Gute Nachrichten des Jahres 2024
Positiver Jahresrückblick: Ein Schritt näher dem Traum vom Ende der HIV-Pandemie
An der Charité Berlin ist es zum zweiten Mal gelungen, einen Patienten mittels Stammzelltransplantation von HIV zu heilen. Und mit Lenacapavir steht in ärmeren Ländern mit hoher HIV-Prävalenz ein Generika-“Game Changer“ zur Verfügung. Ein weiterer Schritt hin zum Sieg über HIV – aus unserer Serie zu guten Nachrichten im Jahr 2024.
Veröffentlicht:Im Sommer war es soweit: Bei der internationalen Aids-Konferenz wurden die Daten des mittlerweile sechsten Patienten mit HIV vorgestellt, der nach einer allogenen, hämatopoetischen Stammzelltransplantation in der Lage ist, seine HIV-Infektion ohne antiretrovirale Therapie (ART) in Schach zu halten.
Direkt im Anschluss wurden außerdem die vor Ort als „Game Changer“ kommentierten Daten der Studie PURPOSE vorgestellt zum Einsatz von Lenacapavir als Mittel zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zum Schutz vor einer Infektion mit dem HI-Virus. Mit beiden Errungenschaften kommt die HIV-Medizin dem Traum des Endes der globalen HIV-Pandemie näher.
Um dieses Ziel zu erreichen, sehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der International AIDS Vaccine Initiative ein Zusammenspiel von vier Komponenten in der Pflicht: Die orale PrEP, die langwirksame, injizierbare PrEP, das Konzept „Treatment as Prevention“ - also die Idee, dass HIV-Neutransmissionen effektiv unterbunden werden, wenn mit HIV infizierte Menschen erfolgreich therapiert werden und deshalb nicht mehr infektiös sind - sowie schlussendlich Vakzinen gegen das Virus. Zwei dieser vier Komponenten haben dieses Jahr einen großen Schritt nach vorne gemacht.
Funktionelle Heilung
Wie steht es um die Heilungsmöglichkeiten einer HIV-Infektion? Die ist zwar nicht breit verfügbar, aber immerhin bei einigen Patienten ist das geglückt. Bis zu diesem Jahr waren sechs Patienten mit HIV und einer Stadt-Bezeichnung bekannt: Die Berlin-, London-, Düsseldorf-, New York-, City of Hope- sowie Genf-Patienten. Bei ihnen handelt es sich um Patientinnen oder Patienten mit HIV, die aufgrund einer hämatologischen Erkrankung eine Stammzelltransplantation benötigten.
Neue Spenderauswahl bei Transplantation möglich
Charité gelingt „zweite HIV-Heilung“
Angefangen mit den Ärzten, die Timothy Ray Brown an der Charité Berlin betreuten, wo er 2007 wegen seiner Leukämie eine Stammzelltransplantation erhielt, ist es unter bestimmten Umständen möglich, bei der Stammzelltransplantation einen Kniff zu unternehmen: Den Kniff nämlich, bei der Vorbereitung der Stammzelltransplantation bei der Auswahl des Spenders jemanden mit einer für den Empfänger günstigen Mutation auszuwählen, die ihn quasi immun gegen HIV macht.
Entwickeln sich nämlich aus den transplantierten Stammzellen Immunzellen im Körper des Empfängers mit ebenjener Mutation, sind die Empfänger anschließend in der Lage, das HI-Virus ohne ART in Schach zu halten.
32 Basenpaare Unterschied
Bei der Mutation, die für die Stammzelltransplantation benötigt wird, handelt es sich um eine Deletion von lediglich 32 Basenpaaren. Aus solchen Paaren (Adenin mit Thymin sowie Cytosin mit Guanin) ist ja das menschliche Genom aufgebaut: Insgesamt 3,2 Milliarden solcher Basenpaare bilden die 23 Chromosomen-Paare, in denen unser Erbgut enthalten ist.
Für Männer und genderdiverse Personen
Lenacapavir auch in zweiter Phase-III-Studie wirksame HIV-Präexpositionsprophylaxe
Bei manchen Menschen fehlen auf dem dritten Chromosom, genauer gesagt im Genlocus 3p21.31, eben jene 32 Basenpaare. Dieser Locus kodiert für den C-C-Motiv-Chemokin-Rezeptor 5, kurz CCR5, der auf der Oberfläche von Immunzellen ausgebildet wird. Diesen Korezeptor benötigt das HI-Virus im Regelfall, um die Zellen des Immunsystems zu infizieren, nachdem es sich an den Haupt-Rezeptor CD4 gebunden hat.
Fehlen im Genlocus diese 32 Basenpaare, so wird auch der CCR5-Rezeptor an der Oberfläche der Immunzellen nicht ausgebildet. Dem HI-Virus ist es dann oft nicht möglich, die Immunzellen zu infizieren.
Bei der Bindung von HIV an die Immunzellen, etwa an Makrophagen und verschiedene T-Lymphozyten, hat zwar auch noch der Korezeptor CXCR4 eine Funktion, in der Regel ist das HI-Virus aber ohne einen CCR5-Rezeptor von der Immunzelle ausgesperrt.
Das Fehlen der 32 Basenpaare für den CCR5-Rezeptor wird als CCR5-Delta32-Mutation bezeichnet. Damit sich der Effekt dieser Mutation auch durchsetzen kann, waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher der Meinung, dass diese Genveränderung homozygot in beiden Allelen vorkommen muss, also auf beiden Chromosomen des Chromosomen-Paares vorhanden sein. Bekannt ist so ein homozygotes Vorkommen von CCR5-Delta32 bei etwa einem Prozent der Nord- und Mitteleuropäer.
Fortschritte bei der Transplantation
Zwar war bei der New-York-Patientin bereits das etablierte Verfahren dahingehend weiterentwickelt worden, dass die Stammzellen nicht mehr per Knochenmarkstransplantation übertragen wurden, sondern die benötigten Stammzellen aus Nabelschnurblut gewonnen wurden. Das ist einfacher verfügbar und es ist eine weniger genaue Übereinstimmung zwischen Spender und Rezipient erforderlich im Vergleich zu Knochenmarkszellen.
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Das Team der Berliner Charité, das den zweiten Berlin Patienten behandelt, ging nun einen Schritt weiter, wie Dr. Christian Gaebler von der Charité bei der Konferenz berichtete: Diesmal verwendeten die Mediziner an der Charité heterozygote Allotransplantate, die sich eben nicht in beiden Allelen glichen, sondern lediglich in einem Allel die Deletion der 32 Basenpaare hatten. Das andere Allel entsprach dem Wildtyp, also der „herkömmlichen“ Basenpaarfolge ohne die Deletion.
Solche heterozygoten Spender-Stammzellen sind wesentlich leichter aufzutreiben als homozygote Spenderzellen. Obwohl damit nicht alle CCR5-Rezeptoren unterbunden wurden, sondern auch weiterhin eine reduzierte Zahl an Rezeptoren ausgebildet wurde, führte dies zu einer inzwischen fünf Jahre andauernden HIV-Remission, einer funktionellen Heilung, beim Patienten.
Seit der Transplantation sei bei dem zweiten Berlin Patienten keine HIV-RNA oder virales Wachstum mehr feststellbar, berichtete Gaebler. Stattdessen gebe es eine abnehmende Antikörper- und T-Zell-Immunität gegen das HI-Virus beim Patienten.
Damit ist die HIV-Forschung der Reduktion der viralen Reservoirs, einer andauernden HIV-Remission und letztlich auch dem Traum einer breiten Heilung von HIV einen kleinen Schritt näher gekommen. Die Tatsache, dass trotz vorhandener viraler Korezeptoren eine HIV-Eradikation stattgefunden habe, begeisterte auch die anderen Referenten bei der Konferenz.
Langwirksame PrEP
Ähnlich begeistert wurden die Ergebnisse zur langwirksamen, injizierbaren PrEP mit dem Capsid-Inhibitor Lenacapavir aufgenommen. Die Ergebnisse wurden als „Game Changer“ bei der PrEP bezeichnet. In den zwei Armen der Studie PURPOSE kam es bei 2.134 beziehungsweise 3.265 Teilnehmern insgesamt zu lediglich zwei HIV-Infektionen — die womöglich auf eine mangelhafte Adhärenz zurückzuführen sein könnten (New Engl J Med 2024; online 24. Juli und N Engl J Med 2024; 27. November ).
Mehrere Hoffnungsträger
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Der Hersteller Gilead hat sich entschieden, das Medikament in Deutschland nicht auf den Markt zu bringen. Er begründet dies mit der Erwartung, „dass sich der große klinische Nutzen, den das Produkt für die Patienten bietet, nicht in einer entsprechenden Bewertung im AMNOG-Verfahren niederschlagen wird“, hieß es bereits im Jahr 2023 dazu in einer Mitteilung von Gilead.
Für die internationale Versorgung von Menschen mit einer HIV-Infektion sind die Daten aus der Purpose-Studie trotzdem eine gute Nachricht in diesem Jahr. Denn besonders in Entwicklungsländern mit einer hohen HIV-Prävalenz ist die unterbrechungsfreie Versorgung mit oraler PrEP eine Herausforderung.
Das Unternehmen Gilead hat im Oktober bekannt gegeben, dass es mit sechs Pharmaherstellern nicht-exklusive, gebührenfreie und freiwillige Lizenzvereinbarungen zur Herstellung und zum Vertrieb von generischem Lenacapavir in 120 Ländern mit hoher Inzidenz und begrenzten Ressourcen, bei denen es sich hauptsächlich um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen handelt, unterzeichnet habe.
Die Vereinbarungen sei vor der Einreichung von Zulassungsanträgen bei den globalen Regulierungsbehörden unterzeichnet worden, um es diesen Ländern zu ermöglichen, im Falle einer Zulassung schnell hochwertige und kostengünstige Versionen von Lenacapavir zur HIV-Prävention einzuführen, heißt es in der Mitteilung von Gilead.
Das Unternehmen plane, das Produkt ohne Gewinn für das Unternehmen zu bepreisen und Lenacapavir zu liefern, bis die Generikahersteller die Nachfrage vollständig decken. Die Vereinbarungen würden auch Lenacapavir zur Behandlung von Erwachsenen mit langjähriger Therapieerfahrung mit einer multiresistenten HIV-1-Infektion umfassen.