WHO mahnt sorgfältigen Umgang mit Antibiotika an

Nur noch sieben neue Antibiotika sind seit dem Jahr 2000 auf den Markt gekommen. Gleichzeitig nehmen weltweit Antibiotika-Resistenzen zu, etwa bei Tuberkulose-Erregern. Zum Weltgesundheitstag fordert die WHO, den Einsatz der Antiinfektiva zu regulieren, damit die Wirksamkeit noch möglichst lange erhalten bleibt.

Veröffentlicht:
Röntgenbild bei Tuberkulose-Verdacht: resistente Keime nehmen zu.

Röntgenbild bei Tuberkulose-Verdacht: resistente Keime nehmen zu.

© imagebroker / imago

BERLIN/GENF (eis/dpa). Durch falschen Umgang mit Antibiotika droht die Medizin einige dieser Allzweckwaffen zu verlieren. Immer mehr Bakterien werden resistent gegen die Mittel, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum gestrigen Weltgesundheitstag gewarnt hat.

Grund seien die in vielen Ländern zu häufige und manchmal sorglose Anwendung von Antibiotika. "In Ermangelung dringender Korrektur- und Schutzmaßnahmen steuert die Welt auf ein post-antibiotisches Zeitalter zu, in dem viele gewöhnliche Infektionen nicht mehr geheilt werden und, noch einmal, unvermindert töten", wird die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan von der Nachrichtenagentur dpa zitiert.

Je mehr Antibiotika in einem Land verbraucht werden, desto höher sind die Raten von resistenten Keimen. Deutschland gehört dabei zu den Ländern mir einem relativ gemäßigten Antibiotikaverbrauch. So sind nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) die Verordnungsmengen von 2007 bis 2010 leicht gesunken, und zwar von 358 auf 342 Millionen Tagesdosen im Jahr.

 In einer älteren europäischen Analyse wurde der Antibiotikaverbrauch in 26 europäischen Ländern verglichen (Lancet 2005; 365: 579). Danach gehörte Deutschland mit etwa 14 Tagestherapiedosen pro 1000 Einwohner im Jahr zu den Staaten mit dem niedrigsten Verbrauch (Platz 22). In den Niederlanden wurde allerdings noch fast ein Drittel weniger Antibiotika verordnet. Es gibt also noch Raum für Verbesserungen.

Besonders Klinikinfektionen sind in Deutschland aber immer wieder Anlass für Besorgnis: Nach Schätzungen der Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) sterben bei uns jedes Jahr bis zu 15.000 Menschen, weil sie sich eine nosokomiale Infektion zugezogen haben.

Häufig sind dabei resistente Keime wie Methicillin-resistente Staph. aureus (MRSA) die Verursacher. Durch neue Erreger, eine älter werdende Bevölkerung und die nachlassende Wirksamkeit von Antibiotika könnte sich das Problem in den nächsten Jahren noch verschlimmern.

Werden Antibiotika-Therapien nicht sachgerecht durchgeführt, überleben die hartnäckigsten Keime und können sich vermehren. Durch diese Auslese entstehen Bakterienstämme, denen manche Antibiotika gar nichts mehr anhaben können. Ein großes Problem weltweit ist dabei Tuberkulose.

Weil die mindestens sechsmonatige antibiotische Behandlung etwa wegen Arzneimangels in armen Ländern immer wieder unterbrochen wird, nehmen Resistenzen zu. Im vergangenen Jahr wurden laut WHO rund 440.000 neue Tuberkulose-Erkrankungen mit resistenten Keimen in fast 70 Ländern gemeldet. Solche Erreger werden auch nach Deutschland eingeschleppt.

Das Problem ist zudem nicht auf Bakterien begrenzt: Auch MalariaErreger werden widerstandsfähig gegen Medikamente, und gegen den Aids-Erreger HIV müssen immer wieder neue antivirale Arzneien entwickelt werden, weil die herkömmlichen nicht mehr wirken.

"Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt, weil neue Antibiotika nicht schnell genug bereitgestellt werden können", sagte die europäische WHO-Chefin Zsuzsanna Jakab. So waren zwischen 1950 und 1980 noch 200 neue Antibiotika auf den Markt gekommen, von 1980 bis 2010 nur noch 55, darunter gerade noch 7 in den letzten zehn Jahren.

Nach Angaben von Experten dauert es etwa zehn Jahre, bis ein neues Antibiotikum entwickelt ist. Die WHO fordert daher unter anderem von den einzelnen Staaten, den Arzneimitteleinsatz zu regulieren, sowie mehr Forschung. Diese Forderung unterstützt auch die Europäische Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (Escmid).

Grundlage für den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen seien Aufklärung - sowohl der Medizin als auch der Öffentlichkeit - und mehr Vorgaben für die Verschreibung von Medikamenten, sagte der Escmid-Präsident Guiseppe Cornaglia in einer Stellungnahme.

Für die 53 Mitgliedsländer der WHO-Europaregion gibt es keine gemeinsame Statistik über Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen. Die Lage sei aber außerhalb der EU oft "noch schlimmer" als innerhalb, weil es in vielen Staaten keine regulierte Anwendung antibiotischer Medikamente gebe.

Als Negativbeispiel nennt die WHO, dass Antibiotika in 14 von 21 osteuropäischen Ländern ohne ärztliches Rezept frei verkäuflich sind.

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Schutz vor Zervixkarzinom

HPV-Immunisierung: Mediziner schlägt Impfbus vor

Kommentare
Dr. Arno Schneider 08.04.201116:16 Uhr

Antibiotikaresistenz und Massentierhaltung

Ich kann Herrn Kollegen Schätzler nur zustimmen. Nicht umsonst ist die Sepsis Todesursache Nr. 3 in Deutschland, mehr als Brust- oder Darmkrebs. Studien und Veröffentlichungen in den letzten Jahren zeigen deutlich, dass die massenhafte Anwendung von Antibiotika in der Massentierhaltung wahrscheinlich einen weitaus größeren Einfluss auf die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen hat als der Einsatz beim Menschen. Einerseits durch die Düngung mit Gülle, es ist nachgewiesen, dass ca. 90% der Antibiotika unverändert von den Tieren ausgeschieden werden und auch in den mit Gülle gedüngten Nahrungsmitteln oder im Grundwasser nachweisbar sind, andererseits durch den Verzehr von Fleisch. Z.B. sagte Dr.med. Pitten, Leiter des Bereiches Hygiene und Umweltmedizin am Würzburger Institut für Hygiene und Mikrobiologie bereits 2004: „Man müsste generell den Einsatz von Antibiotika beschränken. Sie werden aber zum größten Teil nicht beim Menschen eingesetzt, sondern in der Massentierhaltung.“ Schon 2005 wurden zwei amerikanische Studien in einer Arbeit des Fogarty International Center in Bethesda, USA, publiziert, in denen sich zeigte, dass die Verwendung von Antibiotika in der Tierhaltung möglicherweise einen größeren Einfluss auf die Entwicklung resistenter Keime hat als ihr Einsatz in Krankenhäusern. Es gibt noch viel mehr Studien dazu. Ich bin der Ansicht, will man die Gefahr durch Antibiotikaresistenzen vermindern, kann dies einerseits durch besonnenes Verordnen dieser Mittel geschehen, aber in erster Linie durch die Abschaffung der Massentierhaltung einschließlich der sog. Aquafarmen. Und dies geschieht nur, wenn wir Menschen weniger Fleisch und Fisch essen. Somit hat es jeder von uns in der Hand, hier etwas zu tun, indem wir den Fleischkonsum reduzieren, oder uns vegetarisch ernähren.

Dr. Thomas Georg Schätzler 08.04.201110:23 Uhr

WHO und die "Weltgesundheit"

Der kompetente und rationale Umgang mit Antibiotika muss aber ganz besonders in der Veterinärmedizin, in der Tiermast, in der Fischzucht und in der gesamten Nahrungsmittelindustrie weltweit angemahnt werden. Dort wird häufig ungezielt, suboptimal therapiert bzw. die Antibiose zur Prophylaxe bei verdichteter Massentierhaltung eingesetzt, um den Gesamtbestand nicht zu gefährden.

In der Humanmedizin liegt Deutschland im Vergleich auf einem günstigen Platz 22 der Verordnungshäufigkeit (aktuelle Zahlen fehlen). Doch Eines stößt auf: Während auf die Pharmaindustrie, so mein Eindruck, oft heftig eingedroschen wird, weil zu viele Präparate, "Me-to" oder Pseudo-Innovationen Gewinn bringend vermarktet werden sollen, bedauern WHO-Offizielle, dass n u r sieben neue Antibiotika seit dem Jahr 2000 auf den Markt gekommen seien. Machen die Abteilungen "Forschung und Entwicklung" der forschenden Arzneimittelhersteller vielleicht doch Sinn? Ist das nicht eine Aufforderung an Wissenschaft, Technik u n d Pharmaindustrie, m e h r für die Grundlagenforschung bei Infektiologie, Infektionsepidemiologie, Virologie und Bakteriologie zu tun?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Warnung vor bloßer Honorarumverteilung

Entbudgetierung: KBV-Spitze vermisst zusätzliche Finanzmittel

Lesetipps
Puzzle eines Gehirnes und eines Kopfes zum Thema Demenz und Alzheimer

© designer491 / Getty Images / iStock

Systematischer Review

Welche Medikamente das Risiko für Demenz beeinflussen könnten