Pro und Contra zu CRISPR-Cas9
Eine Jahrhundert-Chance oder anmaßendes Gottspielen?
Darf der Mensch alles, was er kann? Wieder einmal stellt sich diese Frage, seit in den USA erfolgreich Embryonen-DNA verändert wurde.
Veröffentlicht:Vor Kurzem hat die Arbeitsgruppe um Professor Shoukhrat Mitalipov von der Oregon University in Portland – wie berichtet – Forschungsergebnisse präsentiert, die bei in Deutschland nicht erlaubten Versuchen mit menschlichen Embryonen gewonnen worden sind. Die Publikation im Wissenschaftsjournal "Nature" hat weltweit Schlagzeilen gemacht.
Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die auf einem bakteriellen System zur Viren-Abwehr beruhende und inzwischen von Forschern tausendfach genutzte CRISPR-Cas9-Technik präzise und sicher angewendet werden kann, um in der DNA von Embryonen pathogenetisch bedeutsame Mutationen zu korrigieren. Ethisch ist die Technik durchaus umstritten.
Pro
Fundamentale Lösung für schwere Leiden
Von Thomas Müller
Krankheiten wie Krebs und Alzheimer genießen weder Bestandsschutz, noch sind sie schützenswerte Kulturgüter. Wenn wir solche Leiden in naher Zukunft mit einem risikoarmen Keimbahneingriff loswerden können, sollten wir das auch tun.
Wer würde nicht gerne ein kleines Stück DNA umschreiben lassen, um anschließend ohne Krebs und Alzheimer alt zu werden? Sofern der Eingriff ohne Gefahr möglich ist, hätten wohl die meisten Menschen nichts gegen ein solches Angebot.
Spätestens wenn die ersten braungebrannten Hundertjährigen fröhlich am Strand entlangjoggen, dürfte es kaum noch jemanden geben, der dagegen moralische Bedenken ins Feld führt. Warum auch? Schließlich manipuliert der Mensch schon seit Jahrtausenden durch Züchtung die Gene von Pflanzen und Tieren, weshalb sollte er da vor sich selbst haltmachen, sobald er genetische Eingriffe präzise steuern kann?
Bislang war jedoch genau das nicht möglich, auch wusste bis vor kurzem niemand, an welchen genetischen Stellschrauben zu drehen ist, um etwa gesünder und älter zu werden. Beides hat sich in den vergangenen Jahren drastisch geändert.
Wir wissen immer besser, wo wir ansetzen müssen, und seit diesem Sommer auch wie. Das Versprechen eines langen und gesunden Lebens ist längst nicht mehr Science Fiction.
Leben ohne Alzheimer bereits möglich
Auf dem Weg zum "Wie" hat der Zellbiologe Dr. Shoukhrat Mitalipov eine wichtige Hürde genommen: Ihm ist es erstmals gelungen, mit der noch jungen CRISPR-Cas-Methode einen Gendefekt in befruchteten Eizellen zu korrigieren.
Aus 42 von 58 Eizellen wuchsen gesunde Embryonen ohne erblich bedingte Kardiomyopathie heran – diese Embryonen wurde natürlich nicht implantiert. Der Forscher konnte aber eines zeigen: Das als "Genschere" bekannte Werkzeug funktioniert auch in menschlichen Eizellen überraschend gut.
Wir könnten unsere Nachkommen nun sehr gezielt und fast in jeder beliebigen Weise genetisch verändern. Natürlich fehlt noch der Beweis, dass die Methode sicher ist und nicht zu unerwünschten Veränderungen an anderen Stellen in der DNA führt.
Doch auch hier dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis dieser Nachweis im Tierversuch gelingt. Bis dahin – und darüber besteht ein einhelliger Konsens – sollte es verboten sein, genveränderte menschliche Embryonen auszutragen.
Gen-Editing macht nicht immer Sinn
Doch wo würde das Gen-Editing überhaupt Sinn machen? Mitalipov hat einen Genfehler korrigiert, dazu ist jedoch kein Gen-Editing nötig. Ein Gendefekt wird nur an die Hälfte der Nachkommen weitergegeben.
Embryonen ohne den Defekt lassen sich per Präimplantationsdiagnostik erkennen und anschließend implantieren, dieses Verfahren ist längst etabliert. Das Argument, Gen-Editing wäre hilfreich, um Erbkrankheiten zu verhindern, ist also Unsinn.
Anders sieht es aus, wenn es um ein langes und gesundes Leben geht. Hier müssen nicht schädliche Erbinformationen gelöscht, sondern vorhandene "optimiert" werden. Und das klappt nur per Gen-Editing.
Interessant ist etwa eine Entdeckung, die Forschern vor fünf Jahren in Island gelang: Sie fanden eine Punktmutation, die vor Alzheimer und geistigem Abbau im Alter schützt. Die Mutation reduziert das Alzheimerrisiko um 80%.
Findet sich die Veränderung sowohl im mütterlichen als auch väterlichen Chromosomensatz, könnte das Risiko gegen Null gehen. Den Schutzfaktor in einen Embryo einzubauen, wäre für Mitalipov wohl ein Kinderspiel.
Wir haben also den Schlüssel längst in der Hand, um Alzheimer und andere Krankheiten aus der menschlichen Population zu verbannen. Genau das ist die eigentliche Sensation.
Gute Tipps könnten uns auch Exkanzler Helmut Schmidt und die älteste Frau der Welt geben: Beide qualmten bis ins hohe Alter, ohne Krebs zu bekommen. Jeanne Louise Calment gab das Rauchen erst mit 119 Jahren auf – nachdem sie 98 Jahre am Glimmstängel hing.
Sie muss ein phänomenales DNA-Reparatursystem gehabt haben. Auch die dafür zuständigen Gene hätten wohl die meisten Menschen gerne.
Enorme Möglichkeiten
Zumindest künftigen Generationen könnten wir ein solches Angebot bald unterbreiten. Doch sollten wir das? Wäre es ein moralisches Angebot? In der in Deutschland stets reflexartig aufbrandenden Kritik an Genexperimenten geht es nur vordergründig um die Sicherheit – es muss nicht ständig betont werden, dass keine Genveränderungen bei Menschen vorgenommen werden dürfen, solange die Konsequenzen nicht absehbar sind.
Die Versuche von Mitalipov und anderen dienen aber gerade dem Ziel, Absehbarkeit herzustellen. Was soll also daran "gesellschaftsvergessen" sein, wie es, Professor Christiane Woopen vom Deutschen Ethikrat formuliert hat
Mit diesem Adjektiv wären wohl eher Bemühungen zu beschreiben, eine Forschung auszubremsen, die fundamentale Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme liefert.
In Kommentaren zu Mitalipovs Arbeit klammern sich Menschen, die keine Sekunde zögern würden, ihren entzündeten Wurmfortsatz zu entfernen, an romantische Vorstellungen von schweren Krankheiten als Prüfungen, die zum Menschsein gehören, oder an eine menschliche DNA, die als gottgegeben und unantastbar gilt, als ob der Rest der Schöpfung weniger heilig wäre. Das ist, gelinde gesagt, äußerst scheinheilig.
Sicher, die enormen Möglichkeiten, die sich nun bieten, machen auch Angst. Die Menschheit betritt Neuland, wenn sie ihre eigene Evolution in die Hand nimmt. Eine gesunde Angst wird uns hoffentlich vor der einen oder anderen Dummheit bewahren. Sie sollte uns aber nicht daran hindern, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Contra
Die Keimbahntherapie muss geächtet bleiben
Von Peter Leiner
In den aktuellen Versuchen lag das Augenmerk der Wissenschaftler auf dem Gen MYBPC3, dessen Mutation Ursache für die Entstehung einer hypertrophen Kardiomyopathie ist (Nature 2015; online 2. August).
Die für die künstliche Befruchtung verwendeten Spermien trugen die Mutation, die Eizellen stammten von gesunden Spenderinnen. Mitalipov und seine Kollegen erreichten durch einen Trick eine höhere Erfolgsrate von Embryonen mit korrigierten Genen als bisher.
Außerdem haben sie nach eigenen Angaben keine unerwünschten und gefürchteten – off-target – Mutationen durch die Technik nach der Genkorrektur entdeckt. Also fast perfekt. Spätestens im Blastozystenstadium fünf bis sechs Tage nach der Befruchtung zerstörten die Forscher die Embryonen.
Für manche sind diese gelungenen Versuche eine gute Nachricht im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Keimbahntherapie, mit der sich monogenetische Erkrankungen wie die Kardiomyopathie oder auch der Veitstanz Chorea Huntington verhindern ließen.
Abkehr von Skepsis?
Selbst Dr. Jennifer Doudna von der Universität von Kalifornien in Berkeley, die gemeinsam mit Dr. Emmanuelle Charpentier, jetzt am Max Planck-Institut für Infektionsbiologie, maßgeblich zur Entwicklung der CRISPR-Technik beigetragen hat, hat mit Blick auf die rasante Entwicklung dieser Methode ihre Bedenken zur Keimbahntherapie nach langem Abwägen relativiert und wird sich durch die jüngsten Forschungsergebnisse bestätigt fühlen.
Doudna: "Aller Voraussicht nach wird die Keimbahntherapie ausreichend sicher für eine klinische Anwendung sein", wie sie in ihrem aktuellen, populärwissenschaftlichen Buch "A Crack in Creation" schreibt.
Sie kann sich vorstellen, dass diese Therapie in der einen oder anderen Form verlässlich genug sein wird und keine größeren Risiken als die natürliche Befruchtung haben wird.
Auch in Deutschland gibt es Neubewertungen und nicht mehr komplett ablehnende Positionen zur genetischen Veränderung von menschlichen Keimzellen.So heißt es in einem aktuellen Positionspapier der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, verfasst von acht verantwortlich zeichnenden Wissenschaftlern: "Jede gezielte Keimbahnveränderung mit Auswirkungen auf einen später geborenen Menschen sollte beim derzeitigen Stand der Forschung unterbleiben."
Doch sie weisen auch darauf hin, dass zwar der Einsatz des "genome editing" in der Forschung an Embryonen und an Keimbahnzellen (…) spezifische Bedenken aufwerfe, dass er aber "nicht grundsätzlich ethisch abzulehnen" sei.
Gegen eine somatische Gentherapie erkrankter, austherapierter Patienten ist nichts einzuwenden, da sich jeder selbstbestimmt für oder gegen diese Therapie entscheiden kann. Auch nicht gegen die Anwendung in der Forschung, etwa zur Züchtung von Schweinen für eine mögliche Nutzung als Organspender.
Keine Menschenversuche wagen
Doch auch wenn die CRISPR-Technik durch Modifikationen immer effektiver werden sollte, wird es nie einen Beweis dafür geben, dass eine damit vorgenommene Keimbahntherapie bei Menschen keine negativen Folgen für die Embryonalentwicklung, geschweige denn für die Entwicklung nach der Geburt sowie für künftige Generationen haben wird – es sei denn, genetisch korrigierte Embryonen würden in den Uterus verpflanzt und ausgetragen.
Das wäre jedoch ein Menschenversuch und auch mit Blick auf spätere Generationen nicht zu verantworten. Die Folgen einer solchen Therapie sind nicht vorhersehbar, weder individuell noch gesellschaftlich. Denn einmal legalisiert würde es nicht bei der angestrebten Heilung von Patienten bleiben, sondern sich in der Veränderung des Erbguts mit dem Ziel eines "Enhancements" fortsetzen.
Deutschland als Vorreiter für ein Verbot
Deshalb sollte die Keimbahntherapie weltweit – wie in Deutschland und 13 weiteren europäischen Ländern schon viele Jahre praktiziert – geächtet bleiben. In Anbetracht des internationalen Engagements bei der Entwicklung dieser Therapie von Forschern etwa in China wird es jedoch schwierig, einen weltweiten Stopp zu erzielen.
Deutschland und die anderen 13 EU-Staaten mit einem Verbot der Keimbahntherapie müssen als Vorreiter fungieren und sich dem Ansinnen der Verfechter dieser Therapieform entgegenstellen.
Befürworter der Keimbahntherapie wollen im ersten Schritt helfen, Krankheiten zu vermeiden. Dabei wird es aber nicht bleiben, weil die Sehnsucht, die genetische Ausstattung des Menschen zu "verbessern", groß ist.
Besser ist es, sich an der Feststellung des Freiburger Medizinethikers Professor Giovanni Maio zu orientieren, die er in seinem Buch "Medizin ohne Maß" geäußert hat: "Es geht letzten Endes darum, Grenzen annehmen zu können, vor allem aber darum, sich selbst annehmen zu können."