Immunzellen gegen Krebs
Therapie mit CAR-T-Zellen vor der Zulassung
In den USA steht die erste Gentherapie zur Behandlung von Krebspatienten vor der Zulassung. Auch in Deutschland dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis es so weit ist: Drei CAR-T-Zellprodukte durchlaufen derzeit in Europa ein beschleunigtes Zulassungsverfahren.
Veröffentlicht:Krebspatienten mit den eigenen, gentechnisch veränderten Immunzellen behandeln: Die Therapie mit CAR-T-Zellen, die in den USA wie auch in Europa kurz vor der Zulassung steht, rückt das zumindest für bestimmte Formen von Leukämie und Lymphomen in den Bereich des Möglichen.
Das Potenzial der CAR-T-Zellen ist seit zwei Jahrzehnten bekannt, aber es zu erforschen und einen funktionierenden Therapieansatz zu entwickeln, erwies sich als schwierig. Mehr als 200 klinische Studien dazu, zumeist in den USA und die meisten davon noch nicht abgeschlossen, bezeugen dies. Doch für Forscher ist mittlerweile klar: Speziell bei bestimmten Formen von Leukämie kann der Nutzen, allen Nebenwirkungen zum Trotz, groß sein.
"Das war völlig durchschlagend", sagte Dr. Stephan Grupp, Leiter des Krebs-Immuntherapie-Programms an der Kinderklinik von Philadelphia, der "New York Times". Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, Professor Klaus Cichutek, sieht das ähnlich: "Jetzt bricht wahrscheinlich eine neue Ära der Leukämiebehandlung an."
Emily Whitehead, heute 12 Jahre alt, ist hierfür eine Art Galionsfigur: Vor nunmehr fünf Jahren erhielt das an akuter lymphatischer Leukämie (ALL) erkrankte Mädchen die experimentelle Gentherapie. Die Sechsjährige litt unter der Therapie an schweren Nebenwirkungen: Über Wochen lag sie mit hohem Fieber im Koma. An ihrem siebten Geburtstag erwachte Emily aus dem Koma. Seitdem ist sie krebsfrei.
Eine CAR-T-Zelle zerstört 1000 Krebszellen
Der Kopf hinter dem klinischen Ansatz ist Professor Carl June von der University of Pennsylvania, der auch Emily behandelte. Schon vor Jahrzehnten versuchte er, T-Zellen gegen das HI-Virus einzusetzen. Bei der CAR-T-Zell-Therapie gegen Krebs, der sogenannten adoptiven Immuntherapie, werden T-Zellen aus dem Blut des Patienten isoliert und mithilfe eines viralen Vektors genetisch verändert, dann vervielfacht und dem Patienten reinfundiert. Durch die Genmanipulation bilden die T-Zellen an der Oberfläche einen CAR-Rezeptor (Chimeric Antigen Receptor) zur Erkennung eines spezifischen Oberflächenantigens auf den Krebszellen. Erkennen die CAR-T-Zellen dieses, werden sie zur Vermehrung angeregt und töten die Krebszellen ab. Allein eine solche T-Zelle kann so 1000 Tumorzellen zerstören.
Besonders erfolgreich scheint die Therapie derzeit bei malignen CD19-positiven B-Zellerkrankungen zu sein, bestätigte auch das PEI jüngst in einer umfassenden Bilanz aller Studien mit CAR-T-Zellen (EMBO Mol Med 2017; online 1. August).
Um diese Medikamente herzustellen und sie sicher zu verabreichen, ist jedoch viel Expertise nötig. Denn der hohen therapeutischen Wirksamkeit steht das Risiko hoher Nebenwirkungen gegenüber. Insbesondere der Zytokinsturm, bei dem eine Vielzahl von Zytokinen durch die aktivierten Immunzellen freigesetzt wird, kann lebensbedrohlich werden, erinnert das PEI in einer Mitteilung. Eine weitere mögliche Nebenwirkung ist die Neurotoxizität. In den USA wird die Therapie, deshalb wohl nur an wenigen Spezialzentren möglich sein.
"Auch in Europa muss die Infrastruktur und Zusammenarbeit von Kliniken und Herstellern noch besser werden, um diese Therapie zu beherrschen und weiterzuentwickeln", betont Cichutek. Während normalerweise bei der klinischen Prüfung neuer Arzneimittelgruppen ein relevanter Anteil der Studien in Europa durchgeführt werde, sei dies bei CAR-T-Zellen mit einem Anteil von weniger als zehn Prozent nicht der Fall, so das PEI.
"Die Kosten sind sehr hoch"
Die US-Zulassung von CD19-spezifischen CAR-T-Zellen des Herstellers Novartis zur Behandlung von ALL-Patienten wäre die erste für eine Gentherapie gegen Krebs. Andere Anträge folgen aber bereits: Kite Pharma will sie zur Behandlung aggressiver Non-Hodgkin-Lymphome auf den Markt bringen. Auch für die Therapie Multipler Myelome liegen der FDA Anträge vor.
In Europa sieht es ähnlich aus: Mithilfe des beschleunigenden Prime-Verfahrens könnte die Europäische Kommission vielleicht sogar noch 2017 grünes Licht für die CAR-T-Zell-Therapie geben. Drei Anträge liegen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) bereits vor. Zunächst sind schwerkranke Patienten, für die keine andere Option mehr besteht, die Zielgruppe. Aber ein früherer Einsatz könnte die Erfolgsquote noch erhöhen, vermuten die Forscher.
Bleiben die Kosten: Mehrere 100.000 Euro könnte eine solche Therapie in Deutschland kosten. Einige Tausend Patienten würden in Europa jährlich davon profitieren, schätzen Experten. "Die Kosten sind sehr hoch. Aber eventuell reicht eine solche Therapie für viele Jahre aus", sagt Cichutek.
Zur Zeit wird versucht, die Erfolge auf solide Tumoren auszuweiten. "Die CAR-T-Zellen sind Hoffnungsträger", sagt PEI-Forscherin Dr. Jessica Hartmann. Doch solide Tumoren sind für die CAR-T-Zellen schwieriger zu erreichen, da sie sich in dem für sie ungünstigen Milieu behaupten müssen. Mehr als 20 verschiedene CAR-T-Zellprodukte werden dazu derzeit klinisch erprobt. "Solche soliden Tumoren sind wie Fort Knox", so Grupp. (dpa, Mitarbeit grz)