Organspende
Das Dilemma zwischen Ja denken und Ja sagen
Die Fakten zum Tag der Organspende sprechen Bände: Die Haltung zur Organspende wendet sich zum Positiven, doch die Zahl der Spender ist auf einem historischen Tiefstand. Entscheidend im Ernstfall ist der Arzt-Angehörigen-Kontakt in der Klinik.
Veröffentlicht:HANNOVER. Appelle führen nicht weiter. Viele Menschen erleben die Aufforderung, einen Organspendeausweis bei sich zu tragen, offenbar als Einmischung in ihre persönlichsten Dinge.
Nach Ansicht Dr. Gerald Neitzkes, des kommissarischen Leiters des Institutes für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin und Vorsitzender des klinischen Ethikkomitees der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), fürchten manche, der Staat wolle ein Recht auf Organe geltend machen. Das wecke Misstrauen.
Die seit Jahren rückläufigen Spenderzahlen sprechen Bände. Es wird Zeit, die potenziellen Spender nach ihrer Einstellung zur Organspende zu fragen und ihnen mit wertschätzender Neugier entgegenzutreten statt mit Appellen. Da hat Neitzke recht.
Rund 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, so die Zahlen der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO). Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) spricht sogar von über 14.000 Wartenden. Aber immer weniger Menschen spenden hierzulande ihre Organe.
Im Jahr 2017 gaben nach Angaben der DSO noch 797 Menschen ihre Herzen, Nieren oder Lungen. Das ist ein historischer Tiefstand, hieß es. 2010 waren es noch 1296 Spender.
Trotzdem: Durch die Organspender konnten im vergangenen Jahr 2867 Organe an schwer kranke Patienten transplantiert werden. Für die Empfänger ein Segen – viele Patienten warten jedoch weiter, oft vergeblich.
Zustimmung zur Organspende wächst
Zugleich zeigen die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seltsamerweise ein anderes Bild. Danach wächst in der Bevölkerung die Zustimmung zur Organspende. Im Jahr 2018 gaben 84 Prozent der Befragten an, der Organspende eher positiv gegenüberzustehen. 2012 waren es noch 78 Prozent.
Nach den Zahlen der BZgA haben sich sogar 56 Prozent der Befragten zur Organspende entschlossen, und 39 Prozent haben ihren Willen auch dokumentiert – mit einem Organspendeausweis oder in der Patientenverfügung oder in beiden Dokumenten.
Wie ist dieser Gegensatz zu erklären? Was passiert eigentlich zwischen der anfänglichen Zustimmung zur Organentnahme und der späteren Nicht-Spende im Fall des Falles? Wenn alle diese positiv Gestimmten ihren Worten Taten folgen ließen, wäre das Problem des Organmangels in Deutschland vielleicht gelöst.
Zwischen den beiden Situationen steht natürlich der Ernstfall. Vielleicht sind die Situationen eben nicht zu vergleichen. Der Moment, in dem man bei guter Gesundheit nach seiner Haltung zur Organspende gefragt wird, und jener, in dem es zum Beispiel nach einem schweren Unfall zum Schwur kommt: Spenden oder nicht?
Es sieht so aus, als ob man sich selbst nicht wirklich vorbereiten kann auf die schwierige Situation, selber eines oder mehrere seiner Organe zu spenden oder darüber zu entscheiden, ob ein hirntoter Angehöriger seine Nieren und/oder weitere Organe hergeben soll. Um so wichtiger dürfte der gelingende Arzt-Patienten-Kontakt sein, wenn tatsächlich über eine Organspende entschieden werden muss.
Stattdessen sollte man im Krankenhaus die Spendebereitschaft besser erkennen und mit Spendern und ihren Angehörigen professionell kommunizieren, meint Neitzke denn auch. "Das unterschätzte Problem ist das der Spendererkennung im Krankenhaus."
Verhindert Palliativmedizin Organspenden?
Ein Umdenken im Hinblick auf die Organspende ist auch in der Palliativmedizin notwendig. Ausgerechnet der Palliativgedanke verhindert, dass Organspender gewonnen werden könnten. Intensivmediziner und Palliativmediziner beenden lebenserhaltende Maßnahmen, wenn sie dem Patienten nicht mehr dienen. Ein Segen für die Sterbenden.
Aber mit der Absicht, die Patienten keiner Übertherapie auszusetzen, gerät zugleich eine mögliche Organspende aus dem Blick.
"Wann komme ich als behandelnder Arzt auf den Gedanken, dass ich nicht nur um das Leben meines Patienten kämpfe, sondern dass möglicherweise dieser Patient am Ende nur noch als Organspender Gutes tun kann?", fragt Neitzke. "Ich wünsche mir, dass die Transplantationsbeauftragten Wort und Stimme erheben. Aber das Umdenken muss bei den Intensivmedizinern stattfinden."
Vor allem werden erfolgreiche Transplantationsbeaufragte Angehörigen und Patienten ohne subtile Appelle begegnen. Die "Deutungshoheit" der vielleicht schwierigsten Situation, die Angehörige je erleben, muss hier bei ihnen selber liegen und nicht mehr bei ihren Ärzten.
Die Aufgabe der Medizin ist dann zu fragen: Wie passt die Organspende mit dem Selbstverständnis der Betroffenen zusammen? Welche Ängste plagen die Patienten? Neitzke glaubt: "Die größte Sorge ist doch: Wenn ich einen Organspendeausweis habe, dann schalten die zu früh ab."
In seinen Kommunikationsseminaren betont Neitzke, die betroffenen Patienten im Angehörigengespräch nicht hirntot zu nennen. "Wir beschreiben den Patienten und seinen Zustand, so gut wir können, ohne dies zu bewerten und ohne ihn hirntot zu nennen", sagt Neitzke.
Am Ende geht es um eine interessierte und ergebnisoffene Haltung der behandelnden Mediziner. Erst eine solche Haltung entlastet die Angehörigen und schafft Vertrauen.
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