Ebola

"Im Moment ist noch gar nichts unter Kontrolle"

Mehr als 10.300 Menschen sind an der jüngsten Ebola-Epidemie gestorben. In einem Online-Vortrag hat Arzt Dr. Frank Dörner nun vom Einsatz in Westafrika erzählt - und vor allzu viel Optimismus gewarnt.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Internationale Hilfe wird weiter benötigt – auch für Impfprogramme, wie hier in Liberia.

Internationale Hilfe wird weiter benötigt – auch für Impfprogramme, wie hier in Liberia.

© Jallanzo/ dpa

NEU-ISENBURG. Ein Kind nascht an einer Frucht - so harmlos hat vermutlich der verheerendste Ebola-Ausbruch in der Geschichte der Menschheit begonnen.

Die Frucht war dem heutigen Erkenntnisstand nach von einer Fledermaus der Spezies Mops condylurus, die als Reservoir des Ebola-Virus gilt, kontaminiert worden.

Wie sich die Krankheit von der kleinen Ortschaft Meliandou in Guinea über ganz Westafrika ausbreiten konnte, welche Faktoren dies begünstigten und vor welchen Herausforderungen die Helfer immer noch stehen, darüber berichtete Dr. Frank Dörner jetzt in einem Online-Vortrag.

Als medizinischer Koordinator für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) war er im November 2014 in Sierra Leone.

Vom Familienfest ins ganze Land

Das Kind, so Dörner, sei mit seinem Vater vom Süden Guineas quer durchs Land bis in die Hauptstadt Conakry im Nordwesten Guineas gereist.

Zwischendurch hätten beide an einem Familienfest teilgenommen, wo das Kind vermutlich weitere Menschen infizierte, die danach in ihre Heimatorte, zum Teil auch in benachbarte Länder zurückgekehrt seien.

Da die Bewohner Westafrikas meist zusammengedrängt in Autos oder Bussen reisten, habe sich das Virus sehr rasch über Ländergrenzen hinweg verbreiten können.

Die Armut und die Unwissenheit der Menschen, die völlig unzureichenden Gesundheitssysteme der betroffenen Länder, aber auch die zögerliche Reaktion der internationalen Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation und der UN seien weitere Ursachen dafür, dass sich die Epidemie schließlich so rasant und unkontrolliert in Guinea, Sierra Leone und Liberia ausbreitete.

Bis heute sind in Westafrika mehr als 10 300 Menschen am jüngsten Ebola-Ausbruch gestorben, darunter auch knapp 500 Gesundheitsmitarbeiter der betroffenen Länder. Ärzte ohne Grenzen ist derzeit mit 2800 Einsatzkräften vor Ort.

Obwohl die Zahl der Neu-Infektionen 2015 im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich gesunken ist, ist das Ende der Epidemie noch nicht in Sicht.

"Im Moment ist noch gar nichts unter Kontrolle", betonte Frank Dörner, der von 2008 bis 2014 Geschäftsführer der deutschen MSF-Sektion war, in seinem Vortrag.

"Vorbei ist die Epidemie erst, wenn 42 Tage lang kein neuer Fall aus den betroffenen Ländern gemeldet worden ist." Derzeit würden in Sierra Leone und Guinea wöchentlich zwischen 50 und 100 Neu-Infektionen registriert.

In Liberia glaubte man bis vor Kurzem, die Epidemie so gut wie unter Kontrolle zu haben, bis ein Pfleger an Ebola erkrankte, der Dutzende Kollegen und Patienten angesteckt haben könnte.

Die Herausforderungen für die Helfer vor Ort seien enorm, berichtete Dörner. Das fange mit der Diagnostik an, da Symptome wie Fieber, Muskelschmerz, Kraftlosigkeit und Diarrhö so unspezifisch seien, dass auch andere, harmlosere Krankheiten als deren Ursache in Frage kämen.

"Die Blutungen", präzisierte der Arzt, "die von vielen als Erkennungsmerkmal von Ebola angesehen werden, setzen ja erst sehr spät ein." Verlässliche Angaben darüber, ob ein Patient tatsächlich das Ebola-Virus in sich trägt, könnten nur High-Level-Labore liefern, von denen es vor Ort lediglich eine begrenzte Anzahl gibt.

Ebenso unspezifisch wie die Symptome sei der Verlauf der Erkrankung. "Es kommt vor, dass schwer kranke Patienten Ebola überleben, während andere, die nur leichte Symptome zeigen, sehr schnell sterben", berichtete Dörner von seinen Erfahrungen.

Gesundheitssysteme "am Boden"

Da es noch keine Medikamente gegen Ebola gebe, können Helfer nur symptomatisch behandeln, beispielsweise den Flüssigkeitsverlust ausgleichen, Medikamente gegen die Schmerzen verabreichen, den Patienten eine spezifische Ernährung zukommen lassen, ihnen hygienische Maßnahmen vermitteln und im schlimmsten Fall eine palliative Therapie einleiten.

Die Isolation der Infizierten und die Aufklärung der Bevölkerung seien nach wie vor die wichtigsten Maßnahmen, um die Epidemie einzudämmen, erklärte Dörner in seinem Vortrag.

Eine große Gefahr sieht der Arzt darin, dass die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder "völlig am Boden" seien.

Ihr Wiederaufbau werde Jahre dauern und sei nur mit internationaler Hilfe möglich. Ärzte ohne Grenzen werde sicher die nächsten zehn Jahre in der Region präsent bleiben.

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