Stress
Der Druck im Klassenzimmer wächst
Den Unterricht entschleunigen! Das fordert eine bayerische Schulpsychologin. Und neue Studien zeigen: Viele Kinder erleben Schule als permanenten Stress.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Die Schule entschleunigen: Das ist das erklärte Ziel der neuen Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) Simone Fleischmann.
"Schüler und Lehrer stehen unter hohem Zeitdruck. Die Schulwoche ist strikt geplant und durchorganisiert. Auch im Unterricht geht alles schnell. Viel Stoff muss in kurzer Zeit gelernt und auch ebenso schnell wieder abgefragt und benotet werden", sagt Fleischmann, die viele Jahre als Schulpsychologin gearbeitet hat.
Weil Personal fehle, müssten Lehrkräfte Klassen oft doppelt führen oder Kollegen vertreten. Viel Raum für Ruhe und Muße im Umgang mit Schülerinnen und Schülern bleibe da nicht.
"Ich bin der Überzeugung, dass Lehrer einer weiteren Beschleunigung von Schule entgegenwirken müssen", sagte sie bei einer BLLV-Konferenz in Augsburg.
Das Tempo ist zu hoch
Lernen und Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen, guter Unterricht und wirksames Lernen erforderten Zeit, um Schule zu einem Ort der Begegnung, Vertiefung und des Miteinander zu machen. Fleischmann wies auf die hohe Zahl ausgebrannter und überforderter Lehrkräfte hin.
"Sie sind Ausdruck eines Arbeitsumfeldes, das krank macht. Und sie sind Ausdruck schlechter Arbeitsbedingungen."
Auch die Schüler litten unter dem hohen Tempo: "Viele Kinder reagieren auf den Stress mit Verhaltensauffälligkeiten oder sie erkranken."
Ein Drittel der Kinder fühlt sich regelmäßig von der Schule gestresst - das ist auch das Ergebnis des aktuellen LBS-Kinderbarometers.
Befragt wurden bundesweit 11.000 Kinder im Alter von 9 bis 14 Jahren. Damit ist die Schule mit Abstand der größte Stressfaktor, denn häufigen Druck von Eltern und Freunden empfinden der Untersuchung zufolge deutlich weniger Kinder.
Insgesamt fanden die Forscher heraus, dass Kinder einem relativ hohen Stressniveau ausgesetzt sind.
In der Schule und im Umgang mit den Eltern nimmt die Anspannung mit fortschreitendem Alter weiter zu. Und das bleibt nicht ohne Folgen, wie die Befragung zeigt: Je höher der Stress, desto unwohler fühlen sich die Kinder.
Eltern sollten auf Alarmzeichen achten
Aus Sicht des Deutschen Kinderschutzbundes ist chronischer Stress bei Kindern ein ernst zu nehmendes Problem, das ihre gesunde Entwicklung hemmt.
"Deshalb sollten Eltern und Lehrer unbedingt Alarmzeichen wie Gereiztheit, Unruhe oder psychosomatische Beschwerden beachten", empfiehlt Friedhelm Güthoff, Landesgeschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes in Nordrhein-Westfalen.
Wenn deren Ursachen tatsächlich in dauerhafter Überforderung liegen, sei es sinnvoll, gemeinsam nach mehr Entspannungsmöglichkeiten für das Kind im Alltag zu suchen.
Welche Ursachen tragen zum Stressempfinden bei? Jedes zweite Kind findet in der Schule zu wenig Zeit, um mit Freunden zu reden. Auch diese Wahrnehmung steigert sich mit zunehmendem Alter. Mehr als die Hälfte der Kinder meint, die Schule biete ihnen zu wenig Phasen zum Ausruhen.
Zu wenig Gelegenheit zum Spielen beklagen 46 Prozent der Kinder, ein knappes Drittel braucht mehr Zeit, um alleine zu lernen. Die Forscher warnen auch hier: Der gefühlte Zeitmangel nimmt mit dem Alter der Kinder weiter zu.
Viel zu wenig Zeit
Jedes fünfte Kind hat auch außerhalb der Schule zu wenig Zeit, um einfach mal ungestört machen zu können, was es will. Nur jedes zehnte Kind hat dazu sehr oft Gelegenheit.
LBS-Sprecher Dr. Christian Schröder: "Private Ich-Zeit ist für Kinder enorm wichtig. Zu wenig Zeit für sich zu haben, bedeutet mehr Stress, Streit in den Familien und führt letztlich dazu, dass sich unsere Kinder weniger wohl fühlen."
Das LBS-Kinderbarometer wird gefördert von der LBS-Gruppe und realisiert vom PROSOZ Institut für Sozialforschung. Es liefert seit 1997 Ergebnisse zum Wohlbefinden der Kinder in Deutschland. (eb)