Spanien und Portugal in der COVID-Pandemie
Das iberische Corona-„Impfwunder“
Nirgendwo in Europa ist die Impfbereitschaft gegen SARS-CoV-2 größer als in Spanien und Portugal. Was sind die Gründe dafür? Eine kurze Spurensuche.
Veröffentlicht:Madrid. Kurz vor Weihnachten wird Europa erneut von einer Corona-Welle überrollt. Um den rapiden Anstieg von Todesfällen und schlimmen Krankheitsverläufen zu bremsen, sollen nun möglichst viele Impfverweigerer zur Besinnung gerufen werden. In Spanien und Portugal ist das nicht nötig. Hier sind fast alle geimpft. 89 Prozent aller über 12-jährigen Spanier sind bereits vollständig geimpft, 90,4 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Spanien ist mit derzeit 35,82 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner relativ niedrig. Auch die Lage auf den Intensivstationen ist entspannt. Der Anteil von COVID-Patienten macht nur 4,3 Prozent aus.
Aber woher kommt diese hohe Impfbereitschaft der Spanier? „Dafür gibt es mehrere Gründe, die vom staatlichen Gesundheitssystem bis hin zum gesellschaftlichen Solidaritätsprinzip reichen“, erklärt der spanische Epidemiologe Manuel Franco. Anders als in Deutschland haben die Spanier keine Hausärzte, sondern lassen sich in öffentlichen Gesundheitszentren behandeln. „Unser Gesundheitssystem ist stark zentralisiert und funktioniert sehr gut.“
Weitreichende Digitalisierung
Das System war bestens auf eine zügige und gut durchstrukturierte COVID-Impfkampagne vorbereitet, versichert Franco. Besonders wichtig war dabei die weitreichende Digitalisierung des Gesundheitswesens. Kaum jemand fiel durchs Raster. Die Gesundheitsbehörden wussten genau, wo wie viele Menschen eine Dosis brauchten. So mussten die Spanier auch keinem Impftermin hinterherlaufen. Sie wurden per Telefon oder SMS über ihren persönlichen Impftermin direkt informiert, erklärt der Epidemiologie von der spanischen Universität von Alcalá und der Johns Hopkins University.
Ein weiterer Grund für die hohe Impfbereitschaft ist das Trauma der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020, die immer noch in den Köpfen der Spanier anhält, meint Amós García Rojas, Präsident der spanischen Gesellschaft für Immunologie. Neben einem besonders harten und langen Lockdown starben in Spanien gleich zu Beginn der Pandemie über 30.000 Menschen an oder mit COVID-19.
Ein weiterer Grund für die hohe Impfbereitschaft ist laut García Rojas zudem die „gesellschaftliche Solidarität mit älteren Menschen in einem Land, in dem viele Generationen heute noch unter einem Dach leben“. All diese Gründe spielen eine wichtige Rolle dabei, dass in Spanien nur 2,5 Prozent der Bevölkerung sich nicht impfen lassen wollen. Impfverweigerer gibt es also kaum in Spanien – geschweige denn organisierte Impfgegnergruppen.
Impftermin per SMS
Ähnlich sieht die Situation im benachbarten Portugal aus. Hier sind 86,4 Prozent aller über 12-Jährigen komplett geimpft, 87,7 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten. Auch in Portugal hat die hohe Impfbereitschaft mit einem ähnlich strukturierten Gesundheitssystem wie in Spanien zu tun. Wer nicht selbst aktiv einen Termin anforderte, erhielt wenige Tage später automatisch eine SMS mit einem Datumsvorschlag.
Generell waren die Portugiesen schon immer eine impfaffine Bevölkerung. Das hat auch damit zu tun, dass Portugal noch bis weit in die 1970er Jahre mit den dramatischen Folgen von Kinderlähmung und Masern zu kämpfen hatte, die aber mit sehr erfolgreichen Impfkampagnen besiegt werden konnten. Seitdem im Februar Vizeadmiral Henrique Gouveia die COVID-Impfkampagne generalstabsmäßig organisierte, stieg das Vertrauen der Portugiesen in die Impfungen.
Es ist aber auch das gesellschaftliche Solidaritätsprinzip eines sehr katholisch geprägten Landes, welches zu einer derart hohen Impfbereitschaft beiträgt. Laut jüngsten Umfragen sehen 80 Prozent der Portugiesen die COVID-Impfung sogar als eine „Bürgerpflicht“ an.