Asylbewerber-Strom
BÄK fordert Regelversorgung für Flüchtlinge
Die Hilfsbereitschaft ist groß - aber für die Versorgung der voraussichtlich mehr als 800.000 erwarteten Flüchtlinge fehlt eine funktionstüchtige Struktur. BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery fordert erneut, für Asylbewerber die GKV-Regelversorgung zu öffnen.
Veröffentlicht:BERLIN/RENDSBURG. Die Flüchtlingswelle nach Deutschland führt zu zunehmenden Problemen in der medizinischen Versorgung sowohl von neu ankommenden als auch der bereits untergebrachten Menschen.
In Berlin hat die Ärztekammer bereits mit harscher öffentlicher Kritik reagiert. Auch in anderen Regionen wird mehr improvisiert, als organisiert. Offenbar haben Verantwortliche in den Innenbehörden der Länder die Dynamik unterschätzt.
"Desolate" Lage in Berlin
Als "desolat" bezeichnete die Ärztekammer Berlin die medizinische Versorgung der Flüchtlinge in der Bundeshauptstadt. Vor allem fehlten Kapazitäten bei der Registrierung der Asylsuchenden. Die Probleme sind aber nicht auf Berlin begrenzt. In Hamburg und Hessen etwa riefen die Kammern jüngst Ärzte auf, den Flüchtlingen zu helfen.
In Schleswig-Holstein bat nun Innen-Staatssekretär Ralph-Müller-Beck Hausärzte um Unterstützung. Sie sollten in den Flüchtlings-Unterkünften Sprechstunden abhalten, sagte Müller-Beck der "Ärzte Zeitung" bei der Einweihung einer Unterkunft in Rendsburg.
Ein Kernproblem ist der Stau bei den medizinischen Erstuntersuchungen. Ohne diese stockt das Asylverfahren. Die medizinischen Abteilungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen arbeiten über ihren Kapazitätsgrenzen, die Zahl der noch nicht untersuchten neu angekommenen Flüchtlinge wächst.
Schleswig-Holstein versucht das Problem mit Hilfe der Uniklinik (UKSH) zu lösen. Freiwilliges medizinisches Personal des UKSH übernimmt seit wenigen Tagen mit Kollegen aus dem imland-Krankenhaus in Rendsburg und Albersdorf Erstuntersuchungen.
Behörden, medizinische Einrichtungen und Ärzte müssen sich derzeit auf täglich neue Bedingungen und steigende Patientenzahlen einstellen. Dienstleister, die kurzfristig Ärzte und medizinisches Personal zur Verfügung stellen können, haben Hochkonjunktur.
Alle müssen kooperieren
Eine von ihnen ist die Notarztbörse des Notfallmediziners Dr. André Kröncke. "Wir befinden uns mitten in einer großen Lage", sagte Kröncke der "Ärzte Zeitung". Zu bewältigen ist die Herausforderung nach seiner Ansicht nur durch Kooperation aller Beteiligten.
Einheitliche Lösungen für die Organisation der medizinischen Versorgung gibt es aber nicht, oft entscheiden die regionalen Bedingungen. In Hamburg sollen ab September in allen Aufnahmeeinrichtungen der Hansestadt medizinische Teams für die ambulante Versorgung gebildet sein - mit Hilfe der Ärzte, die sich nach einem Aufruf der Ärztekammer gemeldet haben.
Unterdessen hat der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, die Forderung des Ärztetages erneuert, Flüchtlingen die Regelversorgung zugänglich zu machen. "Für uns Ärzte ist es bedeutungslos, woher ein Mensch kommt. Wir wollen allen die gleiche Qualität zukommen lassen."
Vielfältige Hilfe, schwierige Koordination
Die Lösungen zur medizinischen Betreuung von Flüchtlingen gleichen einem Flickenteppich. Wie geholfen wird, entscheiden die regionalen Gegebenheiten und die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Einige Beispiele:
In Hamburg-Harburg stellen die Asklepios Kliniken ein ausgedientes Krankenhausgebäude, das zuletzt als Lager diente, als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung. Vorwiegend Menschen, für die die Nähe zum angrenzenden Neubau der Klinik wichtig ist, werden hier bald untergebracht.
In Schleswig-Holstein übernimmt die private Notarztbörse des Notfallmediziners Dr. André Kröncke die medizinische Betreuung für demnächst fünf Standorte.
Bislang zentrale Erstuntersuchungen werden dezentralisiert. Das Universitätskrankenhaus Schleswig-Holstein (UKSH) soll einen Stau abarbeiten, der sich in der überlasteten zentralen Einrichtung in Neumünster gebildet hat.
Private Initiativen von Ärzten und Pflegekräften: Zum Teil packen Ärzte und Pfleger einfach ihre Taschen, fahren nach Dienstschluss zur nächsten Unterkunft und fragen, wie sie helfen können.
Die Behörden müssen Hilfsangebote koordinieren, Räume und Ausstattung bereitstellen. "Es ist alles dabei - von der Zwei-Stunden-Hilfe nach Dienstschluss bis zu Tageseinsätzen", berichtet ein Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde. Dort werden Hilfseinsätze zentral koordiniert. (di)