Kolumne „Aufgerollt“ – No. 13

Kampf der Titanen

Bier und Sauerbruch: Die Konkurrenz zwischen den beiden Chirurgen glich dem Kampf zweier Titanen. Dahinter steckt ein bis heute nicht gelöster Konflikt in der Medizin, meint unser Kolumnist.

Bernd HontschikEin Gastbeitrag von Bernd Hontschik Veröffentlicht:
Zwei „Titanen“ der Medizin: August Bier (2.v.l.) mit Ferdinand Sauerbruch (3.v.l.) am 27. Juni 1932 an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin, hier mit Staatssekretär Theodor Lewald (li.) und Carl Diem (re.).

Zwei „Titanen“ der Medizin: August Bier (2.v.l.) mit Ferdinand Sauerbruch (3.v.l.) am 27. Juni 1932 an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin, hier mit Staatssekretär Theodor Lewald (li.) und Carl Diem (re.).

© picture alliance / brandstaetter images/Austrian Archives (S)

Am Samstag, den 28. Februar 1925, kurz nach zehn Uhr vormittags starb Reichspräsident Friedrich Ebert (1871–1925) nach einer Blinddarmoperation auf der Privatstation von August Bier im Westsanatorium in Charlottenburg. Für die weitere Geschichte Deutschlands war sein Tod eine tiefgreifende Zäsur. Vergleichsweise nicht ganz so wichtig, aber für die weitere Medizingeschichte Deutschlands doch sehr wichtig war damit ein richtungsweisender Einschnitt geschehen, auch wenn das damals keinem der Beteiligten bewusst war.

28. Februar 1925: Das SPD-Organ „Vorwärts“ berichtet im Aufmacher vom Tod Friedrich Eberts.

28. Februar 1925: Das SPD-Organ „Vorwärts“ berichtet im Aufmacher vom Tod Friedrich Eberts.

© Faksimile von B. Hontschik

August Bier (1861–1949) war einer der beiden führenden Chirurgen in Deutschland in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, Ferdinand Sauerbruch der andere. August Bier war Nachfolger auf dem berühmten Ernst-von-Bergmann-Lehrstuhl der Charité in Berlin, der ersten Adresse der Chirurgie Deutschlands.

Die Verdienste von August Bier in der Chirurgie sind enorm. Er entwickelte die Lumbalanästhesie, er entwarf Operationstechniken für tragfähige Unterschenkelamputationsstümpfe und realisierte neue Konzepte in der Bekämpfung des Gasbrandes und der Knochen- und Gelenktuberkulose. Scharfen Attacken war er ausgesetzt, weil er mit Heraklit und Hippokrates philosophisches Denken in der Medizin einforderte, weil er einen großen Wald bei Berlin kaufte, um der Natur nahe zu sein, und weil er eine Lanze für die Homöopathie brach. Eines seiner Hauptwerke heißt „Die Seele“ – alles sehr ungewöhnlich für einen Chirurgen.

Geniale Operateure

Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) wurde neben August Bier 1927 an die Charité berufen und zu seinem Gegenspieler. Er kam über Breslau, Zürich und München nach Berlin. Sauerbruch revolutionierte die Brustraumchirurgie mit seiner Erfindung einer Unterdruckkammer, konnte damit auch erste Eingriffe am freigelegten Herzen durchführen. Er war berühmt für den „Sauerbrucharm“, eine Unterarmprothese, mit der einfache Handgriffe möglich waren. Auch mit einer Modifikation der Umkippplastik mit umgedrehtem und versetztem Unterschenkelknochen konnte er zerstörte Oberschenkelknochen ersetzen und eine prothetische Versorgung ermöglichen.

Sauerbruch galt wie Bier als genialer Operateur. Mit Philosophie hatte Sauerbruch aber nichts am Hut. Nunmehr entwickelte sich eine knallharte Konkurrenz zwischen den beiden „Titanen“. Sauerbruch ging als Sieger hervor, auch wenn er zunächst nur den „zweiten“ chirurgischen Lehrstuhl der Charité innehatte. Indem Biers Klinik in der Ziegelstraße 1931 politischen Ränkeschmieden zum Opfer fiel, gab es nur noch eine chirurgische Klinik in der Charité, und Sauerbruch war damit auf dem Gipfel des Ruhms angelangt.

Bier war immer schärfer in die Kritik geraten, weil in seiner Klinik nach seinen Eingriffen 1917 schon Ferdinand Graf von Zeppelin, 1924 ein prominentes Mitglied der Großindustriellen-Familie Stinnes und 1925 schließlich der Reichspräsident Friedrich Ebert gestorben waren. Die Schuld an Friedrich Eberts Tod kann man zwar alleine seinem viel zu späten Eintreffen in der Klinik geben, aber den Kritikern Biers war das gerade recht, um den unangenehmen Philosophen und Naturheilkundler loszuwerden.

Holistik vs. Technik

Bier und Sauerbruch stehen für zwei Richtungen in der Chirurgie, ja in der Medizin, die bis heute nicht zueinandergefunden haben. Bier hatte eine idealtypische, ganzheitliche Vorstellung vom Arztsein. Diagnostik und Therapie auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand waren zwar selbstverständliche und unverzichtbare Basis seines chirurgischen Handelns, aber die Zusammenhänge des Lebens und der Lebensumgebung eines Patienten mit dessen Erkrankung, also auch mit dessen Heilung, waren ihm gleich bedeutend.

Sauerbruch hingegen war ein umtriebiger Techniker, von Mitarbeitern als cholerisch, autoritär, fast despotisch beschrieben. Für ihn war die Anatomie und die Mechanik Mittelpunkt allen chirurgischen Handelns, der Mensch war eine Maschine, die repariert werden musste. Für ihn gab es nur Operieren, Operieren, Operieren. Für die Philosophie oder den Wald oder gar die Seele interessierte er sich nicht.

Dieser Konflikt ist bis heute virulent. Der Tod Friedrich Eberts hat die ganzheitliche Chirurgie nachhaltig aus dem Rennen geworfen, nachdem Bier schon im Juni 1925 von seinen aufgebrachten Fachkollegen vor ein „Konzil der Rechtgläubigen“ zitiert worden war, wie er es nannte. Noch heute sind die nachdenklichen, philosophischen, biografisch denkenden und arbeitenden Ärztinnen und Ärzte weitaus in der Minderheit, sind damals wie heute Außenseiter, und der Tod Friedrich Eberts vor 99 Jahren hat dazu beigetragen.

Dr. Bernd Hontschik (1952) war bis 1991 Oberarzt an der Chirurgischen Klinik in Frankfurt-Höchst, bis 2015 in eigener chirurgischer Praxis tätig. Er ist Autor und Herausgeber der Reihe „medizinHuman“ im Suhrkamp Verlag. Er ist Mitglied der Uexküll-Akademie (AIM), der IPPNW und bei mezis. In der Ärzte Zeitung schreibt er regelmäßig die Kolumne „aufgerollt“.

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