Demenz-Forschung
Was ApoE4 fürs Gehirn gefährlich macht
Apolipoprotein E4 gilt als wichtigster genetischer Risikofaktor für eine Alzheimer-Erkrankung. Warum ApoE4 das Gehirn schädigt, hat nun eine Arbeitsgruppe um den MDC-Wissenschaftler Thomas Willnow herausgefunden.
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Bei apoE3-Bindung kann der Rezeptor Sortilin (rot) an die Zelloberfläche gelangen. Die Bindung von apoE4 verklumpt ihn im Innern der Zelle. Er wird funktionslos.
© AG Willnow, MDC
Berlin. Apolipoprotein E (ApoE) ist so etwas wie ein Lieferservice für das menschliche Gehirn, erinnert das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin: Es versorgt die Nervenzellen mit wichtigen Nährstoffen, unter anderem mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren – Bestandteile der Membranen, die die Nervenzellen umhüllen. Außerdem würden bestimmte ungesättigte Fettsäuren in Endocannabinoide umgewandelt, so as MDC. Diese körpereigenen Botenstoffe regulieren ja viele Funktionen des zentralen Nervensystems, etwa das Gedächtnis oder die Steuerung der Immunantwort, und sie schützen das Gehirn vor Entzündungen.
Die ApoE-Ladung gelangt über Sortilin, einen Membran-Rezeptor, in die Nervenzellen: Sortilin bindet ApoE und transportiert es über den Vorgang der Endozytose in das Innere der Nervenzelle.
ApoE ist nicht gleich ApoE
Doch ApoE ist nicht gleich ApoE. Beim Menschen existiert es in drei Genvarianten: ApoE2, ApoE3 und ApoE4. Hinsichtlich ihrer Aufgabe, Lipide zu transportieren, unterscheiden sie sich nicht. Auch die Fähigkeit, an Sortilin zu binden, ist allen drei Varianten gleich.
Allerdings hätten Menschen, die eine E4-Form tragen, gegenüber denen mit der E3-Variante ein zwölfmal höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken, erinnert das MDC. „Warum ApoE4 das Alzheimerrisiko so stark erhöht, ist eine der zentralen Fragen in der Alzheimerforschung“, wird Professor Thomas Willnow zitiert. Willnow untersucht am MDC die Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen. Etwa 15 Prozent der Menschen bilden ApoE4.
ApoE4 verhindert das Recycling von Sortilin
Eine Studie von Willnows Arbeitsgruppe liefert nun eine mögliche Erklärung, warum ApoE4 so gefährlich für das Gehirn ist (Alzheimer’s & Dementia 2020; online 25. Juni), wie das MDC berichtet. Bei der E3-Variante laufe die Endozytose reibungslos ab: Sortilin bindet mit Fettsäuren-beladenes ApoE3. Nachdem es seine Fracht im Inneren der Nervenzellen abgeliefert hat, kehrt freies Sortilin zurück zur Zelloberfläche, um neues ApoE zu binden.
Der Vorgang gerate ins Stocken, wenn ApoE4 beteiligt ist: Bindet Sortilin ApoE4 und transportiert es ins Zellinnere, verklumpt der Rezeptor darin. Er kann nicht zur Zelloberfläche zurückkehren, die Endozytose kommt zum Erliegen. „Bei manchen Menschen ist dies der Auftakt zur allmählichen Schädigung des Gehirns. Es werden immer weniger Fettsäuren aufgenommen, die grauen Zellen können sich nicht schützen und entzünden sich“, so das MDC in seiner Mitteilung zur Veröffentlichung der Studie. Dadurch würden sie während des Alterungsprozesses anfälliger für den Zelltod – sie sterben ab. Das Risiko einer Alzheimerdemenz steige damit rapide.
„Wir haben ein maßgeschneidertes Mausmodell genutzt, um den menschlichen Lipidstoffwechsel abzubilden“, erklärt Willnow in der MDC-Mitteilung. Dafür hat sein Team Mäuse mit verschiedenen ApoE-Varianten des Menschen gezüchtet, sowohl mit ApoE3 als auch mit ApoE4. Dann untersuchten die Forscher die Lipidzusammensetzung der Maushirne per Massenspektrometrie. In den Hirnzellen der Mäuse mit ApoE3 lief ein gesunder Lipidstoffwechsel ab. Bei den E4-Mäusen hingegen kamen zu wenig Nährstoffe in den Hirnzellen an. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass die Membranbläschen, die normalerweise Sortilin aus dem Zellinneren zurück zur Zelloberfläche bringen, bei ApoE4 in der Nervenzelle feststeckten – ein Hinweis darauf, dass ApoE4 den Rezeptor verklumpt.
Neuer Ansatz für Alzheimer-Therapeutikum?
„Diese Erkenntnis liefert möglicherweise den Ansatz für eine neue Strategie in der Alzheimer-Therapie“, wird Willnow zitiert. Menschen mit der E4-Variante könnten mit einem Mittel behandelt werden, das verhindert, dass das ApoE4 den Rezeptor verklumpt. In Nervenzellkulturen werden solche Wirkstoffe bereits erprobt.
In Kooperation mit Wissenschaftlern des Neuroforschungszentrums der Universität Aarhus in Dänemark wird die MDC-Gruppe um Willnow nun an einem solchen Therapeutikum arbeiten, teilt das MDC mit. Die Novo Nordisk Foundation stelle für diese Forschung sieben Millionen Euro zur Verfügung. „Wenn es gelingt, ein solches Medikament zu entwickeln, könnte ein Screening auf ApoE4 sinnvoll sein“, so der Zellbiologe. Dann könnten frühzeitig präventive Maßnahmen gegen den Abbau der grauen Zellen bei Menschen mit genetischem Risiko ergriffen werden. (eb)