Spielsucht: Automaten-Lobby im Glück?
Wirtschaftsminister Rösler will die Regeln für Automaten in Spielhallen und Kneipen neu fassen. Doch die Anhörung wird von den Suchtexperten boykottiert: sie sehen freies Spiel für die Automatenlobby.
Veröffentlicht:BERLIN. Suchtexperten mehrerer Organisationen bleiben der im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) für Mittwoch angesetzten Anhörung von Verbänden über die geplante Novelle der Spielverordnung fern.
Diese regelt das gewerbliche Automatenspiel in Spielhallen und Gaststätte. Festgelegt werden darin auch technische Details, was Geldspielautomaten dürfen - und was nicht.
Im "Diskussionsentwurf" des BMWi vom 8. Februar heißt es: "Der Jugend- und Spielerschutz im gewerblichen Spiel soll verbessert werden."
Doch Fachverbände werfen dem Ministerium vor, es bei "kosmetischen Änderungen" belassen zu wollen.
Es müsse aber darum gehen, das Spiel an Automaten "auf den Unterhaltungsaspekt zurückzuführen", sagt Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht, der "Ärzte Zeitung".
Bis zu 500.000 pathologische Glücksspieler in Deutschland
Denn mit dem guten alten Flipper haben moderne Geldspielgeräte nichts mehr zu tun. Mehreren Studien zu Folge gibt es in Deutschland bis zu 500.000 pathologische Glücksspieler, das Spielverhalten von weiteren 800.000 Menschen gilt nach Schätzungen von Wissenschaftlern als problematisch.
Befeuert hat das Problem der Verordnungsgeber selbst - durch die letzte Novelle der Spielverordnung von 2006.
Das beklagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP) - und damit Parteikollegin von Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler: Durch die letzte Novelle sei "die Ereignisfrequenz, der Grad der Interaktivität, die Illusion der Beeinflussbarkeit und die Einsatz- und Gewinnstruktur (der Geräte) weiter erhöht worden", heißt es in einer Veröffentlichung der Drogenbeauftragten.
Mit dem immer höheren Spielanreiz hätten Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Spielsucht nicht Schritt gehalten, klagt Dyckmans.
Es sei möglich, an Geldspielgeräten "an einem Tag sein gesamtes Monatsgehalt zu verdonnern", sagt die Fachverbandsvorsitzende Füchtenschnieder.
Sie fordert ein Verbot, dass die Hersteller der Geräte auch Spielhallen betreiben dürfen. Zudem müsse die Gewinnmöglichkeit (bis zu 1000 Euro) und der maximale Verlust (80 Euro pro Stunde) drastisch beschränkt werden.
Die Nachfrage nach Beratung von Menschen mit problematischem Spielverhalten habe stark zugenommen - sowohl ambulant als auch stationär, berichtet sie. Bei mehr als 85 Prozent der Klienten in Suchthilfeeinrichtungen wird eine Abhängigkeit von Geldspielautomaten nach ICD-10 diagnostiziert.
"Die Automaten-Lobby beglücken"
Für Angelika Graf, Drogenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, ist der Boykott der Anhörung durch mehrere Fachverbände "konsequent".
Sie warf der FDP vor, das von ihr geführte Wirtschaftsministerium wolle "die Automaten-Lobby beglücken". Alle Forderungen der Suchthilfe würden in dem Verordnungsentwurf "ignoriert", suchtfördernde Elemente des Automatenspiels nicht eingedämmt, kritisiert Graf.
Schon an der Evaluation der bisher geltenden Spielverordnung zeigte sich das BMWi nach Ansicht von Suchtexperten nicht übermäßig interessiert.
Eine Expertise des vom Ministerium beauftragten Instituts für Therapieforschung München (IFT) wurde Ende 2010 erst auf mehrfaches Drängen der Opposition veröffentlicht.
Fazit des Gutachtens: "Die wirtschaftliche Entwicklung der Unterhaltungsautomatenbranche ist seit der Novelle wieder positiv verlaufen."