Demenz mit 50

Syphilis war Schuld

Eine 50-Jährige geht mit Halbseitenlähmung zu einem brasilianischen Neurologen. Der Arzt diagnostiziert einen Schlaganfall, stellt aber auch einen ungewöhnlichen geistigen Abbau fest. Als Ursache dafür entpuppt sich die Geschlechtskrankheit Syphilis.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Bei einer präsenilen Demenz sollten Ärzte auch stets eine infektiöse Ursache wie Syphilis ausschließen.

Bei einer präsenilen Demenz sollten Ärzte auch stets eine infektiöse Ursache wie Syphilis ausschließen.

© cray7 / fotolia.com

SãO PAULO. Seit 1990 hat sich die Syphilis-Inzidenz in etwa verdreifacht; jährlich werden zwischen 3000 und 3500 Neuerkrankungen in Deutschland gemeldet.

Vor allem in Großstädten mit bis zu 20 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Jahr haben Ärzte ganz gute Chancen, auch einmal einem Syphiliskranken zu begegnen.

Syphiliskranke finden jedoch vermutlich nicht zuerst den Weg in eine neurologische Praxis, da eine Neurosyphilis aber mit einer gewissen Latenz auftritt, könnten auch in Deutschland bald wieder häufiger ZNS-Komplikationen durch Treponema pallidum beobachtet werden.

Dass die ZNS-Probleme dann nicht gleich auf eine Spirochäten-Infektion zurückgeführt werden, ist zu vermuten.

Neurolues lag nicht auf der Hand

Auch brasilianische Neurologen um Dr. Nathália Visoná de Figueiredo aus São Paulo dachten nicht gleich an Neurolues, als sich bei ihnen eine 50-jährige Frau mit plötzlicher Hemiparese und einer linksseitigen taktilen Hypoästhesie vorstellte (JAMA Neurol., online 27. April).

Das MRT deutete auf einen ischämischen Schlaganfall in der rechten tempoparietalen Region. Zudem war andeutungsweise ein Basilar-Aneurysma zu erkennen. Die Angiografie bestätigte die Gefäßaussackung und deckte zwei weitere Aneurysmen in der mittleren Zerebralarterie auf.

Die Neurologen hätten es nun dabei belassen können: Mehrere Aneurysmen und ein Schlaganfall, eigentlich schien damit alles klar. Stutzig wurden sie jedoch, als ihnen der schlechte kognitive Zustand der Patientin auffiel.

Im Mini-Mental-Status-Test schaffte sie gerade noch 20 Punkte und hatte damit fast schon eine moderate Demenz. Wie sich herausstellte, hatte sich ihre kognitive Leistung bereits ein Jahr vor dem Schlaganfall rapide verschlechtert.

Die Neurologen wollten eine infektiöse Ursache für die Beschwerden ausschließen und veranlassten eine Liquoruntersuchung. Dabei fanden sie eine erhöhte Proteinkonzentration, auch der VDRL-Test auf Treponema pallidum war positiv, und es zeigten sich im Blut Antikörper gegen den Erreger.

Erreger infiltrieren Gefäßwand

Aneurysmen kommen immer wieder bei Syphilis-Infektionen vor. Vermutet wird, dass die Erreger die Gefäßwände infiltrieren und zu einer Entzündungsreaktion führen, die dann auch Infarkte auslösen kann. Dokumentiert sind Aneurysmen in der Aorta, der mittleren und der vorderen Zerebralarterie, bisher jedoch nicht in der Arteria basilaris.

Die Wissenschaftler konnten einen Zufallsbefund zwar nicht ausschließen, vermuteten aber einen Zusammenhang zwischen der Infektion, der frühen Demenz, den Aneurysmen und dem Schlaganfall.

Vor allem bei einer präsenilen Demenz sollten Ärzte stets auch eine infektiöse Ursache wie Syphilis ausschließen, schreiben sie. In dem beschriebenen Fall kam die Hilfe offenbar jedoch zu spät: Trotz Penicillin-Antibiose verbesserte sich die kognitive Leistung nicht mehr.

Die Autoren der S1-Leitlinie zur Neurosyphilis sehen ein großes Problem darin, "dass Ärzte mit dem Krankheitsbild wenig Erfahrung haben, es zu selten in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbeziehen und die regelmäßige Suche nach nicht treponemalen syphilistypischen Antikörperreaktionen (VDRL-Test, Kardiolipin-KBR) oder spezifischen Antikörperreaktionen nicht mehr stattfindet".

Zur Diagnose empfehlen sie ein MRT, eine Lumbalpunktion mit Bestimmung von Zellzahl, Gesamtprotein, Liquorlaktat sowie die synchrone Untersuchung von Liquor und Serum zur Errechnung der L/S-Quotienten für Albumin, IgG, IgA, IgM und eines Antikörperindexes für Treponemen-Antikörper.

Therapie der Wahl ist Penicillin G in kristalloider Lösung, intravenös verabreicht mit 18 - 24 Mio IE / d (3-4 Mio IE alle 4 Stunden) über 10 bis 14 Tage.

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