Orthostatische Hypotonie
Zu niedrig ist auch nicht gut
Eine orthostatische Hypotonie kann lästig sein. Aber ist sie auch ungesund? Jetzt verdichten sich Hinweise für einen möglichen Zusammenhang mit kardiovaskulären Ereignissen.
Veröffentlicht:CHIETI. Mit der orthostatischen Hypotonie tut sich die Medizin schwer, das zeigt schon die Definition.
Per Konsensus aus dem Jahr 2011 liegt sie dann vor, wenn der systolische Blutdruck im Stehen oder bei 60° Elevation auf dem Kipptisch anhaltend um mindestens 20 mmHg und/oder der diastolische Blutdruck um mindestens 10 mmHg abfällt, alternativ bei einem Abfall um mehr als 30 mmHg bei hypertensiven Patienten mit Blutdruck über 160 mmHg in Rückenlage.
Mit so einer Definition lässt sich keine präzise Prävalenz ermitteln: Angegeben werden Quoten von 6 bis 35 Prozent. Unabhängig von Definition und Prävalenz gilt die orthostatische Hypotonie seit mehreren kleineren epidemiologischen Studien als assoziiert mit schweren kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen (MACCE); die Ergebnisse waren aber nicht völlig konsistent.
Eine Metaanalyse hat jetzt etwas Licht ins statistische Dunkel gebracht. Sie stammt von italienischen Forschern um Dr. Fabrizio Ricci von der G. D'Annunzio Universität in Chieti. Das Team hat 13 epidemiologische Studien mit über 120.000 Teilnehmern und einem mittleren Follow-up von sechs Jahren ausgewertet (Eur Heart J. 2015; 36: 1609).
In toto war eine orthostatische Hypotension mit einem um 50 Prozent erhöhten Sterberisiko assoziiert (RR 1,50), wobei die Signifikanz nur bei Patienten unter 65 Jahren galt.
Die Wahrscheinlichkeit, eine KHK neu zu entwickeln, war um 41 Prozent erhöht (RR 1,41). Häufiger waren auch herzinsuffizienzassoziierte Ereignisse (RR 2,25) und Schlaganfälle (RR 1,64). Spekuliert wird über einen möglichen kausalen Zusammenhang.
Mortalität: Effekt nimmt mit dem Alter ab
So könnte es bei orthostatischer Hypotension zu neuroendokrinen, zum Beispiel Endothelin- oder Vasopressin-vermittelten, Kompensationsmechanismen kommen, die kardiovaskuläre Ereignisse durch Wirkungen auf Gerinnung oder Plaque-Entstehung begünstigen.
Auch dass speziell bei der Mortalität der Effekt mit dem Alter abnimmt, spricht den Autoren zufolge für eine kausale Beziehung, da es im jungen Alter keine Überlappung mit allgemeinen Symptomen der Altersgebrechlichkeit gebe.
In einem Editorial setzt Dr. Peter A. Brady von der Mayo Clinic in Rochester aber ein Fragezeichen hinter die These von der orthostatischen Hypotension als neuem kardiovaskulärem Risikofaktor (Eur Heart J. 2015; 36: 1569).
Er macht vor allem auf die große Heterogenität der Studien aufmerksam: In der Analyse wurden ambulante Patienten, Notaufnahmepatienten, Pflegeheimbewohner und Prädialysepatienten quasi in einen Topf geworfen.
Auch dass die Diagnose in den meisten Studien nur auf einer Einzelmessung beruht, sieht Brady kritisch. Schließlich zweifelt er auch an der pathophysiologischen Verknüpfung.
Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, hält er eine Interpretation für plausibler, wonach die orthostatische Hypotension nur ein Symptom einer neurologischen, metabolischen oder auch kardiovaskulären Grunderkrankung ist.