Kreuzschmerz

Red Flags in der Kritik

Die meisten Leitlinien zum Rückenschmerz führen eine Reihe von Risikofaktoren (Red Flags) auf, deren Vorhandensein eine weiterführende Diagnostik rechtfertigt. Doch offenbar sind die wenigsten dieser Red Flags wirklich aussagekräftig.

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SYDNEY. Möglicherweise bedürfen einige aktuelle Empfehlungen zur Rückenschmerzdiagnostik der dringenden Überarbeitung. Eine australische Studie ergab, dass sich nur die Faktoren Alter, lange Steroidtherapie, schweres Trauma und Kontusion oder Abrasion als aussagekräftiger Hinweis auf eine möglicherweise vorliegende Fraktur eignen.

Als Warnsignal dafür, dass ein malignes Geschehen dem Kreuzschmerz zugrunde liegt, eignete sich lediglich der Screening-Faktor "Malignom in der Vorgeschichte".

In den meisten Fällen ist ein Rückenschmerz unter "unspezifisch" zu verbuchen und bedarf keiner aufwändigen Diagnostik. Dennoch steckt Schätzungen zufolge bei ein bis vier Prozent der Rückenschmerzpatienten eine Wirbelkörperfraktur und bei weniger als einem Prozent ein malignes Geschehen hinter den Beschwerden.

Um keine dieser seltenen Ursachen zu übersehen, haben die Autoren fast aller Leitlinien zum Teil lange Listen mit Faktoren zusammengetragen ("Red Flags"), bei deren Vorhandensein eine weiterführende Diagnostik angebracht ist. Einig ist man sich allerdings weder über die Art noch über die Wertigkeit der jeweiligen Faktoren.

Aron Downie und Kollegen von der University of Sydney haben vermeintliche Risikofaktoren und deren Aussagekraft jetzt in einem systematischen Review von 14 Studien genauer angesehen (BMJ 2013; online 11. Dezember).

Die Studien aus der Primärversorgung zeigten eine Prävalenz für Frakturen bei Rückenschmerzpatienten zwischen 1,8 und 4,3 Prozent und für maligne Geschehen zwischen 0,1 und 0,7 Prozent.

In der Sekundär- und Tertiärversorgung ergab sich für Frakturen eine Quote von 2,9 bis 9,1 Prozent. In einer Studie der Sekundärversorgung wurden bei 7 Prozent der Patienten Malignome diagnostiziert, und in der Tertiärversorgung lag die Malignomprävalenz zwischen 1,5 und 5,9 Prozent.

Red Flags oft ungeeignet

Insgesamt wurde die Wertigkeit von 29 Red Flags für Frakturen und 24 für Malignome überprüft. Viele der in aktuellen Leitlinien aufgeführten Red Flags sind offenbar nicht geeignet, um auf die Gefahr einer Fraktur oder eines malignen Geschehens hinzuweisen.

Die höchste Vorhersagewahrscheinlichkeit für eine Wirbelkörperfraktur bei Patienten mit Rückenschmerzen fanden die australischen Autoren im Zusammenhang mit einem höheren Lebensalter (9 Prozent), einer längeren Kortikoidtherapie (33 Prozent), einem schweren Trauma (11 Prozent) sowie nach Kontusion oder im Falle einer Abrasion (62 Prozent).

Mit dem Vorhandensein mehrerer Red Flags erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit für die Frakturdiagnose auf bis zu 90 Prozent.

Bei Patienten mit einem malignen Geschehen der Wirbelsäule war lediglich ein Malignom in der Vorgeschichte wegweisend. In diesem Fall erreichte die Vorhersagewahrscheinlichkeit in der Primärversorgung durchschnittlich 7 Prozent und in der Notfallversorgung 33 Prozent.

Die europäische Leitlinie zum Management des chronischen nichtspezifischen Kreuzschmerzes führt zehn verschiedene Red Flags für Frakturen und Malignität auf. Doch auch von ihnen erwiesen sich lediglich der Krebs in der Vorgeschichte des Patienten und die längere Steroidtherapie als aussagekräftige Warnsignale, die die Notwenigkeit einer weiterführenden Diagnostik anzeigen.

In den Ergebnissen der Studie sehen die Autoren die Bemühungen der Leitlinie des American College of Physicians bestätigt, die auf eine enger fokussierte Liste an Red Flags setzen. Folgt man den Kriterien der meisten aktuellen Leitlinien, dann findet sich bei 80 Prozent der Patienten in der Primärversorgung mindestens eine Red Flag, die eine weiterführende Diagnostik rechtfertigt.

Dies bedeutet, dass sich fast alle Rückenschmerzpatienten einem bildgebenden Verfahren unterziehen sollten - genau das, was man bei unkompliziertem Kreuzschmerz vermeiden wollte.

In einem Kommentar wird die sofortige Abschaffung derart formelhafter Empfehlungen gefordert: Red Flags sollten erst wieder in Leitlinien aufgenommen werden, wenn ihr Nutzen eindeutig nachgewiesen wurde. (St)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Einzelne Red Flags wertlos?

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 29.01.201414:08 Uhr

Welche Patienten haben die Australischen Forscher eigentlich untersucht?

Selbst die genaue Lektüre dieser australischen Publikation und der drei Kommentare von Shyan Goh, "Orthopaedic Surgeon" aus Sydney, der an die Herausgeber (''Editors'') des British Medical Journal mit entwaffnender Lockerheit "Dear Ed" schreibt, bzw. der hilflosen Antwort des korrespondierenden Studienautors Aron Downie, "PhD Student" im British Medical Journal von 2013 führt zu der Erkenntnis einer gewissen Substanzlosigkeit dieser Studie. Man schritt wohl nicht zum Äußersten an interventioneller Orthopädie und u n t e r s u c h t e physisch die Patienten.

Sämtliche "red flags" bleiben auf der rein deskriptiven, die Symptomatik der Patientinnen und Patienten allenfalls erfragenden und beschreibenden Ebene. Jegliche Zuordnung investigativer, physikalisch-physisch untersuchender Ergebnisse und Befunde bleiben bei den zahllosen "red flag"-Listen außen vor. Das selbst in der deutschen S-3-Leitlinie "nicht spezifischer Kreuzschmerz" ["patients with low back pain"] wesentliche Untersuchungskriterium "LOKALER DRUCK- ODER KREUZSCHMERZ DES PROCESSUS SPINOSUS" mit möglicher "radikulärer Symptomatik", "Stauchungschmerz" und "Sensibilitätsstörungen" findet keinerlei Erwähnung in dieser BMJ-Übersichtsarbeit.

Das Autorenteam scheint seinen immanenten Widerspruch zwischen lapidarem "low back pain" und dem s p e z i f i s c h e n Kreuzschmerz bei Malignomen und Frakturen ["Red flags to screen for malignancy and fracture in patients"] gar nicht begriffen zu haben. Daran ist möglicherweise die ''studentische'' Sichtweise des korrespondierenden Erstautors schuld. Denn es handelt sich gar nicht um einen banalen Kreuzschmerz, sondern um ein hochgradig ernsthaftes Krankheitsgeschehen mit primären und sekundären Malignomen resp. Wirbel-Frakturen.

Noch ein Wort zu typisch australischen Ungenauigkeiten. Am ersten Tag meines Studienaufenthalts in Sydney dachte ich, dieses "down under English" wirst du niemals verstehen lernen. Ein selbst erlebtes Beispiel: "Wanna barbie???" heißt dort soviel wie "Do you like to join us to a barbecue evening?" Deshalb auch einige missverständliche Formulierungen der Autoren aus Sydney: "Contusion" ist Prellung; "bruise" ist Quetschung (nicht squeeze, das bedeutet eher Orangen ausquetschen). Die Fingerquetschung(-einklemmung) ist dagegen "to nip one''s finger".

Das von der Autorin Dr. Christine Starostzik unübersetzt verwendete Wort "Abrasion" ist im vorliegenden Zusammenhang Hautabschürfung, Schürfwunde; wäre aber auch im gynäkologischen Englisch eine ''Ausschabung''.

An der Hautabschürfung sieht man leider auch die Unbedarftheit der BMJ-Autoren, die u. a. wegen e i n e s winzigen Kommafehlers in ihrer Originalarbeit eine Korrekturfahne hinterhergeschickt haben: Wie soll denn eine umschriebene Hautabschürfung o h n e klinische Untersuchung für sich alleine genommen ein "red flag"-Signal für Wirbelfrakturen und Malignome sein?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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