschungszwecke bestimmt ist, konnte der Heidelberger Radiologe dort über Jahre seine Patienten behandeln.
Kollegen in Japan und den USA haben mit dieser Bestrahlungsart Erfolge auch bei fortgeschrittenen Prostata-Karzinomen. Zu dieser Indikation ist in Heidelberg bereits eine Studie angelaufen. Aufgenommen wurden Patienten mit einem PSA größer 10 und fortgeschrittenen Tumoren (Gleason Score größer 6). Die Patienten werden bis zur Fertigstellung der Heidelberger Anlage derzeit noch in Darmstadt bestrahlt.
Was zeichnet die schweren Teilchen im Vergleich zu konventionellen Röntgenstrahlen aus? Schwere Kohlenstoff-Ionen haben den Vorteil, dass sie ihr Dosismaximum mit zunehmender Eindringtiefe erreichen und im Zielgebiet, also im Tumorgewebe, ihre höchste Strahlenmenge abgeben. Die schweren Ionen benötigen eine enorm hohe Energie, um die erforderliche Eindringtiefe zu erreichen. So werden sie über eine Beschleuniger-Anlage auf drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, ehe sie durch Vakuumröhren geleitet in den Behandlungsraum und auf das Tumorgewebe treffen. Das verbraucht die Energie einer Kleinstadt.
Ist ein Patient gelagert und seine Position mit Röntgenaufnahmen nochmals überprüft, treffen die Strahlen den Tumor punktgenau - durch millimetergenaue Steuerung mit einer Abweichung von höchstens einem Zehntelmillimeter.
Ein weiterer Vorteil ist, dass die biologische Wirksamkeit der schweren Kohlenstoff-Ionen höher ist als die der herkömmlichen Strahlen. "Wir konfrontieren die Tumorzellen mit energiereichen Teilchen, für die sie während der Evolution noch keine Reparaturmechanismen entwickeln konnten", so Debus. Anders als bei Röntgenstrahlen entwickeln die Tumorzellen weniger Resistenzen. Der biologische Effekt ist damit höher: Das Erbgut wird irreversibel geschädigt. Mit den schweren Teilchen kann man auch Tumorzellen in den Tod schicken, die wenig oder keinen Sauerstoff enthalten und sich kaum teilen, etwa beim Prostata-Ca.
Da die Ionenstrahlen punktgenau treffen und das umliegende Gewebe verschont bleibt, lässt sich die Dosisverteilung besser an komplexe Tumorvolumina anpassen, und Tumoren, die wie Hirntumoren sehr nah an strahlensensiblem Gewebe liegen, können exakt bestrahlt werden.
Bei welchen Tumoren mit welcher Tumorbiologie bieten Protonen und schwere Ionen Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Strahlen? Das ist die Frage, die die Universität mit der 100 Millionen Euro teuren Anlage in einer eigenen Betreibergesellchaft beantworten will. Debus: "Unser Ziel ist es, die teuere und aufwändige Therapieform der Bestrahlung mit Protonen und Schwerionen nur den Patienten zukommen zu lassen, die davon auch wirklich profitieren."
Schon Ende 2007 werden die ersten Patienten bestrahlt
Zum Jahresende werden bereits Patienten mit inoperablen Schädelbasis- und Hirntumoren, Weichteilsarkomen sowie mit Prostata-Ca im Heidelberger Strahlenzentrum bestrahlt werden können, ebenso Kinder mit bestimmten Tumoren, etwa Sarkomen. Bei diesen Tumoren liegen weltweit bereits Erfolg versprechende Daten vor.
Debus kündigte an, in Heidelberg auch die Ansprechbarkeit der biologisch aggressiven Pankreas- und Lungentumoren mit dieser neuen Therapie zu überprüfen. Eine Option könnten die schweren Teilchen auch für bereits strahlenbehandelte Krebspatienten sein, die ein Rezidiv bekommen haben.
1000 bis 1300 Patienten sollen pro Jahr in Heidelberg im Strahlenzentrum behandelt werden. 19 500 Euro wird die Behandlung pro Patient kosten. Verträge mit den Angestellten-Krankenkassen für die Übernahme der Therapiekosten stünden kurz vor dem Abschluss, kündigte die Kaufmännische Direktorin des Uniklinikums, Irmtraut Gürkan, an.
STICHWORT
Ionen-Gantry
Die Heidelberger Ionen-Gantry ist 25 Meter lang, 13 Meter breit und hat ein Gewicht von mehr als 600 Tonnen. Mit der Schwerionen-Gantry kann das Strahlführungs-System um die Körperlängsachse des Patienten rotieren und somit den Tumor aus verschiedenen Richtungen exakt bestrahlen. Etwa 420 Tonnen werden bei der rotierenden Führung des Ionenstrahls bewegt. Das Heidelberger Ionenstrahl-Therapie-Zentrum HIT hat auf 5000 Quadratmetern drei Therapieplätze. Dazu gehören zwei Horizontalplätze, bei der die Austrittsöffnung des Ionenstrahls nicht beweglich ist. (bd)