Diskurs statt Zoff
Ärztlicher Pandemierat tagt erstmals am Dienstag
Die Ärzteschaft präsentiert sich beim Umgang mit der Corona-Pandemie nicht mehr uneingeschränkt einig. Nun schlägt die Stunde der Bundesärztekammer: Dort soll am Dienstag erstmals der „Pandemierat“ tagen.
Veröffentlicht:Berlin. Mit der Veröffentlichung ihre Positionspapiers haben die Autoren der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und die Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit Staub aufgewirbelt. Ein Teil der Ärzteschaft hat sich hinter die KBV-These gestellt, dass es über kurzfristig wirkende Teil-Lockdown-Maßnahmen hinaus eine langfristige Strategie brauche.
Ein anderer Teil hat die von Bund und Ländern verordneten Einschränkungen als zum aktuellen Stand der Pandemie alternativlos befürwortet und die KBV der Verharmlosung der Lage geziehen. Zuletzt hatten sich die Gesellschaft für Virologie (GfV), der Marburger Bund und Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) deutlich von den KBV-Positionen distanziert.
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Was Ärzte an der Corona-Strategie der Regierung stört
Am Dienstag (10. November) nun will die Bundesärztekammer (BÄK) einen Versuch unternehmen, die Lager wieder zusammenbinden: dann soll ein „ärztlicher Pandemierat“ zusammentreten, hat die BÄK der „Ärzte Zeitung“ am Wochenende auf Anfrage mitgeteilt. Darin sollen die Fachgesellschaften ihre Erfahrungen mit SARS-CoV-2 untereinander austauschen und daraus Handlungsalternativen ableiten.
Beide Lager sind vertreten
Nach Informationen der „Ärzte Zeitung“ ist das virtuelle Treffen am Nachmittag für zunächst drei Stunden anberaumt. Eingeladen sind rund 30 Vertreter fast ausschließlich aus medizinischen Fachgesellschaften. Neben dem BÄK-Vorstand soll auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Professor Thomas Mertens, geladen sein.
Unter den gut 20 Fachgesellschaften befinden sich die Amtsärzte (BVÖGD), Virologen, Epidemiologen und Infektiologen, Anästhesisten, Intensivmediziner, Pneumologen, Pädiater und Internisten, aber auch Neurologen, Pathologen, Pharmakologen, Palliativmediziner und Allgemeinmediziner. Der Rat war dem Vernehmen nach bereits im Sommer ins Leben gerufen worden, soll bisher aber nicht getagt haben.
Neben den Kritikern und den Befürwortern – darunter der Deutsche Hausärzteverband und der Spitzenverband Fachärzte Deutschland (SpiFa), nicht aber alle SpiFa-Mitgliedsverbände – machten die Pathologen in dieser Woche eine dritte Perspektive auf.
Pathologen-Chef ruft zur Einigkeit auf
Man hätte das Papier als „Diskussionsimpuls für eine langfristigere und facettenreichere Strategie im Umgang mit dem Virus nutzen können“, schreibt der Präsident des Bundesverbands Deutscher Pathologen (BDP), Professor Karl-Friedrich Bürrig, in einem aktuellen Mitgliederbrief. Stattdessen werde dessen Inhalt zunehmend vom Austragen persönlicher Differenzen oder von Parteipolitik in der Öffentlichkeit überlagert.
Bürrig fordert, eine fachgebiets- und sektorenübergreifende Diskussion in der gesamten verfassten Ärzteschaft zu führen. Diese Diskussion müsse die Einzelbereiche der Ärzteschaft, den Öffentlichen Gesundheitsdienst und besondere medizinische Experten erfassen, um jenseits der persönlichen Meinungen Einzelner und der widersprüchlichen Auffassungen einzelner Teile der Ärzteschaft einen Konsens zu finden.
Auch Nationaler Pandemierat im Gespräch
Bürrig fordert die Bundesärztekammer auf, diese Diskussion zu moderieren. Diesen Schritt versucht die BÄK nun mit dem „Pandemierat“ zu gehen.
„Es ist gut, dass die Ärzteschaft vorangeht, aber der ärztliche Blick allein reicht nicht mehr aus. Ich fordere von der Bundesregierung, selbst einen interdisziplinären Pandemierat zur Beratung von Regierung und Parlament einzurichten“, sagte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring Eckardt in einer ersten Reaktion auf den Vorstoß der Bundesärztekammer.
Einen Nationalen Pandemierat einzurichten, ist schon im Gespräch. Auch diesem ursprünglich von der Fraktion der Grünen im Bundestag eingebrachten Vorschlag würde sich der BÄK-Präsident nicht verschließen.
Ein solcher Rat, besetzt mit Experten unterschiedlicher Disziplinen, die Ärzte selbstredend vorneweg, aber auch Soziologen, Ökonomen, Ethiker und Juristen könnte „der wissenschaftliche Anker der politisch Handelnden“ sein, sagte Reinhardt am Donnerstag dem „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. (Mitarbeit: nös)