Medizintechnik
Mit Neuroprothese kann ein Gelähmter wieder zugreifen
Eine Neuroprothese ermöglicht einem Tetraplegiker, mit einer Gabel zu essen. Sein Hirn wird dabei per Kabel mit Muskeln in Arm, Hand und Schulter verbunden.
Veröffentlicht:CLEVELAND. Mit einem neuartigen System, das Hirnsignale entschlüsselt und diese an Sensoren im Arm überträgt, kann ein von der Schulter abwärts gelähmter Mann wieder seinen rechten Arm ausstrecken und mit der Hand zugreifen. Über eine erste Studie mit der Technologie berichten jetzt Forscher von der Case Western Reserve University in Cleveland im US-Staat Ohio im Fachblatt "Lancet" (2017; online 28. März). "Obwohl das System bisher nur bei einem einzigen Patienten getestet wurde, bedeutet es einen großen Fortschritt, weil damit ein fast komplett gelähmter Mensch wieder hirnkontrollierte Bewegungen ausführen kann", betont das Team um Dr. Bolu Ajiboye von der Universität.
Ein Video zeigt die Handgelenksbewegungen des Patienten.
© Case Western Reserve University
Dem 53-jährigen gelähmten Patienten wurden in der BrainGate2-Studie Sensoren in eine Motorcortex-Region des Hirns verpflanzt, die für Handbewegungen zuständig ist. Die Sensoren wurden dann mit einem Computer zur Entschlüsselung der Hirn-Signale verbunden.
In einer ersten viermonatigen Phase lernte der Computer, welche Hirnsignale welche Bewegungen auslösen sollen. Anschließend bekam der Patienten 36 Muskel-stimulierende Elektroden in den rechten Ober- und Unterarm verpflanzt. Vier davon sollten Bewegungen von Finger, Daumen, Handgelenk, Ellenbogen und Schulter ermöglichen. Über die Elektroden wurden die Muskeln mit einem Stimulator acht Stunden pro Woche über 18 Wochen zur Kontraktion angeregt, um verloren gegangene Kraft und Beweglichkeit wiederherzustellen. Die Hirn-Computer-Schnittstelle wurde dann mit einem Stimulator verbunden, der die Hirnsignale in Kommandos für die Muskeln übersetzt. Die Kontraktionen werden vom Patienten intuitiv gesteuert. Eine Stütze verhindert dabei das Absinken des Arms.
Ein Jahr nach Implantation stellten die Forscher dem Patienten spezielle Aufgaben, wie eine Tasse Kaffee zum Mund zu führen oder sich selbst mit einer Gabel zu füttern. Die Bewegungen wurden zunächst komplett vom Computer gesteuert und dann langsam durch die Hirnsignale ausgeführt. Mit dem Training konnte der Patient dann binnen 20-40 Sekunden aus einer Tasse trinken oder Essen auf einer Gabel zum Mund führen und zubeißen.
"Obwohl es bereits ähnliche Systeme für Gelähmte gibt, hat sich bisher keins davon so schnell für Alltags-Aufgaben adaptieren lassen etwa zum Greifen mit der Hand", wird Ajiboye in einer Mitteilung des Fachblatts zitiert: "Unser System basiert auf bereits verfügbaren Muskel-stimulierenden Elektroden. In Zukunft wollen wir voll-implantierbare drahtlose Gehirn-Computer-Schnittstellen entwickeln. Diese sollen Gelähmten mit Neuroprothesen besser kontrollierbare, schnellere und präzisere Bewegungen ermöglichen", so Ajiboye in der Mitteilung. Gesundheitliche Störungen gab es nicht: Auch nach fast zweijähriger Implantation habe es mit dem System keine schweren Nebenwirkungen gegeben.
Ein zweites Video zeigt, wie sich die Beweglichkeit in anderen Gelenken nun steuern lässt.
"Es handelt sich hierbei eher um eine Machbarkeitsstudie als eine fundamentale Fortentwicklung von Neuroprothesen für Querschnittsgelähmte", betont Dr. Steve Perlmutter von der University of Washington in einem begleitenden Kommentar. "Das Verfahren ist bisher weit davon entfernt, außerhalb eines Labors benutzt zu werden. Die Bewegungen sind grob und langsam und erfordern eine ständige visuelle Kontrolle des Patienten, was allerdings auch für andere Systeme mit Hirn-Maschinen-Schnittstellen gilt", so Perlmutter: "Trotzdem ist es eine beeindruckende Demonstration, und das System weist in eine hellere Zukunft von Neuroprothesen für Querschnittsgelähmte."