Alternativer Forschungspreis
Der „schändliche“ Ig-Nobelpreis im Porträt: Erst Schmunzeln, dann Nachdenken
Forschung muss langweilig sein, nur etwas für Fachleute auf dem Gebiet? Der Ig-Nobelpreis kombiniert Wissenschaft mit Entertainment, Humor und Selbstironie. In 34 Jahren hat er allerlei kuriose Studien gewürdigt. Ein amüsanter Rückblick.
Veröffentlicht:Manchmal treibt das Leben schon seltsame Blüten: Da träumen Forscher von der begehrtesten Auszeichnung der Welt und dann kommt eine Nachricht, dass sie tatsächliche den Nobelpreis gewonnen haben – allerdings nicht für ihre bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Onkologie-Forschung, sondern für den Nachweis, dass Achterbahnfahren Nierensteine effektiv entfernen kann. Willkommen in der Welt des Ig-Nobelpreises, in der Wissenschaft auf die manchmal skurrile Wirklichkeit trifft. Zum 34. Mal wurde der alternative Forschungspreis Mitte September verliehen. Gelegenheit für die Ärzte Zeitung einen Blick auf die Highlights der Vergangenheit zu werfen – und zu berichten, wer dieses Jahr einen Preis abgeräumt hat.
Doch zuerst einmal ein Blick auf die Wurzeln: Der alternative Forschungspreis wird seit 1991 jährlich in Harvard vergeben. Hinter der Verleihung steht die Organisation „Improbable Research“, die ein Magazin herausgibt, in denen bizarr erscheinende Forschungen veröffentlicht werden („The Annuals of Improbable Research“). Laut Beschreibung auf der offiziellen Webseite sollen die Ig-Nobelpreise „überraschende Erkenntnisse würdigen, die Menschen zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen“.
Wissenschaft in die Öffentlichkeit bringen
Kommentar zum Ig-Nobelpreis: Nützliche Absurdität
Amüsanter Fakt
In der Kürze liegt die Würze: Um ausufernden Dankesreden einen Riegel vorzuschieben, spielt der Satz „Please stop, I‘m bored!“ (Bitte hör auf, ich langweile mich) eine wichtige Rolle. Reden Preisträger länger als eine Minute, kommt ein achtjähriges Mädchen namens Miss Sweetie Poo auf die Bühne und ermahnt die Gewinner, die Redezeit einzuhalten.
Traditionell werden bei der Veranstaltung auch Papierflieger von den Zuschauern auf die Bühne geworfen. Diese wurden lange Zeit vom Physik-Nobelpreisträger Roy Glauber – als Besenmeister – weggefegt. Glauber starb 2018. Während der Corona-Pandemie änderten sich die Traditionen sowieso stark: In diesem Jahr findet die Veranstaltung erstmals seit 2019 in Präsenz statt.
Augenzwinkern mit ernster Grundlage
Unterbrochen werden die Verleihungen von einer mehrteiligen Mini-Oper, in der jährlich ein anderes Thema besungen wird. Ein weiteres Element der Gala sind die „24/7 lectures“. Während die Ziffern im Englischen normalerweise für „rund um die Uhr“ stehen, meinen sie bei der Veranstaltung etwas anderes: Wissenschaftler haben in diesem Segment 24 Sekunden Zeit, um eines ihrer Forschungsthemen in ihrem gewohnten Fachjargon zu beschreiben. Im nächsten Schritt müssen sie dieses dann in sieben Worten so rekapitulieren, dass auch Fachfremde ihr Forschungsergebnis verstehen können. So resümierte Chemie-Professor Andrea Sella (University College London) sein Interessengebiet „Mittlere Dichte von amorphem Eis“ vergangenes Jahr mit den Worten „Ultrakaltes, zerstoßenes Eis schwimmt und sinkt niemals“.
Kurioser Forschungspreis
Ig-Nobelpreis 2023: Männer, die auf Toiletten nachdenken
Noch prägnanter formulierte Evolutionsbiologin Patricia Brennan ihr Fokusgebiet der „Morphologischen Evolution von Fortpflanzungsorganen“: Enten besitzen sehr komplexe Geschlechtsteile, wobei Erpel mit ihren korkenzieherförmigen Penissen und einem explosionsartigen Ausstülpungsmechanismus Hennen schnell zur Paarung zwingen können. Die Weibchen wiederum haben sich evolutionär angepasst, um die Partnerwahl stärker beeinflussen zu können: Ihre Fortpflanzungsorgane sind spiralförmig gewunden und besitzen sogar Sackgassen. Brennans lapidare Erklärung in sieben Worten: „Fabelhafte Vaginen behindern von Norm abweichende Entenpenisse“.
Auch wenn die Gala skurril und zum Teil klamaukig anmuten mag, sind es die ausgezeichneten Forscher nicht: Die Studien erscheinen in Fachmagazinen und sind ernst gemeinte Forschungsergebnisse. Dass die Veranstalter Wert auf seriöse Wissenschaft legen, sieht man auch daran, dass normalerweise jeder Preis von einem tatsächlichen Nobelpreisträger überreicht wird.Der Name „Ig-Nobel“ spielt mit dem ähnlich klingenden, weltbekannten Forschungspreis aus Skandinavien: Auf Deutsch heißt „ignobel“ unwürdig oder schändlich. Die Geehrten erhalten neben einer Urkunde die Trophäe, deren Design jährlich verändert wird und die äußerst kreativ zusammengebastelt wird. Weiterhin bekommen die Forscher eine Trillion Dollar – allerdings als alten Geldschein aus Simbabwe (Handelswert bei eBay derzeit: circa 2,50 Euro).
Welche Studien wurden bereits ausgezeichnet?
Medizinische Forschungsergebnisse spielen jedes Jahr eine Rolle: Es gibt einen eigenen Ig-Nobelpreis für Medizin. Daneben gibt es auch in den anderen Kategorien oft Themen mit Gesundheitsbezug. Vergangenes Jahr gab es ausnahmsweise die Kategorie „Public Health“: Der Physiker und Bioingenieur Dr. Seung-min Park erhielt einen Preis für die „Stanford-Toilette“. Diese untersucht Urin und Fäkalien und kann Hinweise auf Erkrankungen geben. 2021 wurden drei deutsche Forscher im Bereich Medizin prämiert: In ihrer Arbeit hatten sie analysiert, dass Sex die Nasenatmung ebenso effektiv unterstützt wie ein Dekongestivum.
In der Vergangenheit wurden Hunderte von Forschern ausgezeichnet. Einen Preis erhielten beispielsweise:
- Wissenschaftler, deren Studie aufzeigt, dass Gürteltiere immer wieder archäologische Fundstätten verändern, so dass sie die Interpretation weltgeschichtlicher Ereignisse mitbestimmen,
- Anthropologen für die Erkenntnis, dass Schimpansen Menschen etwa genauso oft und gut imitieren wie umgekehrt,
- für experimentelle Versuche, ob der evolutionäre Sinn von Bärten darin liegen könnte, das Gesicht vor Schlägen zu schützen.
- Der Ig-Nobelpreis für Wirtschaft ging 2019 an Forscher, die untersuchten, von welcher Nation das Papiergeld am stärksten keimbelastet ist. Ergebnis der Wissenschaftler: Die Wahrscheinlichkeit, sich mit E.-coli-Bakterien anzustecken, ist beim rumänischen Leu am höchsten.
- Den Initiatoren war eine Analyse, ob der BMI von Politikern als Indikator für das Ausmaß an Korruption in einem Land taugt, ebenfalls eine Auszeichnung im Bereich Wirtschaft wert,
- in der Kategorie Ökologie wurde eine Studie prämiert, die eine Genanalyse lieferte, welche Keime auf Kaugummis auf dem Bürgersteig siedeln,
- 2022 zeichnete das Ig-Nobel-Komitee Wissenschaftler aus, die untersucht hatten, dass Eiscreme als Kryotherapie bei hoch-dosierten Chemotherapien bei Stammzelltransplantation dienen könnte, um Entzündungen der Mundschleimhaut zu verhindern.
- Im Bereich Kunst erhielten Forscher einen Ig-Nobelpreis für die Untersuchung von Maya-Vasen, auf denen Einläufe dargestellt werden. Die Analyse der Autoren deutet darauf, dass die dargestellten Behandlungen nicht etwa der Reinigung des Darms dienten, sondern zur rektalen Gabe von Drogen: Das Team vermutet, dass die Verabreichung einer halluzinogenen Flüssigkeit aus Alkohol, Tabak und/oder Seerosengewächsen einen rituellen Rausch ausgelöst oder intensiviert haben könnte.
- Ein internationales Forscherteam durfte sich vor fünf Jahren über den Friedens-Ig-Nobelpreis freuen. Seine Studie behandelt die Messung des Genusses, wenn man sich an einer juckenden Stelle kratzt,
- in der Kategorie Chemie wurden einst Akademiker aus Portugal geehrt, die gemessen haben, wie gut sich menschliche Spucke als Putzmittel für schmutzige Oberflächen eignet,
- 2008 ging der Medizin-Preis an Wissenschaftler, die Anhaltspunkte dafür fanden, dass teure Placebos besser wirken als billige. Unter denen als höherpreisig angepriesenen „Analgetika“ war die Schmerztoleranz der Probanden bei leichten Elektroschocks deutlich höher als in der Gruppe mit den „Discounter-Placebos“.
2024: Tote Forellen und Anusatmung
In diesem Jahr zeichnete das Komitee Forscher aus, in deren Studie Placebos besser wirkten, wenn sie leichte, spürbare Nebenwirkungen auslösten. Weiterhin durfte sich Forscher James Liao über einen Preis freuen: Er hatte sich mit dem Schwimmverhalten von toten Forellen beschäftigt und gelangte zur Erkenntnis: Lebendige Exemplare bewegen sich mehr als tote, aber der Unterschied ist gering. Im Bereich Physiologie jubelte ein Team aus Japan und den USA: Sie hatten erforscht, dass viele Säugetiere dazu fähig sind, durch ihren Anus zu atmen.
Moderator Marc Abrahams schloss die Veranstaltung, die ausnahmsweise am nahe gelegenen MIT stattfand, mit den bereits legendären Abschlussworten: „Wenn Sie dieses Jahr keinen Ig-Nobelpreis gewonnen haben – und vor allem, wenn Sie einen gewonnen haben: mehr Glück im nächsten Jahr!“