Multiresistente Erreger
Nach der Keimkrise ist vor der Keimkrise
31 Infizierte, 18 Tote und ein wirtschaftlicher Schaden von 6,5 Millionen Euro: Das ist die Bilanz des Acinetobacter-baumannii-Ausbruchs am Uniklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Um solche Krisen künftig zu vermeiden, braucht es mehr Anstrengung - und zwar nicht nur von Kliniken.
Veröffentlicht:KIEL. Sehr heilsam - so beschreibt Professor Stefan Ott die Erfahrungen mit dem Acinetobacter-baumannii-Ausbruch an seiner Klinik. So schlimm die Auswirkungen waren: "Das Bewusstsein für Hygiene" sei dadurch gestiegen, so der Oberarzt des Instituts für Innere Medizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel auf einer Veranstaltung der Frankfurter Medizinischen Gesellschaft.
Anfang dieses Jahres hatte ein Ausbruch des multiresistenten gramnegativen Erregers (MRGN) die Klinik in Atem gehalten. Bei 31 Patienten war der Keim nachgewiesen worden, 18 von ihnen sind gestorben. Bei drei der Patienten ist die Infektion ursächlich für den Tod.
In den anderen Fällen läuft ein Todesermittlungsverfahren gegen das UKSH. Insgesamt hat die Keimkrise das Klinikum nach Angaben von Ott 6,5 Millionen Euro gekostet, von denen nur 500.000 durch die Versicherung gedeckt sind.
Patienten aus Hochprävalenzländern screenen
Zur Hilfe kam dem UKSH damals unter anderen Professor Volkhard Kempf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene am Uniklinikum Frankfurt am Main.
Seit Jahren führt die Uniklinik freiwillig ein Screening nicht nur auf Methicillin resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) durch, sondern auch auf die in den letzten Jahren häufiger und gefährlicher werdenden MRGN.
Das Vorgehen ist als "Frankfurter Strategie" bekannt und geht noch über die Vorgabe der Krankenhaushygienekommission (KRINKO) des Robert Koch-Instituts hinaus, heißt es in einer Mitteilung der Uniklinik Frankfurt.
Die "Frankfurter Strategie" sieht unter anderem vor, Patienten, die aus einem Krankenhaus aus einem Hochprävalenzland in die Klinik kommen, zu isolieren und auf MRGN zu screenen. Auch der Kieler "Indexpatient" war, so Ott, nach einem Autounfall aus der Türkei auf die Intensivstation des UKSH gekommen.
Es ist in Kiel dann zwar ein Multiresistenz-Screening erfolgt, der Patient ist allerdings nicht prophylaktisch isoliert worden, sondern lag auf einem Dreibett-Zimmer. "Das war im Nachhinein ein Fehler", sagte Ott.
Hinzu kam, dass sich das Multiresistenz-Screening durch das bevorstehende Wochenende und eine Umstellung der Software des mikrobiologischen Instituts verzögerte, sodass der Acinetobacter-Nachweis erst etwa sieben Tage nach der Aufnahme des Patienten erfolgte.
Der Keim hatte also schon die beste Gelegenheit sich auf dem gesamten Gelände des UKSH zu verbreiten.
Zahl der Toten durch MRE steigt weltweit
Nun mag der Ausbruch in Kiel nur eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen oder auf ein Hygieneproblem zurückzuführen sein, doch multiresistente Keime sind eine stetig wachsende Bedrohung und könnten auch jede andere Klinik treffen.
Wie gravierend das Problem ist, zeigt eine Studie der Charité Berlin (wir berichteten). Demnach soll die Zahl der Toten von jetzt weltweit etwa 700.000 pro Jahr ohne Gegenmaßnahmen bis 2050 auf zehn Millionen steigen. Für Europa wird ein Anstieg von jetzt 23.000 auf 400.000 Tote prognostiziert.
Zwar sterben mehr Menschen mit als an multiresistenten Erregern (MRE), doch wenn es zur Infektion kommt, sind die Therapiemöglichkeiten stark begrenzt.
So war der Kieler Acinetobacter gegen gleich vier Antibiotikagruppen resistent (4 MRGN), konnte also nicht mit Acylureidopenicillinen, Cephalosporinen der dritten und vierten Generation oder selbst Imipenem und Meropenem behandelt werden.
Und auch gegen die Reserve-Antibiotika Tigecyclin und Colistin gibt es zunehmend Resistenzen.
Doch wie soll man umgehen mit den Problemkeimen? Ott nannte drei "key issues", die das UKSH aus der Krise mitgenommen hat: bei Patienten aus Hochprävalenzländern vorsichtiger sein; Isolierungsmaßnahmen und die Basishygiene konsequent durchführen.
Schnelltest in der Entwicklung
Was das Screening betrifft, so arbeite das UKSH zusammen mit einer US-Firma an einem molekularen Schnelltestverfahren, das einen Befund in zwei bis drei Stunden erbringen soll. Doch bis sich das Verfahren etabliert, werde es noch dauern.
Das UKSH hat den Umgang mit MRE auf die harte Tour gelernt. Besser wäre es, weltweit oder zumindest deutschlandweit einheitliche Maßnahmen zum Umgang mit Problemkeimen umzusetzen. Ansätze gibt es schon auf regionaler Ebene, wie in Frankfurt, wo dreijährig ein MRE-Siegel an Kliniken vergeben wird, die sich an die Vorgaben der KRINKO halten.
Das sind positive Beispiele, doch um das Problem der MRE dauerhaft anzugehen, muss deutschlandweit an einem Strang gezogen werden - und nicht nur in Kliniken, sondern auch in Heimen und anderen Pflegeeinrichtungen.