Hohe Impfquote
Corona-Lage in Schleswig-Holstein okay – Gemütslage angespannt
Die Corona-Inzidenzzahlen im Norden sind vergleichsweise niedrig, aber die Nerven vieler Ärzte liegen auch hier langsam blank.
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Die vierte Corona-Welle rollt auch über Schleswig-Holstein. Bis jetzt aber nicht in so krassem Ausmaß wie in anderen Bundesländern.
© Sascha Steinach / dpa
Kiel. Die vierte Pandemiewelle und der öffentliche Umgang mit deren Konsequenzen strapazieren die niedergelassenen Ärzte körperlich und nervlich. Wie ausgeprägt die Belastung ist, zeigte sich in der Abgeordnetenversammlung der KV Schleswig-Holstein. Um die Zahlen beneidet Schleswig-Holstein gerade ganz Deutschland: Bei der Inzidenz (107) und bei der Corona-bedingten Todesrate (60 je 100 .000 Einwohner, zum Vergleich Sachsen: 260) hat der Norden die niedrigsten Werte.
Auch bei den Impfraten steht der Norden besser da als die meisten anderen Bundesländer – und dennoch liegen die Nerven auch in Schleswig-Holstein zum Teil blank. So mussten sich auf der jüngsten Abgeordnetenversammlung der KV in Kiel die Abgeordneten mitunter selbst ermahnen. „Schalten wir mal einen Gang runter“ – diese Empfehlung gleich mehrerer Abgeordneter betraf nicht etwa das Impftempo, sondern den Eifer, mit dem sich die Versammlung über alles aufregte, was mit der Pandemie zu tun hatte. Einige Beispiele:
Politik: Allen voran der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der zum Beispiel nach Wahrnehmung von Diplom-Psychologin Dagmar Schulz aus Neumünster „völlig haltlos und des Amtes unwürdig“ agiert, erregt die ärztlichen Gemüter. Nach Beobachtung von Hausarzt Björn Steffensen aus Nordfriesland „verfügt der Minister einfach über kein Timing“ mit seinen Entscheidungen.
Krankenkassen: Sie geben Allgemeinmediziner Dr. Axel Kloetzing aus Steinburg das „Gefühl, dass es für sie die Pandemie gar nicht gibt“ – weil sie die Ärzte mit anderen Fragen in Beschlag nehmen. Als Beispiel nannte er Kollegen, die mit Musterbriefen und Regressandrohungen überzogen werden. Er empfindet dieses Vorgehen als „anmaßend“ und stellte fest: „Das ist nicht die Zeit dafür.“Auch KV-Vorstand Dr. Ralph Ennenbach sind diese Schreiben bekannt. Zum Thema Sprechstundenbedarf arbeitet man bereits an Mustertexten, mit denen Ärzte widersprechen sollten.
Medien: Das mediale Dauerfeuer mit Meldungen, deren Wahrheitsgehalt nicht immer einer Überprüfung standhält, sorgt nach Beobachtung der Abgeordneten und der KV-Spitze für Verunsicherung unter den Patienten – was die impfenden Praxen dann noch mehr Zeit für die Aufklärung kostet.
Insbesondere die Frage, ab wann denn jetzt eine Auffrischungsimpfung angezeigt ist, sorgt derzeit für hitzige Diskussionen auch im Norden. KV-Chefin Dr. Monika Schliffke sprach von „dauerhaften Chaos-Meldungen“, die nicht zur Beruhigung beitrügen. Sie blickte neidisch nach Dänemark und Spanien, wo nach ihrem Eindruck derzeit geordnet und mit hoher Effizienz bessere Impfraten erreicht werden.
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Daneben beobachten die Ärzte in Schleswig-Holstein aber auch mit Sorge, wie belastet ihre Praxismitarbeiterinnen sind und sie fragen sich, wie lange diese dem Druck noch standhalten. Vereinzelt schütteln sie auch den Kopf über Kollegen, die sich nicht immer solidarisch zeigen, indem sie etwa das Impfen selbst oder das Monitoring nicht mit vollem Einsatz unterstützen.
Das aber sind Ausnahmen: In Schleswig-Holstein impfen 1367 Arztpraxen, die im Monat rund 120 .000 Impfungen vornehmen. Sie haben schon viel geschafft: Bei den Auffrischungsimpfungen liegt das Land mit rund 15 Prozent weit über dem bundesweiten Durchschnitt (4,6 Prozent). Dennoch sind allein bei den Menschen über 60 Jahren noch 73 .5000 Impfungen vorzunehmen.
KV eröffnet zusätzliche Impfstellen
Damit möglichst schnell möglichst viele erreicht werden, eröffnet die KV landesweit 24 zusätzliche Impfstellen. Sie sind kleiner und flexibler als die erst vor kurzem geschlossenen Impfzentren. Die Kreise sind bei den neuen Impfstellen nicht mehr involviert, die KV ist Träger. Wenn über das Terminportal keine Impfungen mehr gebucht werden, können die Teams aus den Impfstellen auch ausrücken und mit „Open House-Terminen“ die zehn bestehenden mobilen Teams unterstützen.
Die Impfstellen sollen ab 26. November starten, bis 6. Dezember sollen alle 24 Stellen einsatzbereit sein. Unter Volllast könnten die voll digital geplanten und neun Stunden täglich geöffneten Stellen neben den impfenden Praxen weitere 72 .000 Impfungen pro Woche vornehmen.