HINTERGRUND
Einfrieren von Nabelschnurblut für den Eigenbedarf gilt bei deutschen Hämatologen als Geldschneiderei
Das Konzept hat etwas unmittelbar Einleuchtendes: Wenn direkt nach der Geburt das Blut des Kindes aus der abgetrennten Nabelschnur nicht entsorgt, sondern tiefgekühlt wird, dann steht es später für die Therapie etwa bei Leukämien zur Verfügung. Oder es kann genutzt werden, um mit den darin enthaltenen Stammzellen Patienten mit genetischen Stoffwechselerkrankungen zu heilen. Der Gedanke an den ewigen Jungbrunnen im Tiefkühlfach ist für viele Eltern so verführerisch, dass sie bereit sind, für das Einlagern des Nabelschnurbluts über 20 Jahre mehr als 2000 Euro auf den Tisch zu legen.
Ein Fallbericht in der Fachzeitschrift "Pediatrics" hat jetzt der schon seit Langem geführten Debatte um die privaten Nabelschnurblutbanken erneut Nahrung gegeben (119, 2007, 296). Ein Kind, dessen Nabelschnurblut bei der kommerziellen US-Nabelschnurblutbank Corcel - in Deutschland agierend als Vita34-Holding - eingelagert war, erkrankte an einer akuten lymphoblastischen Leukämie. Es wurde an einer Kinderklinik im US-Staat Illinois chemotherapeutisch behandelt. Das Kind bekam nach zehn Monaten ein isoliertes ZNS-Rezidiv und wurde auch im zweiten Anlauf erfolgreich chemotherapiert.
Eingefrorenes Blut baut das Knochenmark neu auf
Sicherheitshalber entschieden sich die Ärzte dann, während sich das Kind in zweiter Remission befand, für eine myeloablative Chemoradiotherapie. Für den bei diesem Eingriff nötigen Neuaufbau des Knochenmarks wurde das eingefrorene Nabelschnurblut verwendet. Heute, 20 Monate später, geht es dem Kind gut. Ist es also sinnvoll, das Nabelschnurblut aufzuheben, falls es einmal zur Therapie gebraucht werden sollte?
Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, Professor Gerhard Ehninger, beantwortet die Frage mit einem klaren Nein: "Es handelt sich bei diesem Beitrag eher um einen traurigen als um einen erfolgreichen Bericht", sagte der Leiter der Klinik für Hämatologie der Uni Dresden. Bei Kindern, die nach einer akuten Leukämie eine myeloablative Chemotherapie erhalten müssen, sei heute die allogene Transplantation Standard, also die Verwendung von Knochenmark eines zu den individuellen Gewebemerkmalen passenden fremden Spenders. Grund dafür ist das höhere Rezidivrisiko nach einer autologen Transplantation. Zu den autologen Transplantationen zählt auch die Übertragung des eigenen Nabelschnurbluts.
Zwei Punkte kritisiert Ehninger: Zum einen werde eigenes Blut für die Therapie genommen. Dadurch bestehe dann die Gefahr, dass genetische Anlagen für die Leukämie gleich mit übertragen würden. Denn längst nicht alle potenziell Krebs auslösenden Veränderungen im Genom seien bei der Untersuchung des Blutes vor einer Transplantation nachweisbar. Zum anderen werde bei der autologen Transplantation auf den Graft-versus-leukemia-Effekt verzichtet.
Alles in allem ist Ehningers Fazit zur US-Publikation vernichtend: "Die autologe Transplantation hat in der Pädiatrie nichts mehr zu suchen. Hier wurde eine falsche therapeutische Entscheidung getroffen, weil zufällig Nabelschnurblut eingefroren war."
Professor Ursula Creutzig, Hämatologin an der Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, ist etwas anderer Auffassung. "Es handelt sich hier um eine sehr seltene Konstellation, in der unseres Erachtens das gewählte Vorgehen richtig war", so Creutzig im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
So sei der Graft-versus-leukemia-Effekt bei einem isolierten ZNS-Rezidiv - wie bei dem Kind - nur gering ausgeprägt. Auch sei die Gefahr eines erneuten Rückfalls nach einem späten Rezidiv geringer als bei einem prognostisch ungünstigeren Frührezidiv bereits innerhalb eines Jahres nach Therapiebeginn.
In Verbindung mit der besseren Verträglichkeit der autologen Transplantation sind das für Creutzig genug Argumente, um nicht nach einem Fremdspender zu suchen, wenn Nabelschnurblut für die autologe Transplantation vorhanden ist.
Wie Ehninger hält aber auch Creutzig das kommerzielle Einfrieren von Nabelschnurblut für "Geschäftemacherei" und rät Eltern davon ab. Konstellationen wie die in "Pediatrics" beschriebene seien viel zu selten, um derartige Investitionen zu rechtfertigen. Jenseits der Onkologie kommt Nabelschnurblut zur Therapie bei angeborenen Störungen nur dann infrage, wenn es gelingt, die darin enthaltenen Stammzellen gentherapeutisch zu verändern. Davon aber ist die Medizin noch weit entfernt. Und bei Stoffwechselerkrankungen können solche Stammzellen auch aus dem peripheren Blut oder dem Knochenmark gewonnen werden.
Nabelschnurblut ist sinnvoll bei allogenen Transplantationen
Das alles heißt nicht, dass Nabelschnurblut keinen Sinn hat. Im Gegenteil, es wird von den Hämatologen gerne für allogene Transplantationen verwendet, auch wenn bei erwachsenen Patienten häufig zwei Spender nötig sind, um die für die Therapie nötige Zellzahl zu erreichen.
Ehninger, der in Dresden auf eine öffentlich finanzierte Nabelschnurblutbank zugreifen kann, ermutigt sogar zur altruistischen Spende. Das Geld, das in die Eigenspende geht, würde er aber lieber anderweitig investiert sehen: "Bei geschätzten eine Million Proben, die weltweit in privaten Nabelschnurblutbanken liegen, errechnen sich Kosten von über eine Milliarde Euro. Damit hätten 20 Millionen Fremdspender gewonnen werden können."
STICHWORT
Graft-versus- leukemia-Effekt
Unter dem "Graft-versus-leukemia- Effekt" wird ein Antitumor-Effekt von transplantierten Knochenmarkzellen verstanden. Die Zellen des Spenders greifen Krebszellen an und versuchen, sie zu vernichten. Wie es zu diesem Phänomen kommt, ist bislang nicht geklärt. Es tritt nur dann auf, wenn der Spender nicht mit dem Empfänger genetisch identisch ist. (gvg)