Leitartikel zur Ernährung

Viele Studien mit wenig Nährwert

Untersuchungen, wie man sich gesund essen kann, gibt es im Überfluss. Doch die meisten sind mit größter Vorsicht zu genießen. Und wollte man wirklich wissen, welche Ernährung die Gesundheit schützt, bräuchte es riesige, teure Studien. Bloß würden die auch unsere Ernährungsweise verändern?

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Die Vorstellung von gesunder Ernährung in unseren Köpfen wird durch viele Studien mit fragwürdigen Ergebnissen geprägt.

Die Vorstellung von gesunder Ernährung in unseren Köpfen wird durch viele Studien mit fragwürdigen Ergebnissen geprägt.

© Tijana / fotolia.com

Das Risiko für Myokardinfarkt und Schlaganfall lässt sich um 39 Prozent senken, wenn man täglich acht Gramm Schokolade nascht. Alternativ kann man auch Nüsse knabbern - damit geht die Herzinfarktrate um 48 Prozent zurück. Oder wenigstens einmal in der Woche fetten Fisch auf den Tisch bringen: macht 44 Prozent weniger Infarkte.

Und was ließe sich erst mit der Tripel-Diät bewirken? Vermutlich ernüchternd wenig, ebenso wie mit den einzelnen Komponenten, sofern sie unter kontrollierten Bedingungen getestet würden. Die genannten und vielfach berichteten relativen Risikoreduktionen stammen nämlich aus Beobachtungsstudien, die solche Schlussfolgerungen eigentlich gar nicht zulassen.

Mithilfe von Beobachtungsstudien kann nur festgestellt werden, ob zwei Konstellationen besonders häufig gemeinsam auftreten. Aus einem solchen Zusammentreffen lässt sich aber kein ursächlicher Zusammenhang ableiten. Wenn eine Beobachtungsstudie ergibt, dass ältere Männer, die das Frühstück ausfallen lassen, häufiger einen Herzinfarkt erleiden, bedeutet dies eben nicht, dass Frühstücken vor dem Infarkt schützt.

Möglicherweise nehmen sich gestresste und daher infarktgefährdete Menschen einfach nur nicht die Zeit für eine Morgenmahlzeit. Solche Korrelationen zu Kausalitäten umzudeuten, ist unzulässig, wird aber trotzdem häufig gemacht.

Essverhalten wird in der Regel erfragt

Neben dieser Limitation aller Beobachtungsstudien kommt bei Ernährungsstudien ein spezifisches Problem dazu: das Erinnerungsvermögen. Das Essverhalten wird in der Regel von den Studienteilnehmern erfragt. Die Ergebnisse sprechen nicht immer für deren Gedächtnis.

So ist zum Beispiel die im NHANE-Survey berichtete Energieaufnahme unphysiologisch niedrig für gesunde Menschen. Bei den adipösen Studienteilnehmern fehlten pro Tag rund 800 Kilokalorien.

Menschliche Schwächen scheinen aber auch darüber hinaus die Ergebnisse mancher Ernährungsstudien zu beeinflussen. So wird der Limonadenkonsum zwar in 80 Prozent aller epidemiologischen Studien mit einer Gewichtszunahme in Zusammenhang gebracht. Beschränkt man sich jedoch auf die Studien, die von den Getränkeherstellern unterstützt wurden, dann finden ebenfalls 80 Prozent keine derartige Korrelation.

Beobachtungsstudien mit erwartbar kleinen Effekten, wie in der Primärprävention mit einzelnen Nahrungsmitteln, sind außerdem besonders anfällig für systematische Verzerrungen.

Laut John P.A. Ioannidis, Professor für Medizin, Statistik, Gesundheitsforschung und -politik vom Stanford Prevention Center, wird mit einzelnen Diätkomponenten höchstens eine zehnprozentige, meistens aber eine weniger als fünfprozentige relative Risikoreduktion von schweren klinischen Ereignissen zu erreichen sein - wenn man die Bevölkerungsterzilen mit dem höchsten und dem geringsten Konsum vergleicht (BMJ 2013; 347: f6698).

Jeder Störfaktor oder jede Ungleichheit in den Patientengruppen kann daher zu einem Rauschen führen, das den eigentlichen Effekt weit übertrifft.

Nötig wären große prospektive Studien

Damit die Ernährungsforschung ernst zu nehmende Ergebnisse hervorbringt, braucht sie mehr randomisierte kontrollierte Studien. Ein Garant für valide reproduzierbare Ergebnisse sind sie jedoch auch nicht.

Ein Beispiel: die im letzten Jahr veröffentlichte PREDIMED-Studie, der zufolge eine mediterrane Diät plus eine Extraportion Olivenöl oder Nüsse das relative Risiko für ein schweres kardiovaskuläres Ereignis um 30 Prozent senkt. Die Effektgröße ist laut Ioannidis "wahrscheinlich stark übertrieben".

Schuld an diesen und ähnlichen Ergebnissen könnten der frühzeitige Studienabbruch, aber auch die Beschränkung auf Hochrisikopatienten, die Art der Vergleichsdiät oder andere Formen von Selektionsbias sein. Ioannidis sieht deswegen die Zeit für randomisierte Megastudien gekommen. "Definitive Antworten erhalten wir nicht mit einer weiteren Million Beobachtungsstudien oder kleinen randomisierten Studien."

Nur mit riesigen Langzeitstudien unter randomisierten kontrollierten Bedingungen wird es letztlich möglich sein, herauszufinden, mit welcher Ernährung sich die Mortalität senken lässt. Solche Studien sind extrem aufwendig und teuer. Am Ernährungsverhalten insgesamt werden sie vermutlich trotzdem nicht viel ändern.

Auch heute schon weiß man, dass eine ausgeglichene normokalorische Diät eine Adipositas mit ihren tödlichen Folgen verhindern kann. Dennoch sind 23 Prozent der Deutschen fettsüchtig. Wenn es für die Ernährungsberatung nicht genügend Geld gibt, ist die Ernährungsforschung wenig wert.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 14.02.201412:48 Uhr

Mit dem Wurst z i p f e l geht es noch lange nicht um die Wurst?

Herzlichen Dank an die ÄZ-Autorin, Beate Schumacher, für ihre kritische Übersicht. Ich möchte die von ihr angesprochene Problematik an einem Beispiel verdeutlichen:

Die "European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition" (EPIC) Studie mit knapp 450.000 Teilnehmern/-innen ergibt nichts als ein dichtes Gestrüpp von unüberschaubaren und in sich widersprüchlichen Ergebnissen. Ernährungsgewohnheiten lassen sich auch durch detaillierte Fragebögen immer nur r e t r o s p e k t i v und n i c h t prospektiv erfassen. Deshalb bleiben bei EPIC alle Ausgangshypothesen beliebig vorformuliert, die Ergebnisdiskussionen an eigenen Studieninteressen orientiert und die Schlussfolgerungen somit invalide.

Dies lässt sich an der Originalpublikation demonstrieren:
http://www.biomedcentral.com/content/pdf/1741-7015-11-63.pdf
"Ergebnisse - Männer und Frauen in den Kategorien mit der höchsten Aufnahme an rotem oder weiterverarbeitetem Fleisch konsumierten weniger Früchte und Gemüse, als jene mit geringer Fleischzufuhr. Sie waren wesentlich wahrscheinlicher aktive Raucher, mit niedrigerem Bildungsgrad. Speziell Männer mit hohem rotem Fleischverbrauch konsumierten mehr Alkohol...Die Charakteristika des Konsums von Geflügel unterschieden sich von dem Vorgenannten. Wer mehr als 80 g Geflügel tgl. aufnahm, aß auch mehr Obst und Gemüse, als diejenigen mit weniger als 5 g Geflügel tgl. Rauchgewohnheiten machten dabei keinen Unterschied." ["Results - Men and women in the top categories of red or processed meat intake in general consumed fewer fruits and vegetables than those with low intake. They were more likely to be current smokers and less likely to have a university degree (Table 1). Men with high red meat consumption consumed more alcohol than men with a low consumption, which was not seen in women. Baseline characteristics by consumption of poultry differed somewhat from the pattern observed for red and processed meat; individuals consuming more than 80 g poultry per day had a higher consumption of fruits and vegetables than those with an intake of less than 5 g per day, but there was no difference in smoking habits at baseline."]

Im zusammenfassenden Abstract lesen sich die Ergebnisse keineswegs so eindeutig: "Ein (extrem) hoher Verbrauch von über 160 g (!) rotem Fleisch täglich (!) gegenüber 10 bis 19,9 g tgl. hing, bezogen auf die Gesamtmortalität, mit einer (kaum messbar erhöhten) Hazard Ratio von 1,14 zusammen. Bei weiterverarbeitetem Fleisch war das Risikoverhältnis mit einer HR=1,44 eindeutiger; auch hier ging es um den Konsum von ü b e r 160 g tgl. vs. 10 bis 19,9 g von Produkten aus Fleisch. Nach (dann erst stattfindenden) Messfehler-Korrekturen (!) blieb nur, bezogen auf die Gesamtmortalität, eine (geringfügig) erhöhte Hazard-Ratio für weiterverarbeitetes rotes Fleisch von 1,18 übrig. Das Autorenteam schätzte, dass 3,3 Prozent der Todesfälle vermieden werden könnten, wenn a l l e Studienteilnehmer w e n i g e r als 20 g/Tag weiterverarbeitetes Fleisch konsumieren würden. Es werden signifikante Assoziationen mit kardiovaskulären Krankheiten, Krebs und ''anderen Todesursachen'' beobachtet. Der Verbrauch von Geflügel zeigte keine Beziehung zur Gesamtmortalität." ["Results: ... high consumption of red meat was related to higher all-cause mortality (hazard ratio (HR) = 1.14, 95% confidence interval (CI) 1.01 to 1.28, 160+ versus 10 to 19.9 g/day), and the association was stronger for processed meat (HR = 1.44, 95% CI 1.24 to 1.66, 160+ versus 10 to 19.9 g/day). After correction for measurement error, higher all-cause mortality remained significant only for processed meat (HR = 1.18, 95% CI 1.11 to 1.25, per 50 g/d). We estimated that 3.3% (95% CI 1.5% to 5.0%) of deaths could be prevented if all participants had a processed meat consumption of less than 20 g/day. Significant associations with processed meat intake were observed for cardiovascular diseases, ca

Prof. Dr. Volker von Loewenich 13.02.201413:32 Uhr

Leitartikel zur Ernährung

Diese Kritik spricht einem aus dem Herzen. So ist die sog. mediterrane Diät genau nicht das, was man in mediterranen Ländern isst.
Grosse randomisierte Studien könnten vielleicht weiterhelfen. Aber: wie soll man es schaffen, dass Probanden über Jahre hinweg eine streng definierte Ernährungsweise innehalten? Wer lässt denn sowas mit sich machen? Solche Studien bleiben Utopie. Und so werden wir alle paar Jahre wieder Publikationen lesen, in denen aus Beobachtungen phantastische Empfehlungen resultieren. Wenn man alt genug ist kann man sich erinnern: Eier sind schädlich, Eier sind nicht schädlich. Margarine ist besser als Butter, Butter ist besser als Margarine. Fischöl soll man schlucken, Fischöl nützt nichts, usw. usw.. Das einzhige was hilft: FDH: friss die Hälfte. Auch nicht in randomisierten Studien erforscht, aber sehr plausibel.

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