Pädiatrische Versorgung
Lebensnahe Unterstützung für stark übergewichtige Kinder
Im Innovationsfonds-Projekt FrühstArt sollen Familien mit übergewichtigen und adipösen kleinen Kindern gesunde Alltagsroutinen lernen. Die Rekrutierung erfolgt über die pädiatrischen Praxen.
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Für FrühstArt sollen mindestens 812 Kinder in den kinderärztlichen Praxen rekrutiert werden.
© Chris Radburn/empics/picture alliance
Köln. Pädiaterinnen und Pädiatern in Nordrhein steht bei der Versorgung von Kindern im Vorschulalter, die unter starkem Übergewicht und Adipositas leiden, bald ein neues Angebot zur Verfügung: Sie können die jungen Patientinnen und Patienten in das Projekt FrühstArt einschreiben, das die Familien dabei unterstützt, gesunde Alltagsroutinen in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Medienkonsum und Schlafverhalten zu entwickeln.
„Wir wollen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger arbeiten, sondern der Fokus liegt darauf, dass die Familien Spaß haben“, sagt Professorin Stephanie Stock der Ärzte Zeitung. Sie ist Leiterin des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) an der Universitätsklinik Köln.
FrühstArt – frühe, sektorübergreifende, aufsuchende und familienzentrierte Adipositas Prävention – wird mit 9,5 Millionen Euro durch den Innovationsfonds gefördert. Stock ist Konsortialleiterin. Eine Reihe von Konsortial- und Kooperationspartnern ist beteiligt.
Es ist wichtig, früh anzufangen
Stock verweist auf erschreckende Zahlen aus der zweiten Welle der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland aus den Jahren 2014 bis 2017. Damals waren fast 11 Prozent der Mädchen im Alter von drei bis sechs Jahren übergewichtig und 3,2 Prozent adipös, bei den Jungen waren es 7 Prozent und 1 Prozent.
Das kindliche Übergewicht hat nicht nur gesundheitliche Folgen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder gute Leistungen in der Schule erzielen, ist um 13 Prozent niedriger als bei normalgewichtigen. „Deshalb ist es wichtig, dass wir so früh anfangen“, betont Stock.
In die Studie eingeschlossen werden können Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Sie müssen bei einer der teilnehmenden Krankenkassen versichert sein. Das sind: AOK Rheinland/Hamburg, Barmer, HEK, IKK Classic und Techniker Krankenkasse.
FrühstArt setzt auf die aufsuchende Beratung der Familien durch speziell für das Projekt ausgebildete Coaches. Sie machen ein ausführliches Assessment in der häuslichen Umgebung der Familien. Mit den behandelnden Pädiatern planen die Coaches auf dieser Basis die Intensität und den Inhalt der Beratung und erstellen einen individuellen Versorgungsplan. Gemeinsam mit den Familien entwickeln die Coaches dann konkrete Ziele und informieren sie über lokale Präventions- und Unterstützungsangebote.
Über 800 Kinder sollen über die Kinderarztpraxen rekrutiert werden
Für Kinder ab der 97. Perzentile können die Ärztinnen und Ärzte eine ambulante Rehabilitation in einem von sieben Zentren einleiten. Sie läuft ein halbes Jahr.
Für FrühstArt sollen mindestens 812 Kinder in den kinderärztlichen Praxen rekrutiert werden. Von ihnen kommen zwei Drittel in die Interventionsgruppe und ein Drittel in die Kontrollgruppe. Bei allen Kindern erhalten die Eltern in jedem Quartal eine motivierende ärztliche Beratung zum gesunden Lebensstil. Bei Teilnehmern aus der Kontrollgruppe, die über der 97. Perzentile liegen, können die Pädiater nach dem Abschluss der zwölfmonatigen Interventionsphase ebenfalls die ambulante Reha einleiten.
Stock und ihr Team hoffen, 150 bis 200 kinderärztliche Praxen für eine Teilnahme an dem Projekt gewinnen zu können. Unterstützung erhalten sie dabei vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Nordrhein und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.
„Die Strukturen sind so, dass sie in den kinderärztlichen Alltag passen“
Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, bei den U-Untersuchungen Eltern über das Projekt zu informieren, nach der Einschreibung alle vier Monate Größe und Gewicht der Kinder zu messen und die Daten an die studieninterne E-Health-Plattform zu übermitteln. Eine Fallkonferenz mit dem Coach ist verpflichtend, bei Bedarf können weitere hinzukommen. Für ihre Leistungen erhalten die Ärzte eine extrabudgetäre Vergütung.
Das Projekt ist in Abstimmung mit dem Verband der Kinder- und Jugendärzte entwickelt worden, berichtet Dr. Marcus Redaèlli, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IGKE. „Die Strukturen sind so, dass sie in den kinderärztlichen Alltag passen.“
Ziel der gezielten Betreuung ist die Reduktion des kindlichen BMI-SDS um 0,2. Aufschluss geben neben der regelmäßigen Erhebung von Gewicht und Größe auch Fragebögen, die von den Eltern ausgefüllt werden. Die Evaluation des Projekts liegt beim Institut für Medizinische Statistik und Bioinformatik der Uni Köln.
Stock hofft, dass die vier zentralen Elemente von frühstArt optimal zusammenwirken: die motivierende Beratung durch die Kinder- und Jugendärzte, die aufsuchende Beratung durch den Coach, der individuelle Versorgungsplan und die Möglichkeit zur Frühreha. Nur wenn es gelingt, die Wirksamkeit der Maßnahmen nachzuweisen, besteht die Chance auf eine Überführung in die Regelversorgung. „Das wäre eine Investition in die Zukunft“, ist sie überzeugt.