Zukunft ungewiss
Hamburger Gesundheitskiosk: Ersatzkassen ziehen sich aus Finanzierung zurück
Die großen Ersatzkassen verlängern den Vertrag mit dem Gesundheitskiosk Hamburg-Billstedt nicht noch einmal. Die Zukunft des Vorzeigeprojektes ist offen.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Hamburg. Die Hamburger Ersatzkassen TK, Barmer und DAK werden den Selektivvertrag mit dem Gesundheitskiosk Hamburg-Billstedt nicht über das Jahresende hinaus verlängern. Für den Träger bedeutet das erhebliche finanzielle Einbußen.
„Das bundesweite Pilotprojekt des Hamburger Gesundheitskiosks Billstedt/Horn steht vor dem Aus“, teilte er am Donnerstag in Hamburg mit. Das Leistungsangebot wird voraussichtlich eingeschränkt und einigen Beschäftigten gekündigt werden müssen.
Der Ausstieg der Ersatzkassen kam für den Gesundheitskiosk überraschend. Nach Informationen der Ärzte Zeitung rechnete man dort damit, sich in Kürze über eine Verlängerung einigen zu können. Im August soll es ein Vertragsangebot der Ersatzkassen zu verringerten Konditionen gegeben haben, das vom Kiosk abgelehnt wurde.
Kommentar zum Gesundheitskiosk
Zeit, offene Fragen zu klären
Im Gesundheitskiosk stehen Kündigungen an
Dort sind aktuell sieben Mitarbeitende in der Beratung und fünf in der Administration beschäftigt. Noch ist offen, auf wie viele Stellen sich der Rückzug der Kassen auswirken wird. Außer mit den Ersatzkassen hat der Hamburger Gesundheitskiosk auch mit der AOK Rheinland/Hamburg und BKKen Verträge abgeschlossen. Die AOK Rheinland/Hamburg kündigte am Donnerstag die Fortsetzung ihres „vertraglich vereinbarten Engagements“ auch über das Jahr 2022 an. „Es müssen im Interesse der Menschen neue Wege gefunden werden, die auch den Ersatzkassen eine Fortführung dieses wichtigen Versorgungsprojekts ermöglichen“, sagte AOK-Vorstandsmitglied Matthias Mohrmann.
Die Ersatzkassen begründen den Ausstieg unter anderem mit folgenden Argumenten:
- Doppelte Strukturen: In Hamburg finden sich Angebote der lokalen Vernetzungsstellen Prävention, der Pflegestützpunkte, der Gesundheitsämter und der einzelnen Kassen.
- Finanzierung: Jährlich benötigt der Gesundheitskiosk laut Ersatzkassen rund eine Million Euro pro Jahr für Personal und Betriebskosten. Wie viel von dieser Summe von den Ersatzkassen getragen wird, wird zwar nicht kommuniziert, dürfte aber in die Nähe von 50 Prozent gelangen. Die Beratungsleistungen für Ersatzkassenversicherte stehen nach Kassendarstellung "in keinem Verhältnis zu der hohen finanziellen Aufwendung." Angesichts der prekären Finanzentwicklung der GKV sei das Angebot nicht mehr aufrecht zu erhalten.
- Falsche Adressaten: Bei den im Gesundheitskiosk besprochenen Themen dreht es sich zwar um die Gesundheit, aber nach Auffassung der Kassen ist die Beratungsleistung nicht ihre Aufgabe, sondern gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge.
- Fehlende Evidenz: Das frühere Innovationsfondsprojekt wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bewertet - allerdings so, dass je nach Lesart Befürworter daraus eine Empfehlung und Kritiker das Gegenteil herauslesen.
Trotz der fehlenden Empfehlung hatten die Kassen einen befristeten Versorgungsvertrag für den Gesundheitskiosk geschlossen, um eine Überbrückung zu ermöglichen. Dieser Vertrag wurde für 2022 noch einmal verlängert.
Die Kündigung hat für die Ersatzkassenversicherten die Folge, dass sie dort ab 2023 nicht mehr beraten werden können. Die Kündigung soll mit der Bitte der Ersatzkassen verknüpft sein, schon jetzt auf Neueinschreibungen von Ersatzkassenversicherten zu verzichten.
Öffentliche Hand und Kassen streiten über Finanzierung
Die Entscheidung der Kassen fällt in eine Zeit, die für die Zukunft vergleichbarer Einrichtungen entscheidend sein könnte. Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) hatte das Konzept nach einem Besuch im Hamburger Gesundheitskiosk gelobt und es als Blaupause für vergleichbare Einrichtungen in sozial benachteiligten Regionen gesehen.
Bundesweit war bereits von 1000 Gesundheitskiosken die Rede, wogegen auch Ärzte Stellung bezogen hatten.
Zuletzt hatte auch der Hausärzteverband in seiner Delegiertenversammlung in der vergangenen Woche Kritik an dem Konzept geübt. In einem mit breiter Mehrheit beschlossenen Antrag wird zwar begrüßt, dass „die Politik die Förderung der Gesundhiet von Menschen in sozial schwachen Kommunen als einen Schwerpunkt ausgemacht hat“. Jedoch sollten die Aufgaben der Gesundheitskioske vor allem in der Unterstützung der Menschen bei administrativen Fragen der Versorgung und Pflege liegen, Parallelstrukturen in der medizinischen Versorgung würden dagegen zu einer weiteren Zerstückelung der Versorgung führen, heißt es weiter.
Die Hausärzte befürchten zudem einen weiter zunehmenden Wettbewerb um Fachkräfte im Gesundheitswesen, wenn 1000 solcher Einrichtungen geschaffen würden. Nicht zuletzt dürfe die Finanzierung „nicht fast ausschließlich zulasten der solidarischen Krankenversicherung erfolgen“. Sollten Lauerbachs Pläne für die bundesweite Etablierung von Gesundheitskiosken umgesetzt werden, sollen die gesetzlichen Krankenkassen rund drei Viertel der Kosten tragen. (Mitarbeit: ger)