Lange Schatten und ständiges Rauschen sorgen für Streß

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Von Christian Beneker

"Gehirnwäsche, also!" Das Umweltforum 2004 der Niedersächsischen Ärztekammer (AEKN) in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer zum Thema Windenergie war eine emotionale Angelegenheit. Daß dem Bürger-Zorn auf die allenthalben sprießenden Windparks auch mit vertrauensbildenden Maßnahmen seitens der Betreiber zu begegnen sei, kommentierte eine aufgebrachte Besucherin des Symposiums mit jenem Ausruf: "Gehirnwäsche, also!"

Das Thema "Windenergie" hatte gut 100 Besucher in den Vortragssaal der Ärztekammer gelockt. Nachdem die Energiegewinnung aus Wind zunächst als Königsweg zum grünen Strom galt, ist das Feuer der Begeisterung heute längst herabgebrannt. Immer mehr Bürgerinitiativen protestieren gegen die "Verspargelung der Landschaft", wie AEKN-Präsident Heyo Eckel im Grußwort sagte, "und gegen die gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Windräder."

Immer mehr Anwohner klagen bei ihren Ärzten über Streß

"Der Anlaß für die Themenwahl war, daß durch die niedergelassenen Ärzte immer mehr Fallbeschreibungen von gestreßten Anwohnern der Windkraftanlagen auftauchten", sagte Hans-Bernhard Behrends vom Gesundheitsamt Hannover und Moderator der Veranstaltung, "das wollten wir genauer untersuchen und valide Daten beschreiben."

In der Tat werden die Rotoren immer höher, immer lauter ihr Rauschen, immer länger ihre Schatten. 16 017 Windräder stehen Ende September 2004 in Deutschland, davon allein 4160 in Niedersachsen. Geht es nach der Strategie der Bundesregierung, soll sich ihre Zahl bis 2010 verdoppeln.

Ein Vorgeschmack entsteht im kommenden Jahr in Brunsbüttel an der Elbe. Dort werden die weltweit höchsten Energie-Windmühlen gebaut, mit Rotoren in 180 Meter Höhe und einer Jahresleistung, die 6000 Haushalte mit Strom versorgen könnte. "Was die Befürworter für einen energiepolitischen Geniestreich halten, ist für die Gegner eine Luftnummer und die schlimmste Verheerung der Landschaft seit dem 30jährigen Krieg," sagte Eckel.

Mehr noch. Die gesundheitliche Schäden durch Lärmbelästigung und Schattenwurf und nicht zuletzt die erlebte Unfreiheit der Bürger bei der politischen Durchsetzung von Windparks "machen die Leute verärgert und depressiv", wie eine Ärztin unter den Zuhörern sagte.

Der Referent Rainer Guski, Psychologe an der Uni Bochum, der in seinem Referat die psychologischen Wirkungen der Windräder besprach, hatte am meisten Verständnis aufgebracht für die protestierenden Anwohner. Er hat nämlich die Forschungen seiner Vorredner teilweise relativiert.

Hartmut Ising vom Berliner Zentrum Public Health, hatte zum Beispiel Meßergebnisse aus Laboruntersuchungen präsentiert, wonach der als schädlich gefürchtete Infraschall vollkommen unbedenklich sei, weil er mit 20 Hertz unter der normalen Hörschwelle des Menschen liegt. "Physiologische Wirkungen treten aber in sehr großem Maße durch Placebo-Effekte auf", so Ising. Nicht der Schall selbst störe also, sondern die Vorstellung davon, was er anrichten könnte.

Auch durch die langen Schatten der Windräder fühlen sich viele Anwohner belästigt. Nach dem Bundesemissionsschutzgesetz allerdings nur zu Recht bei Schattenwurf und Leichtreflexen der Rotoren (Disco-Effekt). Denn die Verschandelung des Panoramas gilt vor dem Gesetz nicht als Immission, auch nicht "das zwanghafte Anziehen der Aufmerksamkeit durch die Rotorbewegungen", wie Rainer Kindel sagte, Physiker vom Umweltbundesamt Nordrhein-Westfalen in Essen. Gerade diese Effekte würden allerdings von 65 Prozent der in einer Studie Befragten als ausgesprochen belästigend empfunden.

Der Disco-Effekt durch spezielle Beschichtungen auf den Rotoren könne inzwischen vermieden werden, die Schatten der Anlagen blieben jedoch ein Problem. "Bei großen Windrädern kann der Schattenwurf bis zu einem Kilometer lang sein", sagte Kindel.

Eine Kieler Untersuchung habe ergeben, daß bereits 60 Minuten täglicher Beschattung bei den Betroffenen Streß auslösen kann. Es dürfen darum nur Windkraftanlagen genehmigt werden, die etwa ein Haus höchsten 30 Stunden im Jahr und 30 Minuten am Tag beschatten. Ising und Kindel bestätigten allerdings, daß Windkraftanlagen trotz der unbedenklich erscheinenden Forschungsergebnisse ernstzunehmende Beschwerden verursachen können. Sie charakterisierten die akustischen und optischen Belästigungen als "unspezifische Stressoren".

Für die im Labor ermittelten Richtwerte hatten die gestreßten Anwohner im Publikum denn auch wenig Verständnis. Im Psychologen Rainer Guski hatten sie zunächst einen Anwalt. Er demonstrierte mit einem Tonbeispiel das Rauschen einer Windkraftanlage - erstauntes Schweigen im Publikum, dann Applaus. "Es ist zu bezweifeln, daß kurzfristige Labortests und monomodale Versuchsaufbauten die Belästigung wirklich erfassen", sagte Guski. Er sprach sich zur Präzisierung der Ergebnisse für Feldversuche aus, wie sie etwa in Skandinavien gemacht wurden.

Hausarzt rät zu Verhaltenstherapie

Steht nämlich statt des Emissionswertes das Erleben im Mittelpunkt, so die Schlußfolgerung, können die Betroffenen selbst etwas ändern an ihrem Streß. Die Anwohner, die auf unverbaute Landschaft bestehen und wissen, daß die Gemeinden aus Geldmangel Land für Windräder verkaufen müssen und die den energietechnischen Nutzen der Windräder bezweifeln, müssen mehr in den Entscheidungsprozeß eingebunden werden, riet Guski: "Unsere Erfahrungen mit dem Fluglärm zeigen, daß die Beteiligung der Bewohner die Beschwerden verringern."

"Gerade für Hausärzte ist das Wissen um den unspezifischen Streß durch Windkraftanlagen wichtig", sagte Hans-Bernhard Behrends im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung", "sie könnten ihren Patienten zum Beispiel eine Verhaltenstherapie anbieten." Also doch "Gehirnwäsche"? Natürlich nicht, meint Behrends: "Es könnte es auch nicht schaden, wenn der Rat der Ärzte in Gemeindeversammlungen gehört würde, bevor Land an die Windenergiefirmen verkauft wird."

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