Organspende
Der Mangel liegt am Meldewesen
Die Zahl der Organspender ist in Deutschland seit 2010 um über ein Drittel zurückgegangen. Doch das liegt nicht etwa an der Spendebereitschaft, wie eine Datenanalyse nahelegt – sondern an einem Erkennungs- und Meldedefizit in den Kliniken.
Veröffentlicht:KIEL. Deutschland hat ein Problem mit sinkenden Organspendezahlen. Während es 2010 noch 1296 Organspender gab, waren es 2017 nur noch 797 – das sind über ein Drittel weniger.
Doch liegt der Rückgang tatsächlich am viel diskutierten Vertrauensverlust durch den 2012 bekannt gewordenen Organallokationsskandal?
Forscher um Dr. Kevin Schulte und Professor Thorsten Feldkamp des Uniklinikums Schleswig-Holstein in Kiel wollten das nicht so ganz glauben, da gleichzeitig die Zahl der Bundesbürger, die einen Organspendeausweis besitzen nach einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zugenommen hat (2008: 17 Prozent, 2018: 36 Prozent).
Dabei stehen über 80 Prozent der Deutschen der Organ- und Gewebespende positiv gegenüber.
Sie haben sich daran gemacht, in einer bundesweiten Sekundäranalyse die Organspendesituation in den Kliniken zu analysieren. Dabei haben sie in der Studie, die aktuell im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch Arztebl Int 2018; 115(27-28): 463-8) veröffentlicht wurde, die vollstationären Behandlungsfälle ausgewertet.
Zahl der möglichen Spender steigt
Das Ergebnis: Statt dem erwarteten Vertrauensverlust bei den Bürgern, scheint der Rückgang eher an organisatorischen Abläufen in den Kliniken zu liegen. Denn von 2010 bis 2015 hat sich die Anzahl der möglichen Organspender um 13,9 Prozent erhöht: von 23.937 auf 27.258 (siehe nachfolgende Grafik).
Die Anzahl der organspendebezogenen Kontakte zur Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) nahm im gleichen Zeitraum aber um 18,7 Prozent ab – von 2760 im Jahr 2010 auf 2245 im Jahr 2015.
Die Anzahl der realisierten Organspenden ist sogar um 32,3 Prozent gesunken (von 1296 auf 877). Die Entnahmekliniken sind seit August 2012 dazu verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu benennen und mögliche Organspender an die DSO zu melden, so will es das Transplantationsgesetz.
Unikliniken im Fokus
Um tatsächlich Unterschiede in den Kliniken erfassen zu können, haben die Forscher zudem sechs Universitätskliniken genauer in den Fokus genommen. Insgesamt nahm die Zahl der möglichen Organspender aufgrund der schwierigeren Behandlungsfälle in den Unikliniken von 2010 bis 2015 sogar um 19,2 Prozent zu.
"Damit war die Zunahme deutlich ausgeprägter als im bundesweiten Durchschnitt", so die Studienautoren. Die Anzahl der organspendebezogenen Kontakte sank hier zeitgleich um 21,4 Prozent, die der realisierten Organspenden um 30,5 Prozent.
Dabei erzielten vier Unikliniken Kontaktquoten zur DSO von unter zehn Prozent, eine davon sogar von deutlich unter fünf Prozent. Auch bei den Realisierungsquoten bewegten sich drei Unikliniken auf niedrigem Niveau (unter fünf Prozent, eine sogar unter ein Prozent).
Hätten alle Universitätskliniken 2015 im selben Maße Organspenden realisiert, wie die Uniklinik mit der höchsten Realisierungsquote (16,3 Prozent), dann hätten nach Berechnungen der Forscher allein in den sogenannten "Kategorie-A-Krankenhäusern" bzw. bei den Unikliniken 928 Organspenden umgesetzt werden können.
"Mehr als in dem Bezugsjahr in der kompletten Bundesrepublik", so die Autoren. Bundesweit hätte – basierend auf den vollstationären Behandlungsfällen – durchaus eine Realisierungsquote von 10,2 Prozent erreicht werden können.
Damit hätten 2780 Organspenden realisiert werden können, rechnen die Forscher vor. "Dies entspräche 33,8 Organspenden pro einer Million Einwohner", schreiben sie.
Kliniken verunsichert
Ein denkbares Szenario
2780 Organspenden wären im Jahr 2015 nach Berechnungen von Forschern möglich gewesen – hätte die Realisierungsquote bei zehn statt der tatsächlichen 3,2 Prozent gelegen.
In ganz Deutschland kam es 2015 tatsächlich zu 877 Organspenden.
Exklusiver Gastkommentar: Lesen Sie in unserer App am Dienstag, wie Studienautor Dr. Kevin Schulte die Ergebnisse und die Organspendesituation in Deutschland einschätzt.
Die Unsicherheit besteht nach Einschätzung von Schulte, Feldkamp und Kollegen eher bei den Kliniken: Denn nach Inkrafttreten der Änderung des Transplantationsgesetzes im Sommer 2018 habe die Kontaktquote der Kliniken zur DSO – trotz neuer Meldepflicht – weiter abgenommen (von 2012 bis 2015 um -24,8 Prozent).
Das liege daran, dass das Gesetz offen lasse, wann genau eine Meldung von möglichen Spendern erfolgen müsse. Aber auch der Organspendeskandal habe vorrangig die Ärzte verunsichert, so die Studienautoren.
Als Lösung schlagen sie ein verbessertes Meldeverfahren vor. Das beinhaltet eine bessere Organisation in den Kliniken genauso wie eine politische Stärkung des Meldeverfahrens. Dr. Kevin Schulte plädiert zudem für einen stärkeren Vergleich von und mehr Kontrolle in den Krankenhäusern.
Diese müssten sich im Hinblick auf Organspenden qualitätsorientiert verbessern. Zwar sei die Finanzierung für die Organspende nicht kostendeckend, allerdings könne dies nicht der Grund für die großen Unterschiede in der Studie sein. (mit dpa)
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