Koalitionsvertrag

Das alles will Rot-Gelb-Grün servieren

Von der Reform des Medizinstudiums, über die elektronische Patientenakte bis zum Paragrafen 219a StGB: Die neue Ampel-Koalition will viele alte Baustellen endlich fertig stellen. Ein Überblick.

Von Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Es ist serviert: der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.

Es ist serviert: der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.

© unpict / stock.adobe.com

Berlin. Wer auch immer neue Gesundheitsministerin oder neuer Gesundheitsminister wird, wird viel zu tun haben in den nächsten vier Jahren. SPD, Grüne und FDP haben die gesundheitlichen Baustellen der vergangenen Jahre gesammelt und noch ein paar neue mit drauf gepackt. Die Ärzte tangiert dabei so ziemlich jede davon. Eine Kurzübersicht:

Aus- und Weiterbildung: Die Koalition will die Modernisierung der Approbationsordnung nun endlich angehen. Das Medizinstudium soll mehr auf Digitalisierung und Ambulantisierung, gleichzeitig aber auch auf Spezialisierung, individuellere Medizin und mehr berufsgruppenübergreifendes Arbeiten ausgerichtet werden. Im Grunde alles Punkte, die bereits im Reformentwurf von Jens Spahn stehen. Die Frage bleibt: Ziehen die Länder mit, die bislang wegen der entstehenden Kosten gebremst hatten. Digitale Kompetenzen werden zudem fest in Fort- und Weiterbildung aller Gesundheits- und Pflegeberufe implementiert. Und: Mittel für die Weiterbildung über die Fallpauschalen sollen nur noch die Kliniken erhalten, die auch tatsächlich Fachärzte weiterbilden. Das will die Ampel in der Reform der Krankenhausvergütung festschreiben.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) braucht mehr Mitarbeiter. Die Koalitionäre wollen daher die Einstellungsfristen aus dem Pakt für den ÖGD, den die alte Regierung mit aufgelegt hatte, verlängern. Außerdem appellieren die Ampel-Koalitionäre, wie schon von ihrer AG Gesundheit vorgeschlagen, an die Sozialpartner, einen eigenständigen ÖGD-Tarifvertrag zu schaffen. Zusätzlich soll am Gesundheitsministerium ein neues Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit entstehen. Dort werden alle Public-Health-Aktivitäten, die Gesundheitskommunikation und die Vernetzung des ÖGD angesiedelt. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht darin auf.

Um den Fachkräftemangel zu beheben¨– der vor allem in der medizinischen und pflegerischen Versorgung in einigen Regionen Deutschlands massiv ist – sollen die Hürden für die Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen gesenkt und die Verfahren beschleunigt werden.

Digitalisierung: Die elektronische Patientenakte (ePA) wird, wie vom Sachverständigenrat für Gesundheit und der AG Gesundheit der Ampel vorgeschlagen, mit einem Opt-out-Verfahren versehen. Damit bleibt die Nutzung für Versicherte freiwillig. Es wird aber zunächst für jeden eine Akte angelegt; wer sie nicht nutzen will, muss aktiv widersprechen. Telemedizinische Leistungen sollen noch mehr Raum in der Regelversorgung einnehmen, das beinhaltet auch die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln via Telekontakt. Ebenfalls auf dem Plan stehen ein Registergesetz und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz, damit Gesundheitsdaten künftig für Forschungszwecke besser und datenschutzkonform – Stichwort DSGVO – genutzt werden können. Dazu gehört auch der Aufbau einer dezentralen Forschungsdateninfrastruktur.

Mit einem Bürokratieabbaupaket wollen die Koalitionäre Entlastung schaffen, ohen dabei ins Detail zu gehen. „Die Belastungen durch Bürokratie und Berichtspflichten jenseits gesetzlicher Regelungen werden kenntlich gemacht“, heißt es lediglich.

Paragraf 219a StGB „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ wird gestrichen. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können. Über dieses Thema hatte es in der Großen Koalition heftige Auseinandersetzungen gegeben, bis der Bundestag im Februar 2019 einer Neufassung zugestimmt hat, die aber eher als schlechte Kompromisslösung galt. In den vergangenen Jahren waren immer wieder Ärztinnen wegen des Verstoßes gegen das Werbeverbot von Gerichten verurteilt worden. Besonderes Aufsehen erregte der Fall der Gießener Allgemeinärztin Dr. Kristina Hänel. „Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen“, heißt es.

Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein, ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die Möglichkeiten kostenfrei Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen, gehört für die Ampel-Koalitionäre zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. In den vergangenen Jahren hatten in einigen Regionen Deutschlands Frauen große Mühe, Ärzte oder Kliniken zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Zur Sterbehilfe findet sich im Koalitionsvertrag lediglich dieser Satz: „Wir begrüßen, wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Thema Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird.“

Über einen Nationalen Präventionsplan und die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes sollen Primär- und Sekundärprävention ausgeweitet werden. Konkrete Maßnahmenpakete verspricht die Ampel für die Bereiche Altersgesundheit, Diabetes, Einsamkeit, Suizid und Vorbeugung von klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden. Letzteres hatten Mediziner und Wissenschaftler vor allem im Health Policy Brief zum Lancet Countdown 2021 gefordert. Damit mehr Geld in Pävention und Gesundheitsförderung fließen kann, soll die Möglichkeit für Kassen, Beitragsmittel für Werbemaßnahmen und -geschenke zu verwenden, reduziert werden. Bereits Jens Spahn waren die Werbeausgaben ein Dorn im Auge.

Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden.

Das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für Trans-Personen wird abgeschafft.

Das Kinderkrankengeld wird pro Kind und Elternteil auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöht. Der reguläre Anspruch – Pandemiezeiten ausgenommen – liegt derzeit bei zehn Arbeitstagen pro Elternteil und Kind, beziehungsweise 25 bei Alleinerziehenden.

Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt in Sendungen und Formaten, die sich an Kinder unter 14 Jahren richten, wird verboten.

Die Unabhängige Patientenberatung wird in „eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen“ überführt.

Die Verfahren im GBA sollen beschleunigt werden. Gleichzeitig soll die Patientenvertretung gestärkt werden. Pflege und andere Gesundheitsberufe sollen im GBA mehr Mitsprachemöglichkeiten bei Themen, die sie betreffen erhalten.

Den Innovationsfonds wollen die Koalitionäre verstetigen. Für erfolgreiche geförderte Projekte, wie etwa die der Patientenlotsen wollen SPD, Grüne und FDP künftig einen Pfad vorgeben, „wie diese in die Regelversorgung überführt werden können“.

Behandlungsfehler: Die Stellung der Patienten soll im bestehenden Haftungssystem weiter gestärkt werden. Und es soll ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen eingeführt werden.

Cannabis-Frage: Die Koalitionäre führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch werde die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet, so die Argumentation. Nach vier Jahren sollen die gesellschaftlichen Auswrikungen der gesetzlichen Neuregelung evaluiert werden.

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