Warum schon wenig Neurotoxin tödlich ist
Dr. Cesare Montecucco, Professor für Pathologie aus Padua, erhält heute den mit 100.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2011 für seine herausragenden Forschungsleistungen auf dem Gebiet von Erkrankungen wie Tetanus, Botulismus und Milzbrand.
Veröffentlicht:FRANKFURT AM MAIN. Diphtherie-, Anthrax-, Tetanus- und Botulinumtoxine: Es sind die derzeit stärksten bekannten Gifte, deren Wirkungsweise der diesjährige Paul-Ehrlich-Ludwig-Darmstaedter-Preisträger Professor Cesare Montecucco erforscht.
Ohne Behandlung können für einen Menschen - je nach Art der Aufnahme - geringe Mengen im Milli- oder Nanogrammbereich von Tetanus- oder Botulinumtoxinen tödlich sein.
Warum das so ist, wie sich mit dem Wirkmechanismus der Toxine therapeutisch interferieren oder sich ein Virulenzfaktor selbst sogar zum Medikament umfunktionieren lässt, das sind die wissenschaftlichen Arbeitsgebiete des Teams um Montecucco an der Universität Padua. Auf die Wechselwirkungen zwischen Wirt und Pathogen hat sich die Gruppe in der Abteilung Biomedizinische Forschung spezialisiert.
Neurotransmitter-Sekretion wird durch Toxine gehemmt
Zum Beispiel von Bakterien der Gattung Clostridium. Tetanus- und Botulinumtoxine entfalten ihre neurotoxische Wirkung über einen gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismus: Sie hemmen die Ausschüttung von Neurotransmittern. Botulinumtoxin verhindert die Sekretion von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und damit die Erregungsübertragung vom Nerven zum Muskel.
Klinische Folgen sind Muskellähmungen, die ohne Therapie zu 50 Prozent mit dem Tod durch Atemstillstand enden. Tetanustoxin bremst die Freisetzung von Glycin und Gamma-Aminobuttersäure an den inhibitorischen Interneuronen des Rückenmarks. Die Kontraktion der Skelettmuskeln - der Wundstarrkrampf - ist das klinische Bild einer Ausschaltung der neuronalen Hemmung.
Clostridientoxine bestehen aus zwei Proteinteilen mit unterschiedlichen Funktionen und werden erst nach der Spaltung in eine schwere und eine leichte Kette neurotoxisch. Montecucco hat das Zusammenspiel der für die hohe Toxizität der Gifte verantwortlichen Proteinketten untersucht.
Die schwere, "pharmakodynamische" Kette bindet sich an die Membran des präsynaptischen Spalts eines peripheren Neurons und lotst die zweite, die "pharmakokinetische" Kette ins Zellkompartiment. Da die Toxine schon in geringsten Mengen tödlich wirken, muss die Bindung an die Membran sehr effektiv sein.
Montecucco entdeckte eine Doppel-Affinität: Die "Navigator-Kette" bindet sich sowohl an die in Neuronen angereicherten Ganglioside als auch an Rezeptorproteine. Der Toxin-Rezeptorkomplex wird dann in Zellbläschen, die Vesikel, aufgenommen.
Beim Botulinumtoxin erfolgt nun die Spaltung des Eiweißmoleküls in den Vesikeln; das Tetanustoxin dagegen wandert mit den Vesikeln das Axon entlang und verlässt das Neuron im Rückenmark (Exozytose). Dort wird es in den hemmenden Interneuronen aktiviert.
Montecucco hat herausgefunden, dass die durch die Aktivierung freigesetzten Proteinketten der Clostridientoxine Zinkendopeptidasen sind. Sie spalten sogenannte SNARE-Proteine wie Synaptobrevin. Montecuccos Ergebnisse belegten, dass SNARE-Proteine ein wesentlicher Teil des Exozytoseapparates und damit für die Freisetzung von Neurotransmittern unerlässlich sind.
"Montecuccos Entdeckungen gelten als Durchbruch für das Verständnis von Transportprozessen in der Zelle", heißt es in der Erklärung der Paul-Ehrlich-Stiftung zur Verleihung des Preises. Das Wissen um die Wirkweise lege die Grundlage, um nach selektiven Hemmern der Zinkendopeptidasen zu suchen, so Montecucco.
An der Aufklärung des Anthrax-Toxins beteiligt
Gegen andere Zinkendopeptidasen wie das Angiotensin-Converting-Enzym gibt es solche Medikamente, etwa Captopril. In geringen Dosierungen werden bekanntlich auch Botulinumtoxine medizinisch verwendet, etwa zur Therapie bei fokalen Dystonien (Torticollis, Blepharospasmus).
Bei sekundären Dystonien und Spastiken lindern sie Fokalsymptome. Das native Tetanustoxin eignet sich - zumindest in Industrieländern - nicht für die Therapie, da die meisten Menschen dagegen geimpft sind. Einzelne Domänen könnten aber als Teil rekombinant hergestellter Pharmaka eine spezifische Aufnahme in neuronale Zellen oder den Transport ins Rückenmark vermitteln.
Bestimmte Bakterientoxine wie die von Clostridiumarten, aber auch von Bacillus anthracis, gelten noch immer als potentielle biologische Waffen. Montecucco hat die Wirkweise des letalen Faktors, eines von drei Elementen des Milzbrandtoxins, mit aufgeklärt und die Entwicklung eines Impfstoffs unterstützt - für den Veterinärbereich.
Bereits der Verdacht auf eine Milzbrandinfektion ist in Deutschland meldepflichtig. Als Ursachen einer tödlichen und einer nichttödlichen Milzbrandinfektion (2009, 2010) in Nordrhein-Westfalen erwies sich kontaminiertes Heroin.
Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis
Der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis wird traditionell an Paul Ehrlichs Geburtstag, dem 14. März, in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Mit ihm werden Wissenschaftler ausgezeichnet, die sich auf dem Forschungsgebiet von Paul Ehrlich besondere Verdienste erworben haben, vor allem der Immunologie, Krebsforschung, Hämatologie, Mikrobiologie und Chemotherapie.
Finanziert wird der Preis, der seit 1952 vergeben wird, vom Bundesgesundheitsministerium, durch zweckgebundene Spenden von Unternehmen und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. Die Paul Ehrlich-Stiftung ist eine rechtlich unselbstständige Stiftung der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main e.V. (eb)