Ernährungsmediziner berichtet
So geht erfolgreich abnehmen
Drei Faktoren sind im Kampf gegen starkes Übergewicht entscheidend, betont Ernährungsmediziner Professor Bischoff. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erklärt er außerdem, warum eine Null-Diät nichts nützt und welche Fehler in der Adipositas-Therapie gerne gemacht werden.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Bischoff, sind bisherige Strategien zur Eindämmung der Adipositas-Epidemie gescheitert?
Professor Stephan C. Bischoff
Position: Geschäftsführender Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim in Stuttgart
Werdegang: Medizinstudium in Mainz und Straßburg, 1999 Assistent am Institut für Klinische Immunologie der Universität Bern, Fortbildung zum Facharzt für Gastroenterologie in Hannover, Visiting Professor an der Columbia University, 2004 Professor für Ernährungsmedizin Universität Hohenheim, ab 2009 Direktor des Zentrums für Ernährungsmedizin der Universitäten Hohenheim und Tübingen.
Engagement: Gründungsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mukosale Immunologie und Mikrobiom (DGMIM), Gründungsmitglied des European Mast Cell and Basophil Research Network (EMBRN), Herausgeber der Fachzeitschrift „Aktuelle Ernährungsmedizin“, 2012 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
Professor Stephan C. Bischoff: Ich gebe Ihnen Recht, besonders effektiv waren wir bislang nicht, zumindest auf Bevölkerungsebene. Die Prävention von Adipositas läuft bei Weitem nicht optimal.
Bei der Therapie sieht das anders aus: Auf der Individualebene können wir sehr erfolgreich sein, wenn die Betroffenen wollen und wenn sie vor Ort Zugang zu einem geeigneten Programm haben.
Aber: Die Angebote sind entweder nicht flächendeckend verfügbar oder deren Finanzierung unklar oder die Motivation der Betroffenen ist begrenzt.
Beginnen wir mit der Reduktion der Energiezufuhr: Es gab ja Jahre, in denen verschiedenste Diäten wissenschaftlich überprüft und diskutiert worden sind. Ist man damit jetzt durch?
Bischoff: Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der seine Irrungen und Wirrungen hinter sich hat. Zu der Konfusion haben zum Teil die Wissenschaftler selbst beigetragen, die sich mit nicht ausreichend gesicherten Erkenntnissen weit aus dem Fenster gelehnt haben, zum Teil aber auch die Presse mit der Aufarbeitung dieser Themen.
Natürlich ist Ernährung ein essenzieller Baustein einer jeden Adipositas-Therapie. Deswegen brauchen wir geeignete Ernährungskonzepte - und die haben wir! Ernährung ist es aber nicht alleine! Notwendig ist ein therapeutisches Gesamtkonzept.
Wie sieht das aus?
Bischoff: Der obligate Dreiklang dieses Konzepts besteht aus Ernährung, Bewegung und verändertem Verhalten. Das bedeutet zugleich: Sie brauchen nicht einen, sondern mindestens drei Therapeuten. Ein Kardinalfehler, den wir in der Vergangenheit oft gemacht haben, ist, dass wir nicht klar unterschieden haben, von welcher Phase der Therapie wir eigentlich reden.
Logischerweise steht die Phase der Gewichtsreduktion am Anfang der Therapie, dem folgt die Phase der Gewichtserhaltung nach erfolgreicher Reduktion. Sehr häufig hat man in puncto Ernährung diese zwei Phasen miteinander vermengt. Die Ernährungskonzepte in der ersten Phase müssen jedoch ganz andere sein als jene in der zweiten.
In der Gewichtsreduktionsphase muss die Kalorienzufuhr deutlich reduziert werden und zwar in einer Art und Weise, die vom Patienten toleriert wird. Das Hungergefühl muss kontrollierbar bleiben. In der zweiten Phase geht es vor allem um die Qualität der Ernährung und darum, das Gewicht zu halten.
Man hat mal nach der "eierlegenden Wollmilchsau" gesucht, also einer Diät, die alles abdeckt, Gewichtsreduktion wie Gewichtserhalt. Das ist kaum zu erwarten. Und: In der Vergangenheit haben wir uns zu wenig darum gekümmert, Hilfen für die zweite Behandlungsphase anzubieten.
Wie wichtig ist die Supplementierung von Vitaminen und Spurenelementen in der Adipositastherapie?
Bischoff: In der Gewichtsreduktionsphase ist es unausweichlich, dass es zu Defiziten in der Vitamin- und Mikronährstoffversorgung kommt. Das ist für gewisse Zeit durchaus zu verkraften. In der zweiten Behandlungsphase ist es absolut essenziell, dass ausreichend Makro- und Mikronährstoffe an Bord sind.
Über welchen Zeitraum kann denn unter einer Reduktionskost ein Vitamin- und Mikronährstoffdefizit toleriert werden?
Bischoff: Wenn wir von Monaten reden, über die eine Reduktionskost notwendig wird, muss dieses Thema auf jeden Fall adressiert werden. Manche Menschen praktizieren ja Fastenkuren - über ein bis zwei Wochen kann das toleriert werden, aber nicht länger. Die Mikronährstoffproblematik ist ein wesentlicher Grund dafür gewesen, dass man vom totalen Fasten abgekommen ist.
Die Null-Diät gilt in der Adipositastherapie inzwischen als obsolet.Was praktiziert wird, ist modifiziertes Fasten: Die Energiezufuhr ist begrenzt, liegt aber nicht bei Null. Zu dieser Kost gehören die Mikronährstoffe inklusive Vitamine.
Dazu gehören aber auch ausreichende Eiweißmengen, um der unerwünschten Abnahme von Muskelmasse vorzubeugen. Der dritte Baustein ist eine moderate Kohlenhydratzufuhr, und zwar in einer Menge, die das Gehirn für seinen Stoffwechsel benötigt.
Funktioniert das?
Bischoff: In der Praxis ist das gar nicht so einfach umzusetzen. Benötigt wird entweder eine sehr gute Ernährungsberatung durch eine erfahrene Fachkraft, die den Patienten begleitet. Oder man realisiert das über eine Formula-Diät, die genau die genannten Kriterien sicherstellt.
Ich weiß, dass das in Deutschland sehr kontrovers und teils emotional diskutiert wird. Aber wir leben nun mal im Zeitalter von Convenience-Lebensmitteln. Nur wenige Menschen haben die Zeit und Fähigkeit, sich ausreichend mit der Auswahl und Zubereitung von Mahlzeiten zu beschäftigen.
Für diese Menschen ist die Formula-Diät eine Hilfe. Aber natürlich nur für den Anfang! Wenn danach kein neues Ernährungskonzept kommt, wird der Effekt nur vorübergehend sein.
Um Abnehmwillige medizinisch zu unterstützen, sind medikamentöse Hilfen bis hin zur bariatrischen Chirurgie verfügbar. Welche Rangfolge ordnen Sie diesen Instrumenten zu?
Bischoff: Medikamentöse Optionen können ebenfalls eine Anfangshilfe sein. Leider haben wir jedoch in der Vergangenheit Enttäuschungen erfahren. Hochpotente Medikamente sind erfahrungsgemäß auch mit ausgeprägten Nebenwirkungen behaftet.
Im Moment ist in Deutschland mit Orlistat nur ein einziges Medikament zur Adipositas-Therapie zugelassen. Orlistat ist ausreichend sicher, aber seine Effektivität ist begrenzt: In Studien lag der mittlere Effekt im niedrigen einstelligen Kilobereich. Das ist für jemanden, der 50 kg abnehmen soll, nicht befriedigend.
Ein neuer Hoffnungsträger ist Liraglutid, das bereits aus der Diabetestherapie bekannt ist. Nach bisheriger Studienlage scheint es zur Gewichtsreduktion effektiver als Orlistat zu sein.
Als weiteres Medikament hat kürzlich Naltrexon/Buprion die EU-Zulassung erhalten. Allerdings hatten wir bereits einige Zulassungen, die dann leider aus Sicherheitsgründen von kurzer Dauer waren. Wir können nur hoffen, dass dies bei den neuen Medikamenten nicht der Fall sein wird.
Das werden wir aber erst sicher wissen, wenn sie eine Weile breit angewendet worden sind. Vielleicht sollten diese Medikamente gar nicht so sehr für die Abnehmphase verwendet werden, sondern auch für die zweite Phase. Womöglich könnten sie eine wertvolle Hilfe sein, um langfristig das Gewicht zu halten. Ich sehe dafür jedenfalls mehr Potenzial als für die Anwendung in der ersten Phase.
Dann stellt sich natürlich die Frage, wie lang medikamentös unterstützt werden müsste.
Bischoff: Das Thema ist bislang noch wenig untersucht worden. Für vorstellbar halte ich eine medikamentöse Hilfe zur Stabilisierung des Gewichts über zum Beispiel ein Jahr. Dann sollte der Lebensstil so verbessert sein, dass sich supportive Maßnahmen erübrigen.
Andererseits: Bei Bluthochdruck müssen auch lebenslang Medikamente genommen werden - oder nach bestimmten chirurgischen Eingriffen, die eine Gewichtsreduktion bewirken sollen. Welchen Stellenwert messen Sie den Methoden der bariatrischen Chirurgie bei!
Das sind sicher wertvolle Optionen, aber eben Reservemaßnahmen. Die Effektivität ist unbestritten. Aber auch diese Operationen haben unerwünschte Effekte und die Magen-Darm-Anatomie wird unter Umständen irreversibel verändert.
Notwendig ist eine sehr gute postoperative Betreuung der Patienten und diese Nachsorge ist zum Teil nicht eindeutig finanziell geregelt. Wir beobachten, dass da eine neue, größer werdende Subpopulation von postoperativen Adipositas-Patienten entsteht. Umso dringlicher wird es, für eine gute Betreuung dieser Menschen zu sorgen.