Soziale Nager

Was Menschen von Mäusen bei Infektionen lernen können

Forscher haben die Bewegungen von Mäusen in der Gruppe aufgezeichnet. Ergebnis: Mäuse mit simulierter Infektion sonderten sich ab und schützten Artgenossen so vor Erkrankungen. Kann man dieses Konzept auch beim Menschen finden?

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Ansteckungen vermeiden: Das Verhalten von Mäusen bei Infektionen verhindert die Ausbreitung. Ist das Konzept auch für den Menschen interessant?

Ansteckungen vermeiden: Das Verhalten von Mäusen bei Infektionen verhindert die Ausbreitung. Ist das Konzept auch für den Menschen interessant?

© fotojagodka / iStock / Thinkstock

ZÜRICH. Fühlen sich frei lebende Hausmäuse krank, meiden sie den Kontakt zu ihren Artgenossen. Damit reduzieren sie das Risiko, dass sich die Krankheit in der Gruppe der Tiere verbreitet. Gemäß einer Studie von Evolutionsbiologen der Universität Zürich (UZH) in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich helfen diese Resultate, die Modelle zur Prognose der Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Grippe oder Ebola bei Menschen zu verbessern.

Kranke Tiere zeigen nämlich meist ein anderes Verhalten als ihre gesunden Artgenossen. Sie sind weniger aktiv und fressen kaum.

Wie Patricia Lopes vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der UZH betont, sei in bisherigen Forschungsarbeiten mit wild lebenden Tieren aber vernachlässigt worden, wie sich Verhaltensänderungen auf die sozialen Kontakte auswirken, und welchen Einfluss dies auf die Ausbreitung einer Krankheit innerhalb einer Gruppe hat.

Infektionen wurden simuliert

Um diese Zusammenhänge aufzuklären, haben die Biologin Lopes, Erstautorin der Studie, und ihre Forscherkollegen das Verhalten von mehr als 250 frei in einem Stall lebenden Hausmäusen unter die Lupe genommen (Scientific Reports. 2016, online 22. August).

Dazu verfolgten die Wissenschaftler die Bewegungen und die sozialen Kontakte der Nager mittels implantierter Funktransponder, wie die Universität in einer Mitteilung berichtet.

Um eine Infektion zu simulieren, wurden einzelnen Mäusen Lipopolysaccharide (ein Bestandteil der bakteriellen Zellwand) injiziert. Dies führt bei den Tieren zu einer Immunreaktion und zu unspezifischen Krankheitssymptomen.

Mäuse isolierten sich selbst

Mit dieser Methode konnten die Wissenschaftler mithilfe von Netzwerkanalysen zeigen, dass sich kranke Mäuse vermehrt von ihren sozialen Gruppen trennten.

Mäuse haben zudem die Fähigkeit zu erkennen, wenn eine andere Maus krank ist. Es war daher erstaunlich zu sehen, dass die Mitglieder einer sozialen Gruppe das kranke Tier nicht mieden, sondern mit der Maus auf vergleichbare Art interagierten wie vor der experimentellen Infektion.

"Es war die kranke Maus, die sich von der Gruppe entfernte", beschreibt Patricia Lopes in der Mitteilung ihre Beobachtungen. Vermutlich, so die Evolutionsbiologin, helfe die Verhaltensänderung der kranken Maus, die Verwandten ihrer Gruppe vor einer Ansteckung zu schützen – was aus evolutionärer Sicht für Tiere durchaus vorteilhaft sein könne.

Krankheitsausbreitung reduziert

In einem weiteren Schritt nutzten die Forscher mathematische Modelle, um vorherzusagen, wie sich angesichts der beobachteten Verhaltensanpassungen eine Infektionskrankheit ausbreiten würde.

"Durch die Berücksichtigung der Verhaltensänderungen kranker Mäuse und ihre Wirkung auf die sozialen Kontakte konnten wir zeigen, dass die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Krankheitsausbreitung stark reduziert wurden", berichtet Lopes.

Relevanz auch bei Grippe & Co

Die Resultate helfen, die Komplexität der Übertragung von Krankheiten besser zu verstehen. Sie betonen, wie wichtig die Verhaltensänderungen der kranken Tiere sind, um Ablauf und Auswirkung eines Ausbruchs vorherzusagen.

Diese Erkenntnisse lassen sich auf den Menschen übertragen, da auch wir unser Verhalten ändern, sobald wir krank sind. Insbesondere bei Krankheiten wie Grippe oder Ebola, die durch soziale Kontakte übertragen werden, dürften solche Effekte eine große Rolle spielen.

Zumal die Häufigkeit, mit der Infektionskrankheiten ausbrechen, aufgrund von Klima- oder Lebensraumveränderungen und der globalen Vernetzung der Menschen in Zukunft weiter zunehmen dürfte. (eb)

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 26.08.201612:07 Uhr

Mäuse wie Hunde und Katzen denken nicht ans Infektionsschutzgesetz

auch bei schweren Verletzungen, sondern ans Sterben und ziehen sich dann zurück, verstecken sich regelrecht.

Thomas Georg Schätzler 25.08.201610:33 Uhr

Müssen Mäuse von Menschen lernen oder Menschen von Mäusen?

Die Publikation:
"Infection-induced behavioural changes reduce connectivity and the potential for disease spread in wild mice contact networks" von Patricia C. Lopes et al. in NATURE
http://www.nature.com/articles/srep31790
ist in der Tat nicht nur für die Gattung "Mus musculus domesticus" (''wild house mice'' oder frei lebende Hausmaus) verhaltensbiologisch und infektions-epidemiologisch höchst interessant.

Während beim Menschen viele Pädagoginnen und Pädagogen zunehmend den Eindruck gewinnen, kranke Kleinkinder und Schüler werden gezielt im kranken Zustand in die Kindergärten, Schulen und Horte gebracht, weil man sie dort besser versorgt bzw. Gesundungs-fördernd untergebracht wähnt?
Während die gute alte Bettruhe ohne Besuchermassen so gut wie ausgestorben zu sein scheint?
Und während jeder kürzere oder längere Klinik-Aufenthalt zu einem Besucher-Ansturm längst vergessener Familienangehöriger und entfernterFreunde mutiert?
Da ziehen sich die erkrankten Hausmäuse eher aus ihrer sozialen Gemeinschaft zurück.

In der vorliegenden Studie wurden Krankheiten durch spezifische Injektionen mit einem bakteriellen Produkt (LPS) simuliert, ergänzt durch eine Kontrollgruppe mit Kochsalzinjektionen, bei denen die o.g. Verhaltensweisen n i c h t auftraten ["...we used a common model of bacterial infection, consisting of injections of a bacterial product (lipopolysaccharide or LPS)"] und ["...receiving an injection of either LPS or control (saline) in one night"].

Es waren eigene Verhaltensänderungen der Mäuse m i t Krankheitssymptomen, die von der Gruppe selbst nicht wesentlich erkannt und gemieden wurden ["Our data suggest that immune-challenged mice became disconnected from their social groups as a result of their own behaviour, rather than through avoidance by conspecifics"]. Lediglich die weiblichen Tiere änderten ihr Paarungsverhalten ["...that females are able to distinguish between an LPS and a saline injected male, preferring to spend time near the latter"].

Ein letzter Punkt konnte mit "Mus musculus domesticus" nicht ausdiskutiert werden: In Ermangelung einer Mäuse-eigenen, spezifischen Krankenversorgung konnte nicht erklärt werden, warum im menschlichen Verhalten entgegen eines natürlichen Rückzugs-Reflexes der Infizierten oder Kranken bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten bzw. Rettungs-, Pflegepersonal und Mitarbeitern ein a k t i v e s Draufzugehen mit altruistisch-selbstaufopfernder Hilfestellung angelegt ist?

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z. Zt. Bergen aan Zee/NL)

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