AOK-Chef
Lieferausfälle haben mit Rabattverträgen nichts zu tun
Rabattverträge sind nicht der Grund, warum es zu Lieferausfällen im Generikamarkt kommt, betont die AOK Baden-Württemberg. Vorschläge, das Ausschreibungsverfahren stärker zu reglementieren, gingen „in die falsche Richtung“.
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Spricht gerne auch mal Tacheles: Dr. Christopher Hermann.
© Jens Schicke
STUTTGART. Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg nimmt in der Diskussion um Lieferengpässe kein Blatt vor den Mund.
Einem kürzlich von Gesundheitspolitikern der Unionsfraktion vorgestellten Positionspapier, wie der Problematik Herr zu werden sei, kontert Dr. Christopher Hermann, „die Politik“ dürfe sich „nicht von der Pharmaindustrie auf eine falsche Fährte locken lassen“. Der AOK-Chef zielt vor allem auf den Vorschlag, den Rechtsrahmen für Rabattausschreibungen neu zu fassen.
Unter anderem fordern die Unionspolitiker, Rabattverträge sollten überhaupt nur dann ausgeschrieben werden, wenn ein Fertigprodukt von mindestens drei Unternehmen angeboten und der Wirkstoff von mindestens zwei verschiedenen Bulk-Herstellern produziert wird.
Zuschläge sollten grundsätzlich wenigstens zwei Bietern erteilt werden, nicht mehr wie bisher auch exklusiv. Zudem sei vergaberechtlich zu prüfen, ob man die Kassen dazu verpflichten kann, Rabattverträge regional gemeinsam und einheitlich auszuschreiben.
Ausfälle sind international
Von alledem hält Hermann nichts. Die Unionspolitiker, heißt es in einer Stellungnahme am Mittwoch, fielen auf „das Märchen“ der „Pharmalobby“ rein, „dass Rabattverträge Arzneimittelengpässe auslösen“.
Sämtliche in den zurückliegenden Jahren gemeldeten Lieferengpässe mit Versorgungsrelevanz seien zeitgleich auch in anderen Ländern aufgetreten, die in Deutschland verzeichneten Ausfälle „waren regelmäßig in mehr als 30 weiteren Wirtschaftsnationen akut“.
Vom globalen Generikamarkt, argumentiert der Kassenchef weiter, entfielen auf Deutschland „gerade vier Prozent“. Davon wiederum werde nur ein Teil über Rabattverträge gesteuert. Selbst eine große Krankenkasse wie die AOK Baden-Württemberg beeinflusse mit ihren Ausschreibungen „letztlich weniger als ein Zwanzigstel dieser vier Prozent. Und dieser Bereich soll jetzt verantwortlich sein für Engpässe, die im Weltmaßstab auftreten?“
Die Unions-Forderungen zur Neuordnung der Rabattvertragslandschaft seien nichts weniger als wettbewerbsfeindlich – sowohl was das favorisierte Mehrpartnermodell betrifft als auch kasseneinheitliche Ausschreibungen. Kleine und mittelständische Anbieter würden im Mehrpartnermodell „jegliche Kalkulationssicherheit verlieren“.
Da zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht erkennbar sei, ob der zweite Zuschlag an ein marktstarkes Unternehmen geht, seien sichere Umsatzprognosen kaum mehr möglich, worunter dann die Mengenplanung leide.
Im Endeffekt „würde die Liefersicherheit erheblich sinken“. Und mit gemeinsamen und einheitlichen Ausschreibungen, warnt Hermann, bilde man nur „Kassenkartelle auf der einen Seite und Pharmamonopole auf der anderen“.
Ja zu Arzneimittelreserve
Immerhin kann der Kassenchef auch „gut gemeinte Anknüpfungspunkte“ in dem Unions-Papier entdecken: Für verbindliche Engpassmeldungen der Pharmafirmen – bisher freiwillig – an die Oberbehörde BfArM setze sich die AOK „bereits seit Jahren ein“. Auch der Idee einer nationalen Arzneimittelreserve, wofür die Hersteller Vorräte mit wichtigen Präparaten anzulegen hätten, kann die AOK zustimmen.
Aktuell listet das BfArM für 533 Arzneimittel Nachschubprobleme auf. Ein Großteil (116) entfällt noch immer auf Valsartan infolge des breiten Rückrufs wegen Nitrosamin-Verunreinigungen.
Der Apothekerdachverband ABDA veröffentlichte kürzlich eigene Zahlen, wonach sich Lieferausfälle bei selektivvertraglich rabattierten Arzneimitteln binnen dreier Jahre fast verdoppelt hätten. Demnach hätten die Apotheken im vergangenen Jahr 9,3 Millionen mal ein Medikament nicht rabattvertragstreu an Patienten abgeben können. Das entspricht bei insgesamt 705 Millionen zu GKV-Lasten 2018 in öffentlichen Apotheken abgegeben Packungen (Quelle: Iqvia) einem Anteil von 1,3 Prozent.
Nach Angaben der AOK Baden-Württemberg haben Apotheken 2017 bei lediglich 0,6 Prozent aller GKV-weit abgerechneten Arzneimittel ein Lieferversagen des Herstellers dokumentiert.
Wir haben den Beitrag aktualisiert am 02.10.2019 um 15:58 Uhr.