Blick in den Koalitionsvertrag

Grün-Schwarz in Baden-Württemberg will sich gesundsparen

Der Koalitionsvertrag formuliert viele Vorhaben zu Gesundheit und Pflege – legt sich aber eine Ausgabensperre auf. Die Opposition vermisst Projekte, die das Versprechen der „Erneuerung“ einlösen.

Von Florian Staeck Veröffentlicht: | aktualisiert:
Koalitionäre auf (pandemiebedingtem) Abstand: Innenminister Thomas Strobl von der CDU(l.) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen präsentieren den neuen Koalitionsvertrag für Baden-Württemberg.

Koalitionäre auf (pandemiebedingtem) Abstand: Innenminister Thomas Strobl von der CDU(l.) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen präsentieren den neuen Koalitionsvertrag für Baden-Württemberg.

© Bernd Weissbrod/dpa

Stuttgart. In der grün-schwarzen Landesregierung regiert der Rotstift: Alle Vorhaben zur Gesundheitspolitik stehen künftig unter „Haushaltsvorbehalt“, heißt es in dem am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag.

Erst wenn wieder finanzielle Spielräume existieren, könnten einzelne Vorhaben umgesetzt werden. Somit sind in den vier Seiten zu Gesundheit und Pflege Zahlenangaben ausgespart.

Haus- und Fachärzte seien – zusammen mit weiteren aufgeführten Berufsgruppen – von „zentraler Bedeutung“ für die ambulante Versorgung. Die Koalition werde „alle Anstrengungen unternehmen“, dies zu garantieren.

Zugleich wird als Ziel eine „interprofessionelle und innovative“ Versorgung deklariert, die durch die „flächendeckende Einrichtung von interdisziplinären Primärversorgungszentren“ geleistet werden soll.

„Nachhaltig, digital und inklusiv“ soll die Krankenhausplanung werden. Angekündigt werden eine „auskömmliche Landeskrankenhausförderung“ sowie eine „langfristig angelegte“ Strukturpolitik, die sich an (über-)regionalen Versorgungsbedarfen orientieren soll.

Bundesprogramme wie der Krankenhausstruktur- oder -zukunftsfonds sollen vom Land kofinanziert werden. Die Kapazitäten im Maßregelvollzug sollen erweitert werden. Auch ein weiterer Klinikstandort dafür wird nicht ausgeschlossen.

Das Land soll zum „Vorreiter der Digitalisierung im Gesundheitswesen“ gemacht werden. Schwerpunkte sollen unter anderem Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen sowie die Förderung der personalisierten Medizin sein.

Grün-Schwarz nimmt sich vor, die Fähigkeiten zur datengestützen Analyse in der Katastrophen- und Pandemiebekämpfung auszubauen. Als Pilotprojekt soll ein Corona-Dashboard entwickelt werden.

Das Landeskompetenzzentrum Pflege & Digitalisierung soll als Beratungs- sowie Lehr- und Lerninstitution ausgebaut werden. Angekündigt wird, die telemedizinische Betreuung von Pflegeheimbewohner durch Ärzte breiter zu etablieren.

„Mit Nachdruck“ will sich die Koalition für die Schaffung einer Pflegekammer einsetzen – das Vorhaben war im Vorjahr auf Eis gelegt worden. Die CDU befürwortet das Projekt nicht. Als Kompromissformel heißt es nun, man wolle die gewerkschaftliche Interessenvertretung von Pflegekräften unterstützen.

Was die Finanzierung anbelangt, befürwortet die Koalition auf Bundesebene den Pflege-Sockel-Tausch, um Pflegebedürftige vor immer weiter steigenden Eigenanteilen zu schützen. Beamten soll das sogenannte Hamburger Modell angeboten werden: Das Land übernimmt dabei in der Krankenversicherung den Arbeitgeberanteil. Man strebe damit keine Veränderung des Beihilfesystems an, heißt es.

FDP vermisst wichtige Punkte

„Mir kommt das drängende Problem der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung viel zu kurz“, kommentiert Jochen Haußmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Landtag, den Koalitionsvertrag. Auch finde er nichts zum Thema Bürokratieabbau in Praxen in dem 162-Seiten-Vertrag.

Im stationären Sektor vermisst Haußmann einen „klaren Fahrplan, wie die Digitalisierung im Krankenhaus vom Land gefördert werden soll“. Durch den Haushaltsvorbehalt schrumpfe der Koalitionsvertrag zum „Schaufenster mit leeren Paketen, die hübsch verpackt sind“, sagt er der „Ärzte Zeitung“.

Ungeachtet des Spardrucks soll das Sozialministerium offenbar „gestärkt“ werden. Begründet wird das mit dem Hinweis, die öffentliche Gesundheitsverwaltung solle so aufgestellt werden, dass eine „neue Resilienz“ für das Gesundheitswesen entstehen kann. Das kommentiert Haußmann bissig: „Es hat es wohl noch nie gegeben, dass die personelle Aufblähung eines Ministeriums in einen Koalitionsvertrag geschrieben wurde.“

Für die SPD ist nur das Stichwort Pandemie neu

Andreas Stoch, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag, bewertet den Koalitionsvertrag als „alten Wein in neuen Schläuchen“. Schon in den Überschriften des Gesundheitskapitels suche man vergeblich Neues – wie bei der Stärkung des ÖGD oder der modernen Krankenhausplanung. „Bis auf das Stichwort Pandemie hatte man das alles auch schon in der vergangenen Legislatur vor“, sagte Stoch der „Ärzte Zeitung“.

Doch auch unter den Überschriften fänden sich keine greifbaren Vorhaben. Verschlimmert werde dies noch durch den Finanzierungsvorbehalt, durch den die Koalition alles unter das Motto stelle: ‚Wir wollen ja, aber können nicht‘, kritisiert Stoch. Fazit des Fraktionschefs: „Wo liegen die Schwerpunkte, wenn man nicht alles bezahlen kann? Darauf gibt es im Koalitionsvertrag keine Antworten.“

TK begrüßt Förderprogramme

Unterdessen begrüßt die Techniker Kasse in Baden-Württemberg die Zusage im Koalitionsvertrag, die bundesweiten Förderprogramme Krankenhauszukunftsfonds und Krankenhausstrukturfonds durch das Land finanziell zu unterstützen. Allein für die Digitalisierung der Kliniken in Baden-Württemberg stehen damit rund 500 Millionen Euro zur Verfügung“, sagte Markus Koffner, Leiter regionales Vertragswesen der TK-Landesvertretung.

Bei der angekündigte Digitalisierungs-Offensive müsse Baden-Württemberg „die Modellphase hinter sich zu lassen und in die Regelversorgung kommen“, forderte Koffner. Zentrales Vehikel dafür sei der Anschluss aller Akteure des Gesundheitswesens an die Telematikinfrastruktur sowie die konsequente Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA).

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