KV Baden-Württemberg-Vize Fechner
Politik hört nicht auf Ärzte? Auch ein hausgemachtes Problem
„Jetzt für Morgen“ lautet das Motto der Grün-geführten Landesregierung im Südwesten. Vertragsärzte tauchen in deren Programmatik aber nicht auf. Grund dafür sind auch hausgemachte Versäumnisse in der ärztlichen Berufspolitik, sagt KV-Vorstandsvize Dr. Johannes Fechner.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Stuttgart. Dekarbonisierung, Digitalisierung, Innovationen: Baden-Württembergs wiedergewählter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat bei seiner Regierungserklärung am 19. Mai einen weiten Bogen geschlagen, um das Motto seiner Rede zu erläutern: „Jetzt für Morgen“. In diesem Morgen spielen Vertragsärzte offenbar keine Rolle – sie kommen schlichtweg nicht vor.
Woran liegt‘s? Nachfrage bei Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandschef der KV Baden-Württemberg. „Es hat uns schon berührt, dass wir in der Regierungserklärung und in der Programmatik der Grünen in Baden-Württemberg gar nicht vorkommen“, sagt Fechner der „Ärzte Zeitung“. Das sei zwar bei der Programmatik der Partei auf Bundesebene keine Überraschung – irritierend sei es aber schon. „Wir haben als niedergelassene Ärzte seit über einem Jahr im Rahmen der Pandemie gezeigt, dass es ohne uns nicht geht. Dennoch nimmt man uns offenbar nicht wahr“, konstatiert Fechner.
Einzelpraxen „in rückläufiger Zahl“
Immer mehr Vertragsärzte wollten in Anstellung arbeiten, rund 4000 sind es schon im Südwesten. Zudem sind etwa 1400 von 6800 Hausärzten über 65 Jahre alt. „Daran sieht man, was auf uns zukommt“, sagt Fechner. Es wird knarzen bei der Sicherstellung, mehr noch als bisher. Dabei werde die Einzelpraxis ein „Auslaufmodell“ sein, ist sich Fechner sicher. Es werde sie zwar weiterhin geben, „aber in rückläufiger Zahl“.
Das mangelnde Gehörtwerden der Vertragsärzte in der Politik hat für Fechner auch mit hausgemachten Problemen der KVen zu tun – freilich nicht nur in Baden-Württemberg. „Die abnehmende Zahl der Ärzte zwingt uns zu einer Neuaufstellung. Ich mahne das in der Vertreterversammlung seit Jahren an“, sagt Fechner. Er bezeichnet es als „Versäumnis der ärztlichen Berufspolitik“, dass Ärzte die sich ändernde Agenda der Landespolitiker nicht rechtzeitig mitbestimmt haben. Fechners Diagnose: „Wenn wir ausreichend Ärzte hätten, um die Sicherstellung zu bedienen, wäre das Thema der nichtärztlichen Gesundheitsberufe nicht so akut.“
Beispiel Heilkundeübertragung: Seit 2011 liegt die entsprechende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses in den Schubladen. Doch die ärztliche Berufspolitik habe das Thema – aus Fechners Sicht ebenso wie die Kassenseite – nur halbherzig verfolgt. „Jetzt reicht es dem Gesetzgeber und er hat im Gesundheits-Weiterentwicklungs-Gesetz (GVWG) die Modellprojekte zur Substitution ärztlicher Leistungen vorgeschrieben“, konstatiert der KVBW-Vorstandsvize.
Beispiel Physician Assistant (PA): Die Ausbildungsgänge sind längst etabliert, die Absolventen werden in wachsender Zahl in der Versorgung ankommen. „Wenn wir die Curricula der PA mitgestalten würden, könnten wir darüber mitentscheiden, was der PA lernen bzw. können soll – und was nicht“, so Fechner. Doch das sei nicht geschehen. „Wir haben dieses neue Berufsbild in der Vergangenheit immer abgelehnt und uns nicht darum gekümmert“, klagt Fechner. Seine Kollegen müssten lernen, „loszulassen“. „Fakt ist, dass es ärztliche Leistungen gibt, deren praktische Ausübung nicht zwingend ein vollständiges Medizinstudium voraussetzt.“
Unterdessen wird im vorparlamentarischen Raum längst nach Alternativen zur etablierten Struktur von niedergelassenen Haus- und Fachärzten geforscht. Die Robert Bosch-Stiftung hat jüngst eine völlige Neuaufstellung der primärärztlichen Versorgung in Deutschland gefordert – mit rund 1000 interprofessionellen Primärversorgungszentren. Kretschmann griff diese Idee in seiner Regierungserklärung auf und kündigte die Unterstützung der Landesregierung bei der „flächendeckenden Schaffung von Primärversorgungszentren und von kommunalen Ärztehäusern“ an.
Keine Vertragsärzte zweiter Klasse
Fechner nimmt diese Pläne nach eigenen Worten „nicht als Bedrohung“ wahr. Allerdings werde die KVBW darauf achten, dass „Kollegen, die nicht in Primärversorgungszentren arbeiten wollen, nicht zu Vertragsärzten zweiter Klasse werden“. Für dringend hält er, dass die vorhandenen Vertragsärzte trotz der sich abzeichnenden Mangelsituation „Spaß an der Arbeit behalten“. Auch müsse man den Kollegen neue Möglichkeiten eröffnen, mit nichtärztlichen Gesundheitsberufen zu kooperieren. Mit der Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) sei dazu der erste Aufschlag gemacht worden.
Die Substitution dagegen hält Fechner für den falschen Weg: „Sie schafft nur neue Schnittstellen und verursacht Mehrkosten.“ Trotzdem würde der Vorstandsvize gerne ein Modellprojekt begleiten, bei dem Pflegedienst „in die Substitution entlassen wird – inklusive Haftung und natürlich auch Budgetierung“.
In einem solchen Fall würde man nach Fechners Dafürhalten sehen, „dass dies unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen nicht funktionieren wird“. Ein Muss wäre für ihn bei solchen Modellprojekten, dass bei Diagnosestellung und Arzneimitteltherapie immer ein Arzt beteiligt ist. Auf diese Weise könnten Chancen – und Grenzen – der stärkeren Beteiligung von nichtärztlichen Gesundheitsberufen in der Versorgungskette besser ausgelotet werden, zeigt sich Fechner überzeugt.