Mit Seidenfasern das Augenlicht retten
Wird der Sehnerv durchtrennt, erblindet man unabwendbar - weil das Auge nicht in der Lage ist, sich zu regenerieren. Hoffnungen, das Augenlicht zu retten, wecken nun neu entwickelte Biomaterialien. Die Ergebnisse der Zellkulturversuche sind vielversprechend.
Veröffentlicht:LEIPZIG (eb). Das Auge ist bekanntlich eine Ausstülpung des Vorderhirns und gehört damit zum Zentralen Nervensystem. Zur Selbsterneuerung ist der Nerv, der die Lichtreize der Netzhaut ins Sehzentrum des Gehirns leitet, nicht in der Lage.
Die Durchtrennung des Sehnervs bedeutet Erblindung - unabwendbar. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus den USA und Frankreich haben Forscher der Universitätsaugenklinik Leipzig nun ein Material entwickelt, das verletzten Nerven beim Wachsen helfen könnte: elektrisch gesponnene Seidenfäden. Die Ergebnisse der Zellkulturversuche sind vielversprechend.
Sehnerv zum regenerativen Wachstum bewegen
"Anders als Nerven des peripheren Nervensystems, zu denen etwa der Ischiasnerv gehört, sind Nerven des Zentralen Nervensystems, also Gehirn, Rückenmark und Sehnerv, nicht zur Regeneration fähig", erklärt Professor Thomas Claudepierre, Wissenschaftler an der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Leipzig.
"Um einen Nerv des Zentralen Nervensystems zum regenerativen Wachstum zu bewegen, brauchen wir Biomaterialien, die für den verletzten Nerv eine Art Gerüst bilden, an dem er entlang wachsen kann. Gleichzeitig sollten sie sein Wachstum anregen", so der Experte.
Elektrisch gesponnene Seidenfasern - nur wenige millionstel Millimeter dick - eignen sich hierfür gut, fanden Claudepierre und seine Kollegen heraus. Besonders wenn sie bei der Herstellung mit Wachstumsfaktoren versehen werden, sind sie ideale Richtungsweiser für Nervenzellen, berichteten die Wissenschaftler jüngst im Fachmagazin "Advanced Functional Materials" (2011; 21: 4232).
Außer Claudepierre und Professor Peter Wiedemann, Direktor der Uniaugenklinik Leipzig, waren Forscher der Tufts Universität in Boston, USA, und der französischen Unis Straßburg und Compiègne an der Studie beteiligt.
Versuche mit Zellkulturen von Netzhautnervenzellen der Ratte
Für ihre Versuche nutzten die Forscher Zellkulturen von Netzhautnervenzellen der Ratte, die sie - um die Zerstörung des Nervs zu simulieren - in ein schädigendes Medium setzten.
Wie sich zeigte, wuchsen die Zellen trotz der widrigen Bedingungen an parallel angeordneten Seidenfäden auf einem Deckgläschen entlang. Indem die Forscher die Seidenfäden bei der Herstellung mit bestimmten Wachstumsfaktoren versetzten, konnten sie diesen Effekt noch verstärken.
"Wachstumsfaktoren, die in die Fasern eingeschlossen sind, können ihre Funktion über einen langen Zeitraum beibehalten", erläutert Claudepierre in einer Mitteilung des Uniklinikums Leipzig. Die Ausläufer von Nervenzellen, die an diesen speziell funktionalisierten Seidenfäden wuchsen, erzielten im Vergleich zu den Versuchen mit "normalen" Seidenfäden die zwei- bis dreifache Länge.
Seidenprotein Fibroin mit elektrostatischer Aufladung
Zum elektrischen Spinnen von Seidenfäden wird eine Flüssigkeit mit dem Seidenprotein Fibroin in eine Spritze geladen und durch das Anlegen einer starken Spannung elektrostatisch aufgeladen. Anschließend wird die Flüssigkeit als feiner Strahl zu einer negativ geladenen, rotierenden Kollektorspule geleitet.
Um den Seidenfaden in paralleler Anordnung "einzufangen", befestigten die Wissenschaftler auf der Spule kleine Deckgläschen. "Unser Ziel ist die Entwicklung eines 3-D-Gerüsts, das an der Stelle einer Nervenschädigung implantiert wird und die Zellen dabei unterstützt, ihre Nervenfortsätze zu regenerieren", erklärt Claudepierre.
Als nächsten Schritt wollen die Leipziger Wissenschaftler mit ihren Kollegen untersuchen, inwieweit auch die Gliazellen, die das Stützgewebe der Nervenzellen bilden, mithilfe der Seidenfasern ihre Orientierung wiedererlangen können. Anschließend soll das Modell im Tierversuch getestet werden.
Sind die Versuche erfolgreich, könnte die Methode eines Tages dabei helfen, Menschen vor gravierenden Behinderungen, etwa einer Erblindung, zu bewahren.