Hintergrund

Aus dem Dornröschenschlaf geweckt: Die Seuchen-Meldung vor dem Umbruch

Die EHEC-Epidemie hat Kritiker auf den Plan gerufen: Hindernis Föderalismus und Meldungen im Schneckentempo. Das Rezept: "Alle Macht dem RKI!" Doch Regierung, Opposition und Forscher sind sich einig: Eine Mammutbehörde wird Epidemien nicht verhindern.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Petrischale mit einem speziellen Nährboden, auf dem EHEC-Bakterienstämme zu sehen sind. © Christian Charisius dpa

Petrischale mit einem speziellen Nährboden, auf dem EHEC-Bakterienstämme zu sehen sind. © Christian Charisius dpa

© Christian Charisius dpa

Gesundheitsminister Daniel Bahr war gerade eine Woche im Amt, als seine Mitarbeiter aus dem Robert Koch-Institut ihm die Hiobsbotschaft überbrachten: "Es gibt eine EHEC-Krise." Der Erreger breite sich mit hoher Aggressivität aus, so die Warnung. Doch die schlechten Nachrichten für den jungen Minister hörten nicht auf: "Weltweit wird in den meisten Fällen die Ursache einer EHEC-Epidemie nicht gefunden."

Die ersten Tage von Bahrs Amtszeit stellten ihn gleich vor viele Herausforderungen. Für Bahr zeigten sich die Lücken des Systems: "Zwar traf es hier in Deutschland ein leistungsfähiges Gesundheitswesen, aber dennoch gab es regionale Engpässe und Stress", sagte Bahr anlässlich der 3. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin.

Centers for Disease Control and Prevention (CDC)

Die CDC in Atlanta: Kraftvoller Riese oder "Mammutbehörde"?

Die CDC in Atlanta: Kraftvoller Riese oder "Mammutbehörde"?

© dpa

Die EHEC-Epidemie hat die Frage wieder auf die Agenda gebracht: Braucht Deutschland eine Megabehörde für die Seuchenprävention? Als Vorbild wird oft die US-Seuchenkontrollbehörde CDC genannt. Anders als das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) ist die CDC nicht nur in den Schutz vor Seuchen eingebunden - sie ist ein USA-weites Gesundheitsamt.

Mehr als 15.000 Mitarbeiter arbeiten landesweit in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und der Gesundheitsvorsorge. Die 1946 für den Kampf gegen Malaria gegründete Behörde unterhält außerdem Verbindungsbüros in rund 50 Ländern. Bei Krankheitsausbrüchen hat sie - anders als in Deutschland - keine föderalen Hindernisse: Die CDC kann ihre Ermittler direkt an den Ort des Geschehens schicken. Experten hinterfragen allerdings den Nutzen einer zentralen Behörde: Bei einem E.coli-Ausbruch vor einigen Jahren brauchte die CDC sieben Wochen, um die Ursache zu ermitteln. (nös)

Eine Lücke war das deutsche Meldewesen. Bislang konnten bis zur Meldung an das Robert Koch-Institut (RKI) mehr als zwei Wochen vergehen. Noch während der Epidemie traten zahlreiche Epidemiologen auf den Plan und forderten eine zentrale Seuchenbehörde. Der Tenor: "Alle Macht dem RKI!" Als Musterbeispiel galt die US-amerikanische Seuchenkontrollbehörde CDC, die Centers for Disease Control and Prevention.

Bahr wies diese Forderungen auf dem Kongress zurück: Es gebe in jedem Fall sehr gute Gründe, nicht zu einer zentrale Behörde zurückzukehren. Als Negativbeispiel nannte er das ehemalige Bundesgesundheitsamt, das 1994 aufgelöst wurde. Das RKI habe bei dieser Epidemie eine "Spitzenleistung" erbracht: "In sehr kurzer Zeit wurden die Sprossen als Infektionsquelle gefunden", lobte Bahr.

Die Opposition nannte es hingegen "Glück": Der Erreger sei trotz des "nicht so guten Meldesystems gefunden worden", wetterte SPD-Politiker Karl Lauterbach.

Auch Bahr ist das marode Meldeverfahren ein Dorn im Auge: "Wir brauchen in solchen Notsituationen ein schnelles Lagebild." Unverständnis zeigte er dafür, dass Meldungen tagelang gesammelt und erst später gebündelt weitergegeben wurden. Mit einer Gesetzesänderung will die Koalition jetzt die Meldefristen deutlich verkürzen: Künftig soll das RKI spätestens nach drei Tagen informiert werden.

Auch DGfN-Präsident Professor Reinhard Brunkhorst sprach sich gegen eine neue "Megabehörde" aus. Er forderte jedoch, das RKI mit weiteren Kompetenzen auszustatten: "Für Notsituationen muss eine bestimmte Struktur vorgehalten werden."

Aus Sicht von Lauterbach lenkt die Forderung nach einer großen Behörde jedoch ab: "Während der EHEC-Krise fehlten Direktmeldungen aus den Krankenhäusern an das RKI." Stattdessen hätte immer der Umweg über die Landesbehörden gewählt werden müssen. Die direkte Meldung müsse in künftigen Notsituationen sichergestellt sein, forderte Lauterbach.

Dr. Ute Teichert-Barthel vom Bundesverband der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen verteidigte das Meldeverfahren: "Das Meldewesen funktioniert bereits heute gut." Man müsse sich von dem "Märchen der Meldungen auf dem Postweg" verabschieden. Seit zehn Jahren arbeite man bereits elektronisch.

Die Frage, die sich die Experten stellten: Ist Deutschland für die Zukunft gut aufgestellt? Minister Bahr will keine Prognose abgegeben: "Es wäre eine Illusion zu glauben, dass es keine neuen Epidemien gibt."

Lesen Sie dazu auch: Nach EHEC: Rückenwind für Nierenärzte

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