Ziel verfehlt
Großer Masern-Ausbruch statt Ausrottung
Die deutschen Pläne zur Ausrottung der Masern bis 2015 sind endgültig gescheitert. Der aktuelle Ausbruch in Berlin zeigt: Die Impflücken sind zu groß.
Veröffentlicht:BERLIN. Ein großer Masern-Ausbruch in Berlin macht deutlich, dass die deutschen Pläne zur Ausrottung der Krankheit erneut verschoben werden müssen.
Seit Beginn der Ansteckungswelle im Oktober sind allein in der Hauptstadt 375 Menschen erkrankt - über die Hälfte davon Erwachsene, berichtet das RKI (Epi Bull 2015; 5: 37).
Mehr als 100 Patienten kamen nach der Statistik des Landesamtes für Gesundheit und Soziales bisher ins Krankenhaus. Die Welle läuft weiter.
Allein im Januar gab es 254 neue Masern-Fälle in Berlin. Und 90 Prozent der bisher befragten 335 Patienten gaben an, nicht gegen Masern geimpft zu sein.
Geplant waren weniger als 82 Erkrankte
Ginge es nach der Bundesregierung, dürfte es in Deutschland in diesem Jahr nicht mehr als 82 Masern-Erkrankungen geben. Denn auch die Bundesrepublik hat sich bei der Weltgesundheitsorganisation verpflichtet, die hochansteckende Infektionskrankheit bis 2015 auszurotten.
Die Probleme: Viele Jugendliche und jüngere Erwachsene sind ungeschützt und noch immer wird jedes dritte Kleinkind in Deutschland nicht rechtzeitig gegen Masern immunisiert.
"Insgesamt ist der Impfstatus in der Bevölkerung weiterhin zu gering", so Dr. Anette Siedler, Leiterin des Fachbereichs Impfprävention am RKI. "Der Berliner Ausbruch ist ein herber Rückschlag." Er mache die Impflücken in Deutschland sehr deutlich.
Der Ausbruch begann im Oktober unter Asylbewerbern aus Bosnien, Herzegowina und Serbien, dort gibt es große Impflücken seit dem Bürgerkrieg in den 1990er Jahren.
In Berlin sind inzwischen aber mehr als die Hälfte der neuen Masern-Patienten bereits aus der angestammten Bevölkerung, darunter auch viele Erwachsene, die nach 1970 geboren wurden. Für diese Jahrgänge gibt es große Impflücken.
Dr. Ulrich Fegeler, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, wundert der Ausbruch in Berlin nicht: "Die Politik tut einfach noch zu wenig, das ist ein Eiertanz."
2013 hatte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) laut über eine Impfpflicht bei Masern als letztem Mittel nachgedacht.
Fegeler fände es hilfreich, wenn alle öffentlichen Einrichtungen von der Kita bis zur Schule einen Impfnachweis vor der Aufnahme eines Kinder verlangten.
Gefährlich für Säuglinge
Besonders auch für Säuglinge können Masern hochgefährlich werden. Sind ihre Mütter nicht geimpft, dann greift kein Nestschutz — und im Alter unter neun Monaten können sie nicht selbst immunisiert werden.
"Meiner Meinung nach ist es für jeden ein Gebot der Verantwortung, selbst für einen ausreichenden Impfschutz zu sorgen."
Zwang hält Siedler für den falschen Weg. Verpflichtende Impfnachweise an Schulen hätten in den USA wenig gebracht. Auch dort läuft gerade eine Masernwelle, die im Dezember im Disneyland in Kalifornien ihren Anfang nahm.
Bereits 100 Kranke im Januar lassen die Behörden nervös reagieren. Denn sie glaubten, die Masern im Griff zu haben. Nun zeigt sich, dass Ausnahmegenehmigungen der Wunsch-Impfquote entgegenwirken.
Siedler setzt in Deutschland auf Information und Überzeugung. Alle großen Ausbrüche in Deutschland, die etwa vor zwei Jahren zur zeitweiligen Schließung von Schulen führten, hätten bisher nur einen kurzen "Aha-Effekt" ausgelöst.
Nötig sei ein anderes Bewusstsein. Viele Eltern hätten das zum Schutz ihrer Kinder bereits entwickelt, vor allem seit die Impfungen an Vorsorge-Untersuchungen gekoppelt sind. Was fehlt, seien oft die Erwachsenen selbst.
Der Winter begünstige Ansteckungen, betont Siedler. Auch Masern beginnen mit Erkältungssymptomen und würden häufig nicht sofort erkannt. "Dieser Ausbruch ist wie ein Appell, Impfungen jetzt nachzuholen. Denn den Viren ist es egal, wen sie treffen." (dpa)