Zucker
Süße Verführung macht schnell krank
Dass der Genuss von Zucker krank machen kann, ist hinlänglich bekannt. Dennoch verzehren die Verbraucher in Deutschland viel zu viel Süßes: Im Schnitt nimmt jeder Bundesbürger täglich rund 90 Gramm Zucker zu sich. Präventionsexperten fordern daher eine nationale Strategie zur Senkung des Zuckerverbrauchs.
Veröffentlicht:BERLIN. Während Länder wie Großbritannien oder Frankreich schon seit Jahren daran arbeiten, den Zuckerkonsum einzuschränken, ist davon in Deutschland nichts zu sehen.
Noch immer liegt der Pro-Kopf-Verbrauch hierzulande bei etwa 32 Kilogramm Zucker im Jahr (Statistik des Bundesernährungsministeriums, 2010/2011).
Im Durchschnitt über alle Altersgruppen hinweg verzehrt demnach jeder täglich rund 90 Gramm Zucker. Dagegen empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit, beim Zuckerverzehr unter zehn Prozent der Tagesenergiemenge zu bleiben.
Das entspricht für einen Erwachsenen maximal etwa 50 Gramm Zucker täglich, bei Kindern rund 25 Gramm. Diese Obergrenze will die WHO langfristig noch weiter auf fünf Prozent der Tagesenergiezufuhr senken.
Diabetes als bekannte Folge
Der Grund für eine solche Empfehlung liegt nach Worten des Präsidenten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Professor Baptist Gallwitz, auf der Hand: "Diabetes mellitus Typ 2, Übergewicht und Herz-Kreislauferkrankungen sind bekannte Folgen eines hohen Zuckerverzehrs."
Weltweit verursachen diese Krankheiten rund 80 Prozent aller Todesfälle. Allein die direkten Kosten des Diabetes in Deutschland werden nach Angaben der DDG auf über 22 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
"Eine besonders große Gefahrenquelle sind industriell gefertigte Lebensmittel und Getränke mit einem hohen Zuckeranteil", so der Diabetologe Gallwitz. Er warnt: "Oft können die Verbraucher gar nicht erkennen, was sie da kaufen."
Schuld daran ist die mangelnde Kennzeichnung, wenn das Wort Zucker durch Begriffe wie Fruchtextrakt, Glukosesirup oder Maltodextrose ersetzt wird.
"Ich persönlich hätte eine Ampelkennzeichnung gut gefunden. Das ist für jeden leicht verständlich und die Verbraucher können leichter entscheiden, was sie kaufen."
Vor diesem Hintergrund fordert der Präventionsexperte des AOK-Bundesverbandes, Kai Kolpatzik, eine nationale Strategie zur Senkung des Zuckerverbrauchs.
Den Grundstein dafür könnte eine Allianz zwischen Krankenkassen, Ärzten, Kinderschutzorganisationen, Verbraucherzentralen, der Lebensmittelindustrie und dem Gesetzgeber sowie weiteren Partnern legen.
Vorbild Großbritannien
Als Vorbild für die Prävention könnte Großbritannien dienen. Dort hat ein Bündnis von Gesundheitsexperten die "Action on Sugar" gestartet, nachdem bereits eine Kampagne zur Salzreduktion Erfolge gezeigt hat.
Die von Ärzten gegründete Aktionsgruppe Consensus Action on Salt and Health (CASH) hatte Mitte der neunziger Jahre gemeinsam mit Ministerien, Food Standards Agency (Regierungsorganisation für Lebensmittelhygiene und -sicherheit) und Lebensmittelindustrie einen Aktionsplan zur Senkung des Salzkonsums entwickelt.
Die vereinbarten Ziele werden seit 2003 kontinuierlich umgesetzt. In Supermärkten angebotene Produkte enthalten heute 20 bis 40 Prozent weniger Salz als vor dem Start der Aktion.
Die durchschnittliche tägliche Salzaufnahme der Briten nahm zwischen 2003 und 2011 von 9,5 auf 8,1 Gramm ab. Wie eine im BMJ Open 2014 veröffentlichte Studie (He et al.; BMJ Open 2014;4:e004549) zeigt, ist parallel dazu der Blutdruck in der Bevölkerung um drei mmHg (systolisch) beziehungsweise 1,4 mmHg (diastolisch) gesunken.
Die Anzahl der Todesfälle durch Schlaganfall und Herzinfarkt ging um 40 Prozent zurück. Das National Institute for Health and Care Excellence meldete 2011, dass das Programm jährlich fünf Millionen Pfund kostet. Dem stehen eingesparte Behandlungskosten von jährlich 1,5 Milliarden Pfund gegenüber.
Dieser Erfolg motivierte die CASH-Gruppe zu weiteren Schritten: Sie hat im Januar 2014 die "Action on Sugar" ins Leben gerufen, um auch den Zuckerverzehr zu senken.
Franzosen setzen auf Steuer
Neben Großbritannien unternehmen weitere Länder Anstrengungen zur Zuckerreduktion. In Frankreich beispielsweise erarbeitete 2001 eine Gruppe aus Vertretern der Regierung, Industrie, Verbraucherverbänden und Wissenschaftlern Empfehlungen zur Verringerung der Salz-, Zucker- und Fettaufnahme.
Anfang 2012 haben die Franzosen eine höhere Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt: 280 Millionen Euro soll die neue Steuer auf Süßgetränke dem Staat jährlich in die Kassen spülen - dies entspricht in etwa der Summe, die die Krankenkassen in Deutschland für die Umsetzung des neuen Präventionsgesetzes zusätzlich aufbringen sollen.
Mexiko als Land mit der höchsten Rate an Adipositas und Diabetes weltweit hat im November 2013 die Einführung einer Fett-Zucker-Steuer beschlossen.
Die höheren Steuern betreffen Lebensmittel wie Süßwaren und Limonaden. Für Süßgetränke wird in Mexiko künftig eine Steuer von einem Peso (knapp sechs Cent) pro Liter fällig.
Denn vor allem Kinder und Jugendliche nehmen mit süßen Getränken viel Zucker zu sich. Da zuckerhaltige Limonaden, Brausen, Fruchtschorlen, Fruchtsaftgetränke, Malzbier, Eistee, Sportgetränke oder Energy Drinks viele Kalorien liefern, aber eine geringe Sättigungswirkung haben, vermuten Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) ein erhöhtes Risiko für Adipositas und Diabetes Typ 2 durch solche Getränke.
Nach Ergebnissen der Basiserhebung zur Kinder- und Jugendgesundheitsuntersuchung (KIGGS) trinken in Deutschland Kinder und Jugendliche zwischen drei und 17 Jahren durchschnittlich mehr als zwei Gläser zuckerhaltige Getränke pro Tag.
Der Konsum steigt mit dem Alter und erreicht unter den 14- bis 17-Jährigen mit 3,4 Gläsern bei den Mädchen und 4,3 Gläsern bei den Jungen den höchsten Mittelwert.
In Schulen ansetzen
Der Mediziner Kolpatzik spricht sich deshalb unter anderem dafür aus, dass Schulen keine zucker- und energiereichen Produkte, beispielsweise in Süßgetränke-Automaten, mehr anbieten. Zudem sollte der Zuckeranteil in Lebensmitteln auf breiter Front reduziert werden.
Erste Ansätze dazu sieht der Nationale Diabetesplan vor, wie ihn der Bundesrat in seiner Entschließung am 13. Juni 2014 gefordert hat. Dabei sollte vor allem auf die Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Wissenschaft, Lebensmittelindustrie und Gesetzgeber bei der Salzreduktion in Großbritannien zurückgegriffen werden.
Gallwitz, der auch stellvertretender Ärztlicher Direktor des Bereichs Innere Medizin / Endokrinologie-Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen ist, setzt auch auf Aufklärung. Zum Beispiel in der Schulung von Patienten im Rahmen von Disease Management Programmen (DMP).
"Die Schulungen sind zwar initial, werden jedoch nicht nachgehalten. Aber sie sind ein erster wichtiger Schritt. Neben den Maßnahmen der Verhaltensprävention wie in diesen Schulungen ist vor allem Verhältnisprävention wichtig, sodass für die Verbraucher die gesunde Wahl auch zur einfacheren Wahl wird."