Zehn Faktoren entscheidend
Risikorechner für schweren COVID-19-Verlauf
Hohes Alter, viele Komorbiditäten, ungünstige Laborwerte? Mit einem einfachen Risikorechner können Ärzte die Gefahr für einen schweren COVID-19-Verlauf abschätzen.
Veröffentlicht:Das Wichtigste in Kürze
Frage: Wie lässt sich das Risiko für einen schweren Verlauf bei COVID-19 berechnen?
Antwort: Ärzte aus China haben zehn Faktoren gefunden, die unabhängig voneinander und statistisch signifikant mit einem schweren Verlauf einhergehen.
Bedeutung: Anhand dieser Faktoren lässt sich mit einer Genauigkeit von 88 Prozent (AUC-Wert) ein kritischer Verlauf bei COVID-19 vorhersagen.
Einschränkung: Score basiert auf nur wenigen schweren Verläufen.
Kanton/China. Inzwischen sind einige Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf bei COVID-19 bekannt, dazu zählen neben einem hohen Alter vor allem kardiometabolische Begleiterkrankungen, Atemnot sowie deutliche Milchglastrübungen der Lunge im Thorax-CT. Ärzte um Dr. Wenhua Liang vom Zentrum für respiratorische Erkrankungen in der 11-Millionen-Metropole Kanton (Guangzhou) in China haben solche Faktoren auf ihre Prognosefähigkeit hin untersucht und einen Risikorechner erstellt, der auch online und auf Englisch zugänglich ist (JAMA Int Med 2020; online 12. Mai).
Ärzte können damit recht präzise die Gefahr für einen kritischen Verlauf der Erkrankung kalkulieren, schreiben die Forscher um Liang. Sie kommen nach einer Validierung des Risikoscores mit der Bezeichnung COVID-GRAM auf eine Genauigkeit von 88 Prozent. Als kritischen Verlauf definieren sie die Aufnahme auf die Intensivstation, eine invasive Beatmung oder den Tod.
Analyse von 72 unterschiedlichen Variablen
Das Team um Liang hat zunächst elektronische Patientendaten zu 1590 COVID-19-Patienten analysiert, die in China in über 500 Kliniken bis Ende Januar aufgrund einer nachgewiesenen Infektion mit SARS-CoV-2 behandelt worden waren. Davon entwickelten 131 einen kritischen Verlauf (8,2 Prozent), 51 starben (3,2 Prozent). Im Schnitt waren die Patienten 50 Jahre alt, ein Viertel hatte mindestens eine Begleiterkrankung wie Hypertonie, Diabetes oder KHK, 57 Prozent waren Männer.
Die Ärzte um Liang analysierten nun 72 unterschiedliche Variablen aus den Patientenakten mittels eines mathematischen Modells und fanden schließlich 19, die mit einem schweren Verlauf assoziiert waren. Nur zehn davon gingen jedoch unabhängig voneinander und statistisch signifikant mit einer kritischen Erkrankung einher.
AUC-Wert von 88 Prozent
Dies waren ein auffälliger Röntgenbefund der Lunge, hohes Alter, Hämoptysen, Dyspnoe, Bewusstlosigkeit, viele Begleiterkrankungen, eine Krebserkrankung in der Vorgeschichte, ein ungünstig hohes Neutrophilen/Lymphozyten-Verhältnis, hohe Laktatdehydrogenase- sowie hohe direkte Bilirubinwerte. Alter, Laborwerte und Zahl der Begleiterkrankungen werden direkt als Zahlwerte eingegeben, die übrigen Faktoren als Ja-Nein-Kategorien.
Daraus errechnen sich ein Punktwert sowie ein Risiko für einen kritischen Verlauf. Die einzelnen Faktoren wurden entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet. So ist etwa bei Bewusstlosigkeit das Risiko für einen kritischen Verlauf verfünffacht, bei einer Dyspnoe lediglich verdoppelt.
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Bezogen auf die 1590 Patienten erreichte der Score einen AUC-Wert von 0,88. In einem weiteren Schritt validierten die Forscher den Rechner bei zusätzlich 710 Patienten. In dieser Validierungskohorte kamen sie ebenfalls auf eine recht hohe Genauigkeit mit einem AUC-Wert von 0,88.
Risikobewertung per Online-Tool
Ein Beispiel: Ein 60-jähriger Patient mit Röntgenauffälligkeiten, Hypertonie und leicht erhöhten Laborwerten, aber ohne Hämoptysen, Dyspnoe, Krebs und Bewusstlosigkeit kommt auf ein Risiko für einen schweren Verlauf von etwa 25 Prozent, ein 80-Jähriger unter sonst gleichen Bedingungen auf 37 Prozent, ein 30-Jähriger auf 13 Prozent. Entsprechende Beispiele lassen sich unter dem Online-Tool durchspielen.
Der Risikokalkulator hat nach Auffassung der Ärzte um Liang den Vorteil, dass alle benötigten Daten in der Regel bei der Klinikaufnahme vorliegen. Entsprechend schnell sei eine recht genaue Risikoabschätzung möglich. Der Rechner wurde allerdings nur anhand einer geringen Zahl von schweren Verläufen ermittelt. Möglicherweise ließe er sich mit weiteren Daten noch optimieren.