Kein Problem zu groß?

Die WHO zwischen Ebola, Chagas und zwanghaftem Sexualverhalten

Pandemien, vernachlässigte Tropenkrankheiten und ICD-11 – die Themenvielfalt der am Montag in Genf gestarteten 72. Weltgesundheitsversammlung ist groß. Die Ebola-Epidemie im Kongo überschattet die große Reform-Show.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Impfen gilt als wirksame Waffe im Ebola-Epidemiemanagement – so auch hier im kongolesischen Mangina.

Impfen gilt als wirksame Waffe im Ebola-Epidemiemanagement – so auch hier im kongolesischen Mangina.

© picture alliance/AP Photo

Im vergangenen Jahr steckte Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus bei der 71. Weltgesundheitsversammlung in Genf als neuer Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seine Claims ab: Künftig sollten die Erfolge der WHO anhand von Milliarden gemessen werden.

Die Delegierten der damaligen „World Health Assembly“ (WHA) verabschiedeten Tedros’ Aktionsplan, wonach eine Milliarde Menschen bis 2023 vor Gesundheitskatastrophen geschützt werden sollen. Eine Milliarde Menschen sollen in Zukunft Zugang zu qualitätsgesicherten Dienstleistungen im Gesundheitswesen haben.

Das Zauberwort lautet universelle Gesundheitsabsicherung, bzw. „Universal Health Coverage“ (UHC). Eine weitere Milliarde Menschen sollen bald Zugang zu Rollstühlen, Hörgerätelösungen, Prothesen und weiteren unterstützenden Lösungen haben, lautete sein drittes Milliardenversprechen. Tedros präsentierte sich – im Gegensatz zu seiner Amtsvorgängerin Dr. Margaret Chan – als jemand, dem kein Gesundheitsproblem rund um die Welt zu groß zum Bewältigen scheint.

Fehler in der Gefahreneinschätzung?

Die Frage ist jedoch, ob die WHO unter Tedros alle relevanten Probleme im Blick hat. Denn bei der 72. Weltgesundheitsversammlung, die an diesem Montag in Genf beginnt, nimmt der von Chan bei der 69. WHA angestoßene WHO-Reformprozess in puncto Pandemiemanagement keinen wirklich prominenten Platz auf der Tagungsagenda ein.

Das sollte sie aber. Denn kurz vor dem Start zieht die immer noch nicht bewältigte Ebola-Epidemie in der Provinz Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo wieder die Blicke der Weltöffentlichkeit auf sich. Am Donnerstag sagte John Johnson, Notfallkoordinator von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF), in einem Interview mit der französischen Tageszeitung „Libération“, dass die internationalen Helfer vor Ort die Kontrolle über die Epidemie verloren hätten.

Das kongolesische Gesundheitsministerium hob am Samstag die Zahl der Todesfälle auf 1198 an. Über 600 weitere Menschen sind an Ebola erkrankt. Die hohe Zahl der Infizierten lässt laut MSF-Koordinator Johnson ein zielführendes Epidemiemanagement nicht mehr zu. Die Helfer vor Ort seien immer öfter Gewaltakten ausgesetzt und viele Kongolesen sprächen sich gegen das Impfen aus.

Warum stockt der Ebola-Kampf?

In einem Interview mit dem britischen „Guardian“ forderte der frühere britische Außenminister und heutige Chef der Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) David Miliband einen Neustart, um die Krise zu bewältigen. Das WHO-Notfallkomitee hatte erst Mitte April entschieden, den aktuellen Ebola-Ausbruch im Kongo nicht als internationalen Gesundheitsnotstand (PHEIC: „Public Health Emergency of International Concern“) einzustufen.

WHO-Generaldirektor Tedros hatte im Rahmen eines Besuches vor Ort im Kongo schnell eine Ursache für das Stottern im Motor der Ebola-Bekämpfungsmaschine ausgemacht: „Wir treten nun in eine Phase ein, in der wir unsere Antwort ändern müssen“, sagte er. Die WHO und ihre Partner könnten die Ebola-Epidemie nicht im erforderlichen Maße fortführen, da die Finanzierung nicht gesichert sei.

Sollte der Kampf gegen die Epidemie also am Geld scheitern – und nicht am Management? Zu Beginn des mittlerweile zehnten Ebola-Ausbruchs in der Geschichte Kongos verkündete der WHO-Generaldirektor noch, dieses Mal sofort reagiert zu haben.

Die mangelnde Reaktionsgeschwindigkeit war – so der internationale Konsens – der Hauptgrund dafür, dass der Ebola-Ausbruch in Guinea, Liberia und Sierra Leone zwischen 2014 und 2016 laut WHO zu 28.610 bestätigten Fällen und 11.308 Todesopfern geführt hatte.

Mit Spannung darf daher erwartet werden, wie der mittlerweile größte Ebola-Ausbruch im Kongo – und vielleicht bald auch in angrenzenden Ländern – von Tedros und seinen Kollegen bei der Tagung in Genf adressiert wird.

Auch positive Signale von Genf zu erwarten

Auf der anderen Seite darf die Ebola-Situation im Kongo aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die WHA noch andere – symbolisch wie wissenschaftlich – wichtige Punkte auf der Agenda hat.

So könnte sie den Weg ebnen, den 14. April zum Welt-Chagas-Tag zu deklarieren. Somit gewönne der auch von forschenden Pharmaunternehmen im Sinne der selbstverpflichtenden Londoner Deklaration von 2012 ernsthaft betriebene Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten an internationaler Aufmerksamkeit.

Die Delegierten sollen auch ihr Go geben für die neuen internationalen Klassifikationen der Krankheiten ICD-11. Die Neufassung hatte die WHO im Juni vergangenen Jahres in Genf vorgestellt.

Erstmals seit 30 Jahren wurde der Katalog grundsätzlich überarbeitet. Die neue Fassung listet rund 55.000 Krankheiten, Symptome und Verletzungsursachen auf. Für die Diagnosen wird es dann neue Codes geben, darunter auch krankhaftes Video- oder Online-Spielen (6C51) und für zwanghaftes Sexualverhalten (6C72).

Lesen Sie dazu auch: Interview: „Was früher Hardcore war, ist heute Blümchensex“

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