Gefährliche Belastungen
WHO empfiehlt strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe
Die Weltgesundheitsorganisation veröffentlicht neue Leitlinien zur Luftqualität. Darin senkt sie die Grenzwerte für die Belastungen mit Feinstaub und Stickstoffdioxid zum Teil massiv. Das dürfte Folgen für die EU-Werte haben.
Veröffentlicht:Köln. Die aktualisierte Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Luftqualität beinhaltet massive Veränderungen der bisherigen Empfehlungen für die Belastungen mit Feinstaub und Stickstoffdioxid.
So liegt der Wert für die NO2-Belastung künftig nicht mehr wie bisher bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, wie es auch die rechtlich bindenden Grenzwerte für die EU vorschreiben, sondern bei dann nur noch 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, teilt das Science Media Center (SMC) mit.
Die WHO-Empfehlung für die Langzeitbelastung mit Feinstaub PM2.5 liegt nun bei 5 statt bisher 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (EU-Grenzwert 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft), die für Feinstaub PM10 bei 15 statt bisher 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (EU-Grenzwert 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft).
Künftig mehr Überschreitungen der Grenzwerte?
Eine Umsetzung der WHO-Empfehlungen in den EU-Grenzwerten hätte zur Folge, dass auch in Deutschland wieder deutlich mehr Stationen, die Luftqualität messen, Überschreitungen der zulässigen Belastung anzeigen würden als zuletzt, heißt es in der Mitteilung.
Doch was bedeutet das konkret zum Beispiel für die Belastung mit Stickstoffdioxid? Im Jahr 2019 wurde laut SMC an 51 Messstationen – alles verkehrsnahe, städtische Messpunkte – der Grenzwert überschritten, im Jahr 2020 noch an sieben, obwohl in diesem Jahr die Corona-Effekte berücksichtigt werden müssen.
Werden nun die neuen WHO-Leitlinien zugrunde gelegt, so ändert sich das Bild sehr deutlich: Alle bundesweiten 252 städtisch verkehrsnahen Messstationen überschreiten den neuen Richtwert von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel – sowohl 2019 als auch 2020. Darüber hinaus wären nahezu alle Stationen zur Messung des städtischen Hintergrundes betroffen (98 von 109) und viele weitere Stationen, auch im ländlichen Umfeld, so das SMC.
Die WHO spricht in ihren neuen Leitlinien Empfehlungen und Zwischenziele für die sechs wichtigsten Luftschadstoffe aus: Feinstaub (PM2.5 und PM10), Stickstoffdioxid NO2, Ozon O3, Schwefeldioxid SO2 und Kohlenmonoxid CO. 15 Jahre nach den zuletzt veröffentlichten und bislang gültigen Leitlinien bündelt sie seitdem hinzugewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Luftqualität und gesundheitlichen Folgen.
So liegt inzwischen eindeutige Evidenz vor, dass sich die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung bei noch niedrigeren Konzentrationen als bisher angenommen zeigen. Zum ersten Mal formuliert die WHO auch Empfehlungen für Langzeitbelastung mit Ozon sowie für die Tagesbelastungen mit NO2 und Kohlenmonoxid.
Besondere Brisanz für die europäische Gesetzgebung könnten die neuen Leitlinien laut SMC-Mitteilung durch den Beschluss des Europäischen Parlaments im März 2021 bekommen. Darin fordert das Parlament, die EU-Luftqualitätsnormen zu aktualisieren, sobald die neuen WHO-Leitlinien veröffentlicht sind und dabei die Grenzwerte an den Empfehlungen zu orientieren. Der bisherige Zeitplan siehe diese Aktualisierung für das dritte Quartal 2022 vor, heißt es in der Mitteilung.
Vermeidung von vorzeitigen Todesfällen möglich
Luftverschmutzung ist global eine der größten Gefahren für die menschliche Gesundheit. Die Europäische Umweltagentur EEA geht von etwa 417.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr allein in 41 europäischen Staaten aus.
Etwa acht Prozent der städtischen Bevölkerung in der Europäischen Union sind Belastungen mit Feinstaub PM2.5 ausgesetzt, die die Grenzwerte der EU überschreiten; sogar 77 Prozent sind es, wenn die bisherigen WHO-Richtwerte als Maßstab gelten. Wenn die WHO-Richtwerte für Feinstaub PM2.5 eingehalten werden würden, könnten laut SMC etwa 80 Prozent der auf diesen Schadstoff zurückzuführenden vorzeitigen Todesfälle vermieden werden.
„Die neuen Werte der WHO-Leitlinie leiten sich direkt aus den bereits seit längerem veröffentlichten Übersichtsarbeiten und Metaanalysen von mehreren Dutzend Studien ab; insofern ist das Ergebnis keine Überraschung“, wird Professor Barbara Hoffmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, in der Mitteilung zitiert.
„Die WHO zeigt mit den Richtwerten, dass auch geringe Konzentrationen von Luftschadstoffen, die weit unter den bisherigen empfohlenen Richtwerten liegen, schwerwiegende Gesundheitseffekte auslösen können. Das haben wir auch vorher schon in einzelnen Studien sehen können, zum Beispiel unsere ganz aktuelle Studie aus Europa, die die Schlussfolgerungen der WHO absolut bestätigt.“ (ikr)