Bahrs Medizin schmeckt Ärzten nicht

Budgetferien, zu lange Wartezeiten bei Fachärzten - Gesundheitsminister Bahr glaubte, das passende Rezept zu haben: Kollektivstrafen gegen die KVen. Doch einen Tag später rudert er zurück.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Gesundheitsminister Daniel Bahr wird von der Opposition scharf kritisiert. Sein ursprünglicher Vorschlag sei an Naivität nicht zu überbieten, spottet die SPD.

Gesundheitsminister Daniel Bahr wird von der Opposition scharf kritisiert. Sein ursprünglicher Vorschlag sei an Naivität nicht zu überbieten, spottet die SPD.

© Elke Hinkelbein

BERLIN. Es klemmt in der deutschen Kassenmedizin. Das ist das zwingende Fazit einer Ärzte-Umfrage im Auftrag des AOK-Bundesverbandes, die seit dem Wochenende einigen Wirbel ausgelöst hat - nicht zuletzt aufgrund des Vorwurfs, ein Teil der Ärzte arbeite zu wenig.

Restriktionen erschweren die Arbeit, so die Ärzte

Doch nicht vermeintliche Faulheit, sondern gesetzlich und vertraglich vorgegebene Restriktionen erschweren gerade den besonders fleißigen Ärzten ihre Arbeit, wie die Umfrage belegt.

91 Prozent der Ärzte sind der Meinung, dass Budgetvorgaben ihre Therapiefreiheit unverhältnismäßig einschränkt, für 89 Prozent wird dadurch das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet.

Fallzahlbegrenzungen und Regelleistungsvolumina führen dazu, dass Vertragsärzte sich gegen Ende eines Quartals rar machen: "Budgetferien".

41 Prozent der Hausärzte und 38 Prozent der Fachärzte glauben, dass 60 Prozent oder mehr ihrer Kollegen aus Budgetgründen am Quartalsende die Praxis schließt. Soweit die Wahrnehmung unter Ärzten.

"Budgetferien" bis zu elf Tagen

Und das tatsächliche Verhalten? Von sich selbst berichten 30 Prozent der Hausärzte und 28 Prozent der Fachärzte, dass sie bereits "Budgetferien" praktiziert haben, 39 und 34 Prozent haben dies erwogen, und für ein knappes Drittel kommt das nicht in Frage.

Durchweg ist die Schließung der Praxis kurz: bei 53 Prozent der Hausärzte und 56 Prozent der Fachärzte dauert sie bis zu einer Woche; bei 18 Prozent der Hausärzte und acht Prozent der Spezialisten ist die Praxis an elf Werktagen oder mehr geschlossen.

Unterschiede im Terminmangement zwischen Haus- und Fachärzten:

Deutliche Unterschiede im Terminmanagement zeigen sich zwischen Haus- und Fachärzten: ein Drittel der Hausärzte, aber 56 Prozent der Fachärzte verschieben Termine bewusst ins Folgequartal. Bei 41 Prozent der Hausärzte ist dies noch nie passiert und kommt auch nicht in Frage - mit 20 Prozent ist hier der Anteil der Fachärzte deutlich kleiner.

Ein möglicher Grund: Erstversorgende Hausärzte werden sehr viel häufiger in Notfallsituationen in Anspruch genommen, bei denen Hilfe nicht verschoben werden kann. Anders bei Fachärzten, die häufig geplant für Diagnostik und Therapie in Anspruch genommmen werden.

Bahr wollte die fachärztliche Versorgung gesetzlich regeln und scheiterte

Für Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr Grund genug, noch einmal auch die Sicherstellung der fachärztlichen Versorgung durch die KVen im Gesetz explizit festzuschreiben. Werden bestimmte Wartezeiten überschritten, dann sollen die Kassen ambulante Behandlung im Krankenhaus vermitteln können und sich die Kosten dafür bei der KV zurückholen.

So weit der Plan, der bis Montag galt. Kaum publik, sprang die gesamte Opposition den Ärzten zur Seite und dem vermeintlichen Ärzte-Liebling Bahr in den Nacken. Der ruderte zurück. Sanktionen bei zu langen Wartezeiten auszusprechen, soll Sache der Selbstverwaltung sein.

"An Naivität nicht zu überbieten", so die SPD

Aus Sicht der SPD-Politikerin Carola Reimann ist Bahrs ursprünglicher Vorschlag "an Naivität nicht zu überbieten". Eine Sippenhaft für Ärzte sei ungerecht. Es wäre "wahnwitzig", wenn sich wirklich alle Patienten künftig stationär behandeln lassen würden.

Der Plan unterstelle, dass es genügend Ressourcen in Kliniken gebe. Zudem gebe es große Unterschiede bei den Wartezeiten zwischen den einzelnen Arztgruppen. Hier seien die Ärzte gefragt, sich gegenseitig genauer auf die Finger zu schauen, sagte Reimann.

An den Strukturen und der Vernetzung in der Versorgung arbeiten, so die Grünen

Ähnlich äußerte sich Grünen-Politikerin Birgitt Bender. Bahrs Vorschlag sei ein "hilfloser Reparaturversuch", vielmehr müsse an den Strukturen gearbeitet werden. "Es muss gleiche Spielregeln für alle geben", so Bender - "und zwar ohne Honorareinbußen für die Ärzte".

Es sei sinnvoll an der Vernetzung in der Versorgung zu arbeiten, "und nicht an Strafaktionen gegen die Ärzte", so Bender.

Linken-Politikerin Martina Bunge betonte, dass die Zweiklassenversorgung nur dann aufhöre, "wenn man deren Ursache beendet". Dazu müsse man die Privatversicherung als Vollversicherung abschaffen.

Lesen Sie dazu auch: Bahr zieht seine Strafaktion gegen Ärzte zurück

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 06.09.201118:19 Uhr

Gurkentruppe?

1. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr dilettiert mit einer eilig zurückgezogenen Kollektiv- und Sippenhaftung für Ärzte.

2. Der Spitzenverband der GKV-Kassen präsentiert ein verpeiltes PROGNOS-Gutachten zur ersatzlosen Streichung von bundesweit 12.000 Facharztsitzen.

3. Der AOK-Bundesverband schiebt ein abwegig interpretiertes YouGovPsychonomics-Gutachten hinterher und diagnostiziert facharztspezifische Faulheit.

4. Zugleich wollen die irregeleitet polemisierenden GKV-Kassenvertreter als Vertragspartner der KVen und der KBV auch noch ernst genommen werden.

Alles nur, um auf niedergelassene Haus- und Fachärzte einzudreschen, die als Gesamtheit der Vertragsärzte nur 19 Prozent des GKV-Finanzvolumens von 180 Milliarden € jährlich in Anspruch nehmen, zugleich aber damit 85-95 % aller medizinischen Patientenprobleme lösen können. Die GKV-Kassen verschweigen dabei systematisch ihren Versicherungsnehmern das "Wirtschaftlichkeitsgebot" nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) V. Dort heißt es verbindlich für die Gesetzliche Krankenversicherung in § 12, Absatz 1: "Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen." Wenn dieses positive Leistungsbild, das die GKV-Kassen immer verschämt verschweigen, bei jedem/r Patienten/-in und in Klinik oder Praxis an die Wand genagelt würde, könnten wir die "Nimm-was-Du-kriegen-kannst" Mentalität im Gesundheitswesen begrenzen.

Dabei wäre es so einfach, Ärztinnen und Ärzte als GKV-Vertragspartner positiv zu motivieren:

A. Leistungsorientierte und gerechte Vergütung mit konstantem Punktwert von 5,1 Cent. Noch zu DM-Zeiten wurden 10 Pfennig betriebswirtschaftlich kalkuliert.

B. Hausärztliche Fallpauschale von 75 € pro Patient/Quartal mit 25 € mtl. Praxis-Umsatz.

C. Durch Vertretung geregelter Urlaub von 6 Wochen pro Jahr und 2 Wochen Fortbildungsurlaub bei gesetzlicher Fortbildungspflicht.

D. Respektvoller Umgang und Achtsamkeit gegenüber allen Menschen, die ihr professionelles Engagement der Medizin und der Krankenversorgung in Klinik und Praxis widmen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Karlheinz Bayer 06.09.201108:26 Uhr

Nein, nicht zurück-, sondern weiterrudern, Herr Bahr!


Gilt das Prinzip des gleichen Rechts für alle?
Gut.
Wenn die Kassen Termine mit den Krankenhäusern vereinbaren dürfen, weil die Wartezeiten für Anschlußbehandluzngen zu lange sind, und dann das Geld dafür von den KVen zurückfordern soll, dann muß es umgekehrt eine Regelung geben, daß die KVen Geld von den Krankenhäusern zurückfordern für Behandlungen aus zu langen Terminen vor der stationären Aufnahme (gerne zu etwa 10 % des Tagessatzes der Krankenhäuser) und für blutige Entlassungen (gerne für die Sätze, die Verbandswechsel in den Kliniken kosten) oder für den bürokratischen prä- und postoperativen Aufwand (gerne nicht mehr zum Nulltarif, wie heute).

Budgetferien sind geschmacklos, ohne Zweifel.
Aber ein Drittel zu wenig Honorar, nicht gezahlt von den Kassen, sind es auch.
Und: im Zweifelsfall sollten die Niedergelassenen auf nicht-gezahltes Honorar verzichten dürfen und es sollte festgehalten werden, daß dieses nicht-gezahlte Honorar und nicht die AOK-Mondhonorare von den KVen rückgefordert werden. Oder - gleiches Recht für alle - die AOKs dieser Welt sollten endlich das vielbeschriebne Honorar an den niedergelassenen Bereich auch zahlen.
Herr Bahr ist offenbar lernfähig, erkennt langsam aber sicher den Sumpf, in dem er Minister geworden ist, und das Gesetz an sich ist garnicht schlecht.

Dr. Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

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