Gefährliche Belastungen

WHO empfiehlt strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe

Die Weltgesundheitsorganisation veröffentlicht neue Leitlinien zur Luftqualität. Darin senkt sie die Grenzwerte für die Belastungen mit Feinstaub und Stickstoffdioxid zum Teil massiv. Das dürfte Folgen für die EU-Werte haben.

Veröffentlicht:
Messstation für Luftschadstoffe: Werden die EU-Grenzwerte bald gesenkt?

Messstation für Luftschadstoffe: Werden die EU-Grenzwerte bald gesenkt?

© Jochen Tack / imageBROKER / picture alliance

Köln. Die aktualisierte Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Luftqualität beinhaltet massive Veränderungen der bisherigen Empfehlungen für die Belastungen mit Feinstaub und Stickstoffdioxid.

So liegt der Wert für die NO2-Belastung künftig nicht mehr wie bisher bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, wie es auch die rechtlich bindenden Grenzwerte für die EU vorschreiben, sondern bei dann nur noch 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, teilt das Science Media Center (SMC) mit.

Die WHO-Empfehlung für die Langzeitbelastung mit Feinstaub PM2.5 liegt nun bei 5 statt bisher 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (EU-Grenzwert 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft), die für Feinstaub PM10 bei 15 statt bisher 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (EU-Grenzwert 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft).

Künftig mehr Überschreitungen der Grenzwerte?

Eine Umsetzung der WHO-Empfehlungen in den EU-Grenzwerten hätte zur Folge, dass auch in Deutschland wieder deutlich mehr Stationen, die Luftqualität messen, Überschreitungen der zulässigen Belastung anzeigen würden als zuletzt, heißt es in der Mitteilung.

Doch was bedeutet das konkret zum Beispiel für die Belastung mit Stickstoffdioxid? Im Jahr 2019 wurde laut SMC an 51 Messstationen – alles verkehrsnahe, städtische Messpunkte – der Grenzwert überschritten, im Jahr 2020 noch an sieben, obwohl in diesem Jahr die Corona-Effekte berücksichtigt werden müssen.

Werden nun die neuen WHO-Leitlinien zugrunde gelegt, so ändert sich das Bild sehr deutlich: Alle bundesweiten 252 städtisch verkehrsnahen Messstationen überschreiten den neuen Richtwert von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel – sowohl 2019 als auch 2020. Darüber hinaus wären nahezu alle Stationen zur Messung des städtischen Hintergrundes betroffen (98 von 109) und viele weitere Stationen, auch im ländlichen Umfeld, so das SMC.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Datawrapper Um mit Inhalten aus Datawrapper zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung. Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte aus Sozialen Netzwerken und von anderen Anbietern angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Weitere Information dazu finden Sie hier.

Die WHO spricht in ihren neuen Leitlinien Empfehlungen und Zwischenziele für die sechs wichtigsten Luftschadstoffe aus: Feinstaub (PM2.5 und PM10), Stickstoffdioxid NO2, Ozon O3, Schwefeldioxid SO2 und Kohlenmonoxid CO. 15 Jahre nach den zuletzt veröffentlichten und bislang gültigen Leitlinien bündelt sie seitdem hinzugewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Luftqualität und gesundheitlichen Folgen.

So liegt inzwischen eindeutige Evidenz vor, dass sich die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung bei noch niedrigeren Konzentrationen als bisher angenommen zeigen. Zum ersten Mal formuliert die WHO auch Empfehlungen für Langzeitbelastung mit Ozon sowie für die Tagesbelastungen mit NO2 und Kohlenmonoxid.

Besondere Brisanz für die europäische Gesetzgebung könnten die neuen Leitlinien laut SMC-Mitteilung durch den Beschluss des Europäischen Parlaments im März 2021 bekommen. Darin fordert das Parlament, die EU-Luftqualitätsnormen zu aktualisieren, sobald die neuen WHO-Leitlinien veröffentlicht sind und dabei die Grenzwerte an den Empfehlungen zu orientieren. Der bisherige Zeitplan siehe diese Aktualisierung für das dritte Quartal 2022 vor, heißt es in der Mitteilung.

Vermeidung von vorzeitigen Todesfällen möglich

Luftverschmutzung ist global eine der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit. Die Europäische Umweltagentur EEA geht von etwa 417.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr allein in 41 europäischen Staaten aus.

Etwa acht Prozent der städtischen Bevölkerung in der Europäischen Union sind Belastungen mit Feinstaub PM2.5 ausgesetzt, die die Grenzwerte der EU überschreiten; sogar 77 Prozent sind es, wenn die bisherigen WHO-Richtwerte als Maßstab gelten. Wenn die WHO-Richtwerte für Feinstaub PM2.5 eingehalten werden würden, könnten laut SMC etwa 80 Prozent der auf diesen Schadstoff zurückzuführenden vorzeitigen Todesfälle vermieden werden.

„Die neuen Werte der WHO-Leitlinie leiten sich direkt aus den bereits seit längerem veröffentlichten Übersichtsarbeiten und Metaanalysen von mehreren Dutzend Studien ab; insofern ist das Ergebnis keine Überraschung“, wird Professor Barbara Hoffmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, in der Mitteilung zitiert.

„Die WHO zeigt mit den Richtwerten, dass auch geringe Konzentrationen von Luftschadstoffen, die weit unter den bisherigen empfohlenen Richtwerten liegen, schwerwiegende Gesundheitseffekte auslösen können. Das haben wir auch vorher schon in einzelnen Studien sehen können, zum Beispiel unsere ganz aktuelle Studie aus Europa, die die Schlussfolgerungen der WHO absolut bestätigt.“ (ikr)

Mehr zum Thema

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger

Herausforderung Klimawandel

Reha macht sich nachhaltig

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Einem stabilen Herzrhythmus auf der Spur

© Gruzdaitis / Fotolia

Herzrhythmusstörungen

Einem stabilen Herzrhythmus auf der Spur

Kooperation | In Kooperation mit: Trommsdorff GmbH & Co. KG
Elektrolyte und ihre Funktion im kardialen Stoffwechsel

© [M] 7activestudio / stock.adobe.com

Kalium und Magnesium

Elektrolyte und ihre Funktion im kardialen Stoffwechsel

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Trommsdorff GmbH & Co. KG
Darum ist ein ausgeglichener Kalium-Magnesium-Haushalt wichtig

© Predel | Rolf Schulten | Rolf Schulten

Video-Statements

Darum ist ein ausgeglichener Kalium-Magnesium-Haushalt wichtig

Kooperation | In Kooperation mit: Trommsdorff GmbH & Co. KG
Kommentare
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Kardiovaskuläres Risiko und Körpergewicht senken

© Springer Medizin Verlag

Kardiovaskuläres Risiko und Körpergewicht senken

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
Abb. 1: Studie PACIFIC: OS von Patientinnen und Patienten mit inoperablem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom im Stadium III und PD-L1 (programmed cell death ligand 1)-Expression 1%

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [1]

Nicht kleinzelliges Lungenkarzinom im Stadium III

Chance auf Kuration mit dem PACIFIC-Regime

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger

Lesetipps
Ein Mettbrötchen

© juefraphoto / stock.adobe.com

Tödlicher Einzeller im Hirn

Fallbericht: Amöbenenzephalitis nach Verzehr von rohem Fleisch?

Ärztin misst bei einer Patientin den Blutdruck

© goodluz / stock.adobe.com

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll