Deutsch-ukrainischer Austausch
In Deutschland arbeiten und trotzdem in der Heimat helfen
Dr. Hryhoriy Lapshyn kennt das ukrainische und das deutsche Gesundheitssystem. Manches, was in deutschen Kliniken aussortiert wird, liegt deutlich über dem Standard in seiner Heimat, sagt er. Deshalb organisiert er regelmäßig Hilfslieferungen von Schleswig-Holstein in die Ukraine.
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In zwei Welten zu Hause: Dr. Hryhoriy Lapshyn.
© Dirk Schnack
Lübeck. Teure Ausstattung, High-Tech-Medizin, Zugang zu Innovationen: Im kürzlich neu eröffneten Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) ist das genauso wie an vielen anderen deutschen Klinik-Standorten eine Selbstverständlichkeit.
Wie stark sich der Krankenhaus-Standard seines aktuellen Arbeitsumfelds auf dem Lübecker UKSH-Campus zu dem in seiner ukrainischen Heimat unterscheidet, vergisst Dr. Hryhoriy Lapshyn auch nach elf Jahren in Deutschland nicht.
Der Oberarzt im Bereich Transplantationschirurgie pflegt Kontakte in seine Heimat und versucht zu helfen: Durch einen regelmäßigen Austausch mit Ärzten in der Ukraine und mit Hilfslieferungen, die dringend benötigte Ausstattung in ukrainische Kliniken bringen.
Alles wird gebraucht
Acht LKW haben auf Lapshyns Initiative hin kürzlich Kiel und Lübeck Richtung Ukraine verlassen. Auf den Ladeflächen befanden sich Patientenbetten, Infusionsständer, OP-Instrumente und weitere Klinik-Ausstattung, die im Zuge des UKSH-Neubaus in Kiel und Lübeck aussortiert wurden.
„Die Qualität dieser Ausstattung liegt weit über dem, was in ukrainischen Kliniken üblich ist. Vieles davon wird dort dringend benötigt“, sagt Lapshyn. Wie dringend, zeigt unter anderem ein Dankesschreiben des ukrainischen Gesundheitsministers Maksym Stepanow an UKSH-Chef Professor Jens Scholz.
Lapshyn hat sich vor Ort informiert, was wo gebraucht wird. Der Bedarf war so groß, dass er eine Auswahl treffen musste: „Wir konnten nur Kliniken helfen, die noch entwicklungsfähig sind und bei denen wir sicher sind, dass sie auch in einigen Jahren noch in Betrieb sind“, sagt Lapshyn.
Neugier und Weltoffenheit
Die Krankenhäuser in Lwiw (dem früheren Lemberg), Chmelnyzkyi, Iwanow-Frankiwsk und Czernowitz erhielten Hilfslieferungen aus Schleswig-Holstein. Alle vier Kliniken liegen außerhalb des zwischen der Ukraine und Russland umkämpften Ostteils des Landes. „Es gibt keine Verbindung in den Ostteil, dort können wir nicht helfen“, betont Lapshyn.
Anders als viele ukrainische Ärzte kommt Lapshyn nicht aus einer Medizinerfamilie und hatte damit zum Berufsstart keinerlei Beziehungen. Dafür verfügte er über Neugier und Weltoffenheit: Als fertiger Arzt wollte er kennenlernen, wie Ärzte in anderen Ländern arbeiten.
Bei einer Hospitation in Zürich lernte er zahlreiche Kollegen aus anderen osteuropäischen Ländern kennen, die von den Bedingungen in deutschen Kliniken berichteten. So kam Lapshyn an die Uniklinik in Freiburg, wo er Professor Tobias Keck kennenlernte. Mit seinem Chef, der einen Ruf nach Lübeck erhielt, wechselte er in den Norden.
Kontakte nach Osteuropa
Keck pflegte damals schon zahlreiche Kontakte nach Osteuropa: Neben der Ukraine auch nach Russland, Georgien und Aserbaidschan; er ist inzwischen Ehrenprofessor der Universitäten in Kiew und Winnyzja. „Uns geht es um die Zusammenarbeit, um die Ausbildung von Kollegen. Was wir machen, ist komplett unpolitisch“, betont Keck im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
Das gilt auch für Lapshyn, dessen Eltern aus dem russischen Landesteil stammen und der selbst russisch spricht. Seine Frau spricht ukrainisch und ihre Kinder lernen neben den in Deutschland vermittelten Sprachen beides. Diese Neutralität gilt für Keck und Lapshyn auch bei den zahlreichen Treffen mit Ärzten in Osteuropa, die sie trotz der Konflikte versuchen, aufrecht zu erhalten.
Ihnen geht es um Live-Operationen, Vorlesungen und gemeinsame Publikationen – nicht um politische Fragen. Fast 50 ukrainische Chef- und Oberärzte haben in den vergangenen Jahren die Klinik für Chirurgie auf dem Lübecker Campus besucht und dabei erfahren, wie hier gearbeitet wird. Keck spricht mit Hochachtung von der Arbeit seiner Kollegen in Osteuropa.
Angebot aus der Ukraine
„Ich bin immer wieder beeindruckt, was die Kollegen mit den bescheidenen zur Verfügung stehenden Mitteln leisten und wie hoch die Patientenorientierung ist“, sagt Keck. Jungen Ärzten in der Ukraine bescheinigt er Fortschritte bei der Überwindung der stark ausgeprägten Hierarchien in den Kliniken.
„Das Bewusstsein für die evidence based medicine steigt.“ Damit das so bleibt, hofft Keck, dass mehr ukrainische Ärzte für Schulungen nach Deutschland kommen, sich aber für eine Tätigkeit in ihrer Heimat entscheiden.
Einer, der die jungen Kollegen vielleicht bald vor Ort überzeugen könnte, ist Kecks Mitarbeiter Lapshyn. Er hat das Angebot aus Lwiw bekommen, dort als Ordinarius tätig zu werden. Nach elf Jahren in Deutschland wäre das ein erneuter Einschnitt für den Mediziner. Die Entscheidung steht noch aus.