Medizin-Nobelpreis
Jede Zelle ein potenzielles Ersatzteillager
John B. Gurdon und Shinya Yamanaka sind für ihre bahnbrechenden Erfolge in der Zellforschung mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt worden. Grundlage waren Arbeiten aus den 60er Jahren und von 2006. Langfristiges Ziel: Gewebe für die regenerative Medizin zu züchten, um defektes Gewebe zu ersetzen.
Veröffentlicht:STOCKHOLM. Als Gurdon in den 1960er-Jahren seine Versuche mit Fröschen machte, herrschte noch die Ansicht vor, dass einmal ausdifferenzierte, adulte Zellen in der Entwicklung keinen Weg mehr zurück finden. Diese Ansicht konnte er widerlegen.
Dazu nahm er die unbefruchtete Eizelle eines Froschs, entfernte den Zellkern und ersetzte ihn durch den Nukleus einer bereits spezialisierten Zelle, und zwar aus dem Darmepithel einer Kaulquappe (J Embr Exp Morphology 1962; 10: 622-640). Die neu komponierte Eizelle entwickelte sich tatsächlich in eine normale Kaulquappe.
In der Folge gelang ihm auf diese Weise auch die Herstellung fortpflanzungsfähiger Frösche. Auf dieser Technik bauten auch die Klonforscher Keith Campbell und Ian Wilmut vom Roslin-Institute in Schottland auf, als es ihnen 1997 mit Dolly gelang, ein Säugetier aus der Zelle einer Brustdrüse zu klonen.
Gurdons Erfolge waren gewissermaßen der Zündfunke für die Forschungen zur Reprogrammierung von Zellen.
Anfang der 2000er-Jahre schaffte es Gurdon schließlich unter anderem, humane adulte Zellen zu reprogrammieren. In den Versuchen verwendete er die Zellkerne von Lymphozyten, die er aus dem peripheren Blut von Probanden isoliert hatte.
Mehr als 40 Jahre nach Gurdons grundlegenden Forschungsarbeiten schaffte Yamanaka den wissenschaftlichen Durchbruch beim Reprogrammieren adulter Zellen.
Zunächst wurden Retroviren als Fähren benutzt
Um diese Gene in die Zellen einschleusen zu können, verwendete er damals Retroviren, die sich mit ihrem Genom allerdings in das Erbgut der Hautzellen einnisten können. Yamanaka nutzte für die Reprogrammierung die Gene Oct3/4, Sox2, Klf4 und c-Myc.
In der Kulturschale entwickelten sich tatsächlich Zellen aller drei Keimblätter, also etwa Neuronen, Kardiomyozyten und Darmzellen.
Ebenso erfolgreich war fast zeitgleich Dr. James Thomson aus Madison.
Die durch die optimierte Reprogrammierung entstandenen Stammzellen werden nach Ansicht von Yamanaka vor allem dazu beitragen, die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen sowie die toxikologische Forschung und die Suche nach neuen Medikamenten zu erleichtern.
Tatsächlich gelang dem Stammzellforscher später auch die Reprogrammierung mit ausgereiften Hautzellen von Probanden, und zwar mit Fibroblasten (Cell 2007; 131/5; 861-872).
Stammzellforscher Brüstle: "der große Wurf"
Für den Neuropathologen und Stammzellforscher Professor Oliver Brüstle gelang Yamanaka mit seinem Forschungserfolg 2006 "der große Wurf". Wie Brüstle vor kurzem im Interview mit der "Ärzte Zeitung" sagte, "können wir heute mühelos unbegrenzte Mengen von Gehirn- und Rückenmarkszellen aus einer zwei Millimeter großen Hautprobe oder auch aus Blutzellen gewinnen".
Damit sei es nun möglich, Erbkrankheiten direkt an den betroffenen Nervenzellen zu erforschen und die Wirksamkeit von Arzneien für den einzelnen Patienten zu überprüfen. Noch intensiv erforscht werde die Herstellung autologer Zellen für den Zellersatz und der Aufbau von Spenderbanken ähnlich zur Knochenmarkstransplantation.
Die Erfolge von Gurdon und Yamanaka haben die Stammzellforschung und die Forschung zur Reprogrammierung beflügelt. Die Umwandlung der adulten Zellen wird inzwischen immer einfacher.
Wo zu Beginn der Ära noch Genfähren wie Retroviren erforderlich waren, lassen sich heute zum Beispiel Hautzellen mithilfe weniger Faktoren direkt in Nervenzellen verwandeln. Brüstle hofft, dass das "vielleicht in Zukunft sogar im lebenden Gewebe" möglich sein wird.
Quelle: www.springermedizin.de
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