Infos über Abtreibungen

§219a – Eine Reform und ihr Preis

Lange hat die Bundesregierung gerungen, am Ende ging es ganz schnell: Ärzte dürfen künftig nun darüber informieren, dass sie Abtreibungen anbieten. Doch glücklich ist mit dem Kompromiss niemand. Auch nicht mit der geplanten Studie zu den psychologischen Folgen einer Abtreibung – deren Ergebnis längst vorhersehbar scheint.

Von Walter Willems Veröffentlicht:
Auch nachdem der Bundestag die Änderung des Paragrafen 219a beschlossen hat, hält der Protest dagegen an. Hier ein Schild während des Berufungsprozesses gegen die Gießener Ärztin Hänel, die auf ihrer Webseite Abtreibung als Leistung beschrieben hatte. © Silas Stein/dpa

Auch nachdem der Bundestag die Änderung des Paragrafen 219a beschlossen hat, hält der Protest dagegen an. Hier ein Schild während des Berufungsprozesses gegen die Gießener Ärztin Hänel, die auf ihrer Webseite Abtreibung als Leistung beschrieben hatte. © Silas Stein/dpa

© Silas Stein / dpa / picture al

BERLIN/FREIBURG. Schwangere können künftig einfacher als bisher Ärzte für eine Abtreibung finden. Dazu hat der Bundestag hat am Donnerstagabend die umstrittene Reform von Paragraf 219a des Strafgesetzbuches beschlossen. Demnach dürfen Ärzte nun – etwa im Internet – angeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Für weitere Informationen müssen sie allerdings weiterhin auf offizielle Stellen verweisen. Sie dürfen auch nicht veröffentlichen, mit welcher Methode sie abtreiben. Das kritisieren Ärzte, Betroffene und Teile der Opposition scharf. Die Bundesärztekammer hatte sich hingegen positiv zum Kompromiss geäußert. Auch Juristen hatten über den Kompromiss im Vorfeld zweigeteilt geurteilt.

Die Bundesregierung spreche Ärzten damit ihr Misstrauen aus und stigmatisiere Frauen in Notsituationen, empörte sich nun etwa die FDP-Abgeordnete Nicole Bauer am Donnerstag. „Schon jetzt finden Frauen in Not kaum einen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt“, sagte sie. Die Versorgungslücke bleibe auch mit dem Gesetzentwurf bestehen.

Die Grünen-Abgeordnete Katja Keul warf Union und SPD „unnötige Diskriminierung von Ärzten“ vor. Sie würden eingeschüchtert und davon abgehalten, Abbrüche vorzunehmen.

Ärztliche Informationen blieben weiterhin limitiert, kritisierte ebenso die Linke-Abgeordnete Cornelia Möhring. 219a bleibe damit ein Paragraf, der medizinische Fachinformationen mit Gefängnis bestrafe. „Im Kern geht es um die Kontrolle über Frauen“, empörte sich Möhring.

AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch kritisierte den Entwurf wiederum aus einem anderen Grund: Er normalisiere Abtreibungen, das ungeborene Leben müsse besser geschützt werden.

Union und SPD verteidigten den mühsam erstrittenen Kompromiss. Eine komplette Abschaffung des Paragrafen 219a wäre zwar besser gewesen, die Reform aber bringe auch schon einen riesigen Fortschritt für die Frauen, sagte die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD).

Die Union wollte den Paragrafen ursprünglich überhaupt nicht antasten. Ärzte verlangten aber zurecht Rechtssicherheit, sagte Unionsfraktionsvize Nadine Schön. Dass sie nun keine weiterführenden Informationen geben dürften, sei sachgerecht – denn Schwangerschaftsabbruch sei keine gewöhnliche Arztleistung. „Mit Blick auf unsere christlichen Werte müssen wir hier sehr sensibel sein“, betonte Schön.

Die Kontroversen reichen aber noch weit über die Neuregelung hinaus. Denn da ist noch die geplante Studie zu den Folgen einer Abtreibung.

Der Argwohn rührt zum einen daher, dass die Studie quasi im Gegenzug zum 219a-Kompromiss zustande kam. Dafür bekommt Spahn fünf Millionen Euro für seine Studie, die von 2020 bis 2023 die „Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ untersucht. Ergebnisoffen, wie das Ministerium betont.

Als „Sahnehäubchen obendrauf“, so die Aussage von Die Linke, FDP und Grüne, finanziere die Regierung dann auch noch eine unnötige Studie des CDU-geführten Gesundheitsministeriums zu den gesundheitlichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen. Das offenbare eigentlich nur das „fragwürdige Frauenbild“ von Gesundheitsminister Jens Spahn, meinte dazu Nicole Bauer.

Und auch in der Fachwelt stößt die Untersuchung auf große Skepsis: „Es gibt eine alte Tradition, eine Drohkulisse aufzubauen für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen“, so Cornelia Helfferich, die das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen an der Evangelischen Hochschule Freiburg leitet. „Wenn die Studie in diesem Kontext steht, dann haben wir ein Problem.“

Außerdem wird kritisiert, das die psychischen Folgen von Abtreibungen in den vergangenen Jahren bereits  in Dutzenden Studien untersucht worden sei. „Es lässt sich nicht beweisen, dass eine Abtreibung einen klaren negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Frauen hat“, sagt Claudia Schumann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG).

Helfferich ergänzt: „Die große Mehrheit der Frauen bewältigt einen Abbruch ohne Langzeitfolgen.“ Sie hat 2012 bis 2018 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 14.000 Frauen unter anderem zu Abbrüchen befragt.

Ein US-Team von der University of California (doi:10.1001/jamapsychiatry.2017.0800) verglich zudem über fünf Jahre knapp 1000 Frauen – ein Teil ließ die Schwangerschaft abbrechen, den übrigen wurde ein Abbruch verweigert, weil die Frist überschritten war. Die seelische Gesundheit der Frauen, deren Schwangerschaft beendet wurde, war mindestens so gut wie die der übrigen Teilnehmerinnen, wie das Team 2017 im Fachblatt „JAMA Psychiatry“ berichtete.

Eine dänische Studie kam vor einem Jahr – trotz anderer Methodik – zu einem ähnlichen Resultat (ebenfalls publiziert im JAMA Psychiatry, doi:10.1001/jamapsychiatry.2018.0849). Ebenso eine Arbeitsgruppe des US-Psychologenverbands APA im Jahr 2008.

Rund 101.000 Schwangerschaften wurden laut Statistischem Bundesamt 2017 in Deutschland abgebrochen. „Wir wissen, dass eine Abtreibung an sich keine negativen psychischen Folgen hat“, betont Anette Kersting von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Es sei zwar bekannt, dass Frauen, die eine Abtreibung wünschen, häufiger emotionale Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Stress in der Partnerschaft oder traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend haben. „Viele dieser Frauen können eine Abtreibung weniger gut bewältigen“, sagt Kersting. Das liege aber nicht am Abbruch an sich, sondern an der psychischen Konstellation und am Umfeld – etwa an Stigmatisierung und fehlender sozialer Unterstützung. Bestätigung findet dieses Ausage auch in einer neuen Untersuchung aus dem Jahr 2018, publiziert im British Journal of Psychiatry (doi.org/10.1192/bjp.167.2.243).

Grundsätzlich fordert Helfferich, Frauen die Fähigkeit zuzubilligen, die beste Entscheidung treffen zu können. „Bei der ganzen Diskussion fehlt mir der Blick darauf, dass Frauen ihre Entscheidung so oder so treffen und wissen, was sie tun“, sagt sie. (dpa)

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