Arzneibewertung
Dialog hat längst begonnen
Die Phase der schrillen Töne in Sachen Nutzenbewertung ist Historie: Pharma-Unternehmen sowie Akteure der Arzneimittel-Zulassung und der Nutzenbewertung haben den Dialog aufgenommen. Doch Harmonisierung wird ein Fernziel bleiben.
Veröffentlicht:BERLIN. Rückblick in die 1980er Jahre: Arzneimittelrechtlich war Europa ein Flickenteppich, jedes Land hatte sein eigenes Rechtssystem, Behörden, die nach eigenen Prinzipien arbeiteten. Ein gemeinsamer freizügiger Markt: ein Fernziel für Arzneimittel und deren Hersteller.
Rund zehn Jahre dauerte der Gesetzgebungsprozess, bis die EMA, die Europäische Arzneimittelagentur, in London 1995 startete. Zunächst mit zentraler Zulassung für Biotech-Arzneien.
Heute, 20 Jahre später, gilt das als Erfolgsgeschichte. Gleiche Zulassungsbedingungen in 28 Ländern mit 500 Millionen Einwohnern.
Harmonie und Heterogenität
Die Zulassung neuer Arzneimittel nach den Kriterien Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität wird in einem einzigen Verfahren entschieden - eine enorme Arbeitserleichterung für die Hersteller und Voraussetzung für prinzipiell gleichen Zugang zu neuen Arzneimitteln für die EU-Bürger.
Aber nur im Prinzip. Denn Gesundheitspolitik ist in Europa auch Sozialpolitik - und diese liegt in der Hand souveräner Mitgliedsstaaten mit recht unterschiedlichen sozialen Kulturen und Techniken. Leistungsspektrum und Preisniveau werden national definiert - derzeit mit völlig heterogenen Methoden.
Eine der Ausprägungen davon ist die frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und die sich daran anschließenden Erstattungsverhandlungen zwischen Herstellern und GKV-Spitzenverband.
Eine andere Ausprägung ist das britische NICE, das mit der Methode der qualitätsgewichteten Lebensjahre und einer Kostenobergrenze arbeitet.
Das seien keine kosmetischen, sondern hochkomplexe Probleme mit hoher Relevanz für Patienten, weil letztlich für sie über den Zugang von Innovationen entschieden werde, stellte Thomas Pfeil von BristolMyersSquibb bei einem Symposion des Verbandes Forschender Pharmaunternehmen (vfa) in Berlin fest.
Die Grundlagen für solche nationalen Bewertungsprozesse und -entscheidungen stammen ganz überwiegend aus den klinischen Studien der Jahre vor der Zulassung - Methoden und Kriterien wie Vergleichstherapien, Endpunkte oder anerkannte Surrogatparameter werden zwischen Hersteller und Zulassungsbehörde in einem "early advice" konsentiert.
Es gibt aber eine nicht unbeträchtliche Zahl von Nutzenbewertungsverfahren, bei denen IQWiG und GBA - in unterschiedlichem Ausmaß - aus methodischen Gründen keinen Zusatznutzen anerkennen wollten.
Die Schlussfolgerung für Thomas Müller, Abteilungsleiter Arzneimittel im GBA nach guten vier Jahren Erfahrung ist ein klares Bekenntnis zur frühen Beratung der Unternehmen zur "verlässlichen Information mit einem realistischen Blick auf die Erkenntnismöglichkeiten".
Rückblickend haben auch unterschiedliche Perspektiven von Zulassungsinstanzen und HTA-Institutionen als Hemmnis gewirkt. So ist für den Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, Professor Klaus Cichutek, jedes neue Therapeutikum auch ohne Überlegenheit zu Wert, weil es die Handlungsoptionen der Ärzte erhöht.
Der GBA stellt hingegen auf das Kriterium Zusatznutzen zur Vergleichstherapie ab - und die Kassen bauen darauf ihren Erstattungsbetrag auf.
Teurer Flickenteppich
Streben nach hoher Evidenz in heterogenen System hat aber seinen Preis, so Professor Hans-Georg Eichler, Medical Director der EMA: hohe Kosten und viel Zeitverbrauch. Eine Harmonisierung der HTA-Entscheidungen analog zur Zulassung hält er zwar für unrealistisch.
Aber eine Annäherung der Evidenz-Standards, der methodischen Aspekte und der Praxis des Early Advice seien möglich. Bundesausschuss und IQWiG seien in den gemeinsamen Beratungen der europäischen HTA-Institutionen an vorderster Stelle präsent.
Andere Länder wie Belgien, die Niederlande, Österreich und Luxemburg haben sogar eine Allianz für ihre Erstattungspolitik geschmiedet, so Eichler. Der Dialog zwischen Zulassungs- und HTA-Institutionen ist in Gang gekommen.