Alte Patienten
Was Rheumatologen von Geriatern lernen können
Es gibt immer mehr betagte Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen. Deshalb spricht vieles für verzahnte Versorgungskonzepte von Rheumatologen und Geriatern.
Veröffentlicht:BADEN-BADEN. Auf die Versorgung vieler alter Patienten mit Krankheiten aus dem rheumatologischen Formenkreis ist Deutschland unzureichend vorbereitet, sagt Professor Christoph Fiehn vom ACURA-Rheumazentrum in Baden-Baden.
"Es ist ein leider verbreitetes Missverständnis, dass es dabei nur um die Gelenke geht", erklärt er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Denn rheumatische Krankheiten in hohem Lebensalter werden maßgeblich von zwei Themenkomplexen bestimmt: der Multimorbidität und der drohenden Behinderung. Zwei Drittel der Rheumapatienten über 65 Jahre sind multimorbide.
Die Gelenksymptomatiken sind zwar Hauptcharakteristika vieler rheumatischer Krankheiten, letztlich handelt es sich jedoch stets um Systemerkrankungen mit kardiovaskulären, nephrologischen, osteologischen und weiteren Risiken. Diese überschneiden sich mit jenen anderer internistischer Alterserkrankungen.
Auch im Alter konsequente Therapie
Häufige rheumatologische Neuerkrankungen im Alter sind außer der Rheumatoiden Arthritis bei Frauen ab 55 und bei Männern ab 65 Jahren die Polymyalgia rheumatica und die Riesenzellarteriitis. Vielfach bestehe die Meinung, im Alter müsse nicht so konsequent behandelt werden wie bei jungen Rheumapatienten, kritisiert Fiehn.
"Die Lebensqualität ist im Alter genauso beeinträchtigt und die Behinderung durch die Krankheit ebenso vorhanden wie bei jungen Patienten. Deshalb sagen wir heute: Wir behandeln die älteren Rheumapatienten genauso wie die jüngeren."
Allerdings: Konventionelle wie biologische Antirheumatika weisen Nebenwirkungsspektren auf, die gerade in hohem Lebensalter zu Komplikationen führen können. Wie damit umgehen, ohne die Polypharmazie noch zu verstärken?
Nach Fiehns Ansicht lautet die Lösung: Nicht mehr, sondern weniger Medikamente verordnen! Besondere Probleme bereiten die Glukokortikoide und die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Glukokortikoide erhöhen vor allem das Infektions- und Osteoporoserisiko bei betagten Patienten und beeinflussen zudem die kardiovaskuläre Mortalität.
Fiehn: "Wenn man es schafft, so konsequent zu behandeln, dass man wenig oder gar kein Kortison braucht, dann hat man schon einmal wichtige Risiken vermieden!" Oft benötige man keine Bisphosphonate, wenn kein Kortison gegeben werde.
Ältere Rheumapatienten erhalten seltener Biologika
Paradox sei zudem, dass ausgerechnet alte Patienten vermehrt NSAR erhalten, obwohl diese gerade bei ihnen langfristig gastro- und nephrotoxisch wirken. Biologika dagegen werden älteren Rheumapatienten seltener verordnet als jüngeren.
"Wenn wir früh konsequent behandeln und die Entzündung unterdrücken, dann erreichen wir weniger kardiovaskuläre Mortalität, weniger Infektionen und Osteoporose, weniger Muskelschwund bei einem besseren Zustand der Patienten", ist der Baden-Badener Rheumatologe überzeugt. "Und: Wir brauchen insgesamt weniger Medikamente!"
Er spricht sich dafür aus, eng mit Geriatern zusammenzuarbeiten. "Die Geriatrie hat anderen Gebieten voraus, dass sie sehr strukturiert multidisziplinär vorgeht."
Kognitive Assessments würden routinemäßig erhoben, sozialmedizinische Konzepte berücksichtigt, Medikamentenwechselwirkungen systematisch erfasst und evaluiert.
In der ACURA-Klinik Baden-Baden haben Fiehn und seine Kollegen deshalb eine gerontorheumatologische Komplexbehandlung etabliert, und zwar in enger Zusammenarbeit mit einem Geriater, mit Physio- und Ergotherapeuten und einer Sozialarbeiterin.
Zudem ist die mobilisierende Pflege eingebunden. Einmal pro Woche finden Teambesprechungen statt. Das Konzept ist mit den gesetzlichen Krankenkassen abgestimmt worden und wird innerhalb des DRG-Systems finanziert.
Gerontorheumatologische Patienten
Für die ambulante Versorgung gerontorheumatologischer Patienten wünscht sich Fiehn interdisziplinäre Versorgungseinheiten in Medizinischen Versorgungszentren, Ärztehäusern oder Gruppenpraxen.
Außer einem internistischen Rheumatologen würden in solchen Teams idealerweise nephrologisch-hypertensiologisch erfahrene Internisten, Angiologen, Orthopäden sowie nichtärztliche Spezialisten wie rheumatologische Fachassistentinnen, Physio- und Ergotherapeuten, Ernährungsberaterinnen und Sozialarbeiter zusammenarbeiten.