Ärzte verordnen dem GBA eine Radikalkur

Eine nicht ganz alltägliche Koalition hat sich im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zusammengetan: Ärzte, Zahnärzte und Kliniken wollen die Macht des unparteiischen Vorsitzenden brechen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Der GBA: Niedergelassene und Kliniken wollen dort ihre Macht ausbauen.

Der GBA: Niedergelassene und Kliniken wollen dort ihre Macht ausbauen.

© dpa

BERLIN. Die Leistungserbringer im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) wollen die Macht seines unparteiischen Vorsitzenden brechen. "Das Letztentscheidungsrecht behindert die Kompromissfindung", heißt es in einem Papier der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), das der "Ärzte Zeitung" vorliegt.

Nach den Vorstellungen der Organisationen sollen stattdessen bei nicht einvernehmlich zu behandelnden Themen jeweils drei unparteiische Mitglieder mitstimmen. Für sie solle das Einstimmigkeitsprinzip gelten.

Eine Sperrminorität soll sicherstellen, dass Beschlüsse nicht gegen eine der Leistungserbringerorganisationen fallen können, wenn gleichzeitig drei unparteiische Mitglieder auf ihrer Seite stehen. Mehr demokratische Legitimation soll der "kleine Gesetzgeber" dadurch erhalten, dass die unparteiischen Mitglieder vom Bundestag berufen werden.

In dem "Positionspapier zur Weiterentwicklung des Gemeinsamen Bundesausschusses" schlagen die Vertreter der Ärzte, Zahnärzte und der Kliniken vor, künftig wieder nach Sektoren getrennt zu beraten und zu beschließen.

Seit der letzten großen GBA-Reform im Jahr 2008 fallen die Richtlinienbeschlüsse in einer Vollversammlung, in der sich die Kassen und die Leistungserbringer mit jeweils fünf Stimmen gegenübersitzen. Dazu kommen zwei unparteiische Mitglieder und der unparteiische Vorsitzende, der bei einem Patt entscheidet.

Diese Konstruktion hat sich nach Ansicht der drei Organisationen nicht bewährt. Jede Seite müsse sich jeweils in die Materie aller anderen einarbeiten, obwohl sie viele Themen nie beträfen. Eine Richtlinie zur stationären Behandlung betreffe die vertragszahnärztliche Versorgung in der Regel nicht.

Richtlinien für die Zahnärzte würden umgekehrt alle anderen Bereiche nicht berühren. Der dennoch erforderliche Aufwand für die Erarbeitung auch der fachfremden Themen sei nicht länger zu vertreten, heißt es in dem Papier.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 28.04.201120:57 Uhr

Und der G-BA bewegt sich ... doch!

Der Alles alleine entscheidende G-BA Vorsitzende, der ehemalige Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von 1988 bis 2003, Herr Dr. jur. Rainer Hess, feiert im November dieses Jahres seinen 71. Geburtstag. Eine Koalition von Ärzten, Zahnärzten und Kliniken probt den Aufstand. Zu viele krasse Fehlentscheidungen hatte es in der Vergangenheit gegeben. Zu oft widersprachen Sozialgerichte dem demokratisch nicht legitimierten G-BA Chef.

Jüngst hatte sich Hess mit dem Leistungsausschluss der Blutglucose-Tests zur Selbstmessung bei Typ-2-Diabetikern blamiert. Nicht nur dass "Blut-Zucker" Teststreifen mit Medikamenten gleichgestellt und dem Medikamentenbudget der Vertragsärzte zugeordnet werden. Nein, der GBA-Vorsitzende behauptete auch noch auf seiner Pressekonferenz, "man sei nicht für die Verkehrssicherheit von Berufskraftfahrern mit Typ-2 Diabeteskomplikationen zuständig"! Wohlwissend, dass mit den Teststreifen Diabeteskomplikationen verhindert, die Gesundheit (auch durch DMP'' s) verbessert und Hypoglykämien eingegrenzt werden können. Dies schützt Leib und Leben a l l e r Verkehrsteilnehmer, egal ob Diabetiker oder nicht, durch Verringerung der Unfallhäufigkeit, was wiederum die GKV-Inanspruchnahme generell verringert. Diesen übergeordneten, präventiven und kostensparenden Effekt konnte und wollte ein überalterter und überforderter G-BA Vorsitzender nicht sehen. Vgl.:

http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/diabetes/article/646474/teststreifen-beschluss-des-gba-wirft-fragen.html?sh=1&h=-912765584#comment

Aber in einem zunehmend arbeitsteilig organisierten Gesundheitswesen, das manche Soziologen auch "medizinisch-industriellen Komplex" nennen, in Zeiten einer Wissens- und Informationsgesellschaft bzw. eines in sich widersprüchlichen Daten- und Bewertungsflusses sind fundierte Richtlinien, Beschlüsse und ggf. restriktive Entscheidungen von Allen für Alle über alle medizinischen Belange in Klinik und (Zahn)-Arztpraxis in einer Vollversammlung unmöglich. So wie das Letztentscheidungsrecht eines Dr. jur. "Allwissend" die Kompromissfindung behindert, können sich nicht Kassenvertreter und Leistungserbringer, die sich mit jeweils fünf Stimmen gegenübersitzen, zwei unparteiische Mitglieder und der unparteiische Vorsitzende in alle, z. T. völlig fachfremde Themen der Anderen einarbeiten.

Das "Positionspapier zur Weiterentwicklung des Gemeinsamen Bundesausschusses" schlägt problem- und situationsgerecht ein s e k t o r a l e s Arbeitskonzept vor, dem sich auch die GKV-Krankenkassen anschließen könnten. An demokratischen Abstimmungen, Kompromissen und rationalen, nachprüfbaren Entscheidungen führt kein Weg mehr vorbei.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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