Beamte in die GKV

Die Zeche würden vor allem Ärzte zahlen

Die Bertelsmann Stiftung hat die Finanzeffekte durchrechnen lassen, wenn Beamte nicht länger privat versichert wären. Bund und Länder würden bis zu 60 Milliarden Euro sparen – auch auf Kosten der Ärzte.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Gegenfinanzierung: Die Nettoentlastung der GKV entfiele zum Großteil auf die Leistungserbringer, so das IGES-Institut.  © Kai Remmers / dpa Themendienst / picture-alliance  

Gegenfinanzierung: Die Nettoentlastung der GKV entfiele zum Großteil auf die Leistungserbringer, so das IGES-Institut.  © Kai Remmers / dpa Themendienst / picture-alliance  

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KÖLN. Die Bertelsmann Stiftung plädiert für die Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Das würde die Haushalte von Bund und Ländern entlasten, für eine leichte Beitragssenkung in der GKV sorgen und sich für viele Beamtenhaushalte rechnen. Leidtragende wären neben privaten Krankenversicherern (PKV) vor allem Ärzte, deren Einnahmen sich deutlich verringern würden.

Die Bertelsmann Stiftung macht sich schon länger für ein integriertes Krankenversicherungssystem stark. Auch die Anhänger der Bürgerversicherungs-Konzepte bei SPD, Grünen und Linken halten eine Einbeziehung der Beamten in ein einheitliches Krankenversicherungs-Modell für notwendig. Die SPD erwägt sogar, Beamten steuerfinanzierte Zuschüsse für den Beitritt in die Bürgerversicherung zu gewähren.

Zur Untermauerung ihrer Position hatte die Stiftung beim IGES-Institut in Berlin die Studie "Krankenversicherungspflicht für Beamte und Selbstständige" in Auftrag gegeben. Der erste Teil zu den Selbstständigen ist im Sommer 2016 veröffentlicht worden. Jetzt folgt der zweite Teil zu den Beamten. Basis ist das Jahr 2014. Die Forscher gehen davon aus, dass eine Ausdehnung der Versicherungspflicht in der GKV gut zwei Millionen der derzeit privat versicherten Beamten und Pensionäre betreffen würde.

Das entspräche einem Anteil von zwei Dritteln. Weitere 21 Prozent würden freiwillig wechseln, weil der GKV-Beitrag geringer wäre als die PKV-Prämie, schätzen sie. Nach der Simulation verblieben nur etwa 377 000 Beamte in der PKV sowie 89 000 der 980 000 Familienangehörigen, weil ein Wechsel kurzfristig für sie nicht vorteilhaft wäre.

Einbußen über Altersrückstellungen kompensieren?

Ein solcher Umstieg würde laut IGES den Bund im ersten Jahr um 1,6 Milliarden Euro, die Länder um 1,7 Milliarden Euro entlasten. Bis 2030 würde sich die Ersparnis auf gut 60 Milliarden Euro summieren. Zwar müssten Bund und Länder für die gesetzlich versicherten Beamten den in der GKV üblichen Arbeitgeberbeitrag bezahlen, das wäre aber in den meisten Ländern weniger als die Ausgaben für die Beihilfe.

Von der Ausweitung der Versicherungspflicht würden auch die gesetzlichen Kassen profitieren. Laut IGES würden die Mehreinnahmen durch die Beamten die zusätzlichen Ausgaben um 3,4 Milliarden Euro übertreffen, das wären fast 0,34 Beitragssatz-Punkte. Auch die meisten Beamtenhaushalte könnten von dem neuen System profitieren.Klar ist den Autoren, dass der Verlust der Beamten "massive Auswirkungen auf die finanzielle Lage der PKV" hätte.

Zu den Verlierern würden auch Ärzte gehören, die nicht mehr die höheren Vergütungen in der PKV abrechnen könnten. IGES beziffert die Umsatzeinbußen auf 5,7 bis 6,4 Milliarden Euro. "Damit entfällt die ‚Gegenfinanzierung‘ der Nettoentlastungen von GKV, öffentlichen Haushalten und Beamtenhaushalten zum Großteil (rund 85 Prozent) auf die Leistungserbringer in Form von Umsatzeinbußen."

Es sei klar, dass hier Handlungsbedarf entsteht, sagte der Gesundheitsexperte der Stiftung Dr. Stefan Etgeton der "Ärzte Zeitung". Der Vorschlag: In der Studie hatte IGES die Alterungsrückstellungen außen vor gelassen. Sie werden für 2014 bei 3,6 Millionen wechselnden Personen mit 72 Milliarden Euro beziffert. "Die Alterungsrückstellungen könnten genutzt werden, die Einbußen der Ärzte zu kompensieren oder den Übergang zu einer einheitlichen Vergütung für ärztliche Leistungen finanziell zu flankieren."

Nach der Veröffentlichung rief die Studie prompt Reaktionen hervor. BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery kritisierte, dass sich die Autoren "ein Szenario zurecht gezimmert" hätten, das "jeglichem Realitätssinn entbehrt."

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Kommentare
Henning Fischer 11.01.201719:14 Uhr

Zeche zahlen sind wir Ärzte doch gewohnt


nach 25 Jahren drastischer Sparpolitik aller Bundesregierungen

und KBV und BÄK als "Ärztevertretungen".

Die derzeitigen GOÄ-Verhandlungen und die Haltung der Verhandlungsführer sowie das Chaos in der KBV zeigen ganz klar:

es wir noch viel viel schlimmer kommen.

Thomas Georg Schätzler 11.01.201708:37 Uhr

Fiktive Einsparpotenziale in weit über 100 Jahren?

Die Originalfassung der IGES-Bertelsmann Studie
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_VV_KrankenversPflicht_Beamte_Selbststaendige_Teilbericht-Beamte_final.pdf
ist eine klassische Milchmädchenrechnung mit Volksverdummungscharakter.

Dort werden unter "5. Zusammenfassung und Fazit" auf Seite 54 in z. T. kryptischen Ausführungen konfabuliert und formuliert:
"TABELLE 23 - Zusammenfassung der Simulationsergebnisse für die Einbeziehung von Beamten in die GKV
BASISVARIANTE | WECHSELTRÄGHEIT | LANGFRISTIGES KALKÜL | BEIHILFEFÄHIGER TARIF
Anteil Wechsler 88 % | 80 % |94 % | 88 %
Anzahl Wechsler 2,72 Mio. | 2,49 Mio. | 2,90 Mio. | 2,72 Mio."

Unter "Mrd. Euro p. a." werden im Einzelnen beziffert:
"GKV-Nettoeffekt 3,4 | 2,3 | 4,4 | 0,1
Nettoeffekt öffentliche Haushalte 3,2 | 3 | 3,2 | 2
Bund (inkl. Bahn, Post) 1,6
Länder 1,7
Nettoeffekt Beamtenhaushalte 0,6 | 0,5 | 0,5 | –0,5"

Quelle: IGES auf Basis von SOEP-Daten sowie Daten der Statistischen Landesämter, Landesfinanzministerien und Landesrechnungshöfe | Bertelmann Stiftung

Mit anderen Worten: Die Studie der Bertelsmann-Stiftung formuliert in der Öffentlichkeit ein fiktives Einsparpotenzial von 60 Milliarden Euro in der Privaten/Gesetzlichen Krankenversorgung durch Abschaffen der Beamten-Beihilfe, in dem sie in ihrer eigenen offiziellen Zusammenfassung einen Nettoeffekt von nur 0,5 bis 0,6 Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Dieser würde allerdings bei herbeifantasierten Einsparungen von 60 Milliarden Euro erst in über 100 Haushaltsjahren eintreten.

Im Übrigen sind die Begrifflichkeiten "BASISVARIANTE | WECHSELTRÄGHEIT | LANGFRISTIGES KALKÜL | BEIHILFEFÄHIGER TARIF" in der empirischen Sozialforschung nicht definierte Schlagworte.

Fazit:
IGES-Gutachten, insbesondere, wenn sie von der Bertelsmann Stiftung veranlasst wurden, kann man einfach nicht mehr ernst nehmen. Denn sie gehen voreingenommen und tendenziös von einer gerade eben nicht vorhandenen Bürgerversicherung aus.

Man kann durchaus das duale System der Krankenversicherungen mit PKV und GKV (Private und Gesetzliche Krankenversicherung) kritisieren, aber dann müssen Argumente und logisch nachvollziehbare Kritikpunkte formuliert werden.

Bei Umwidmung von PKV- in GKV-Verträge nebst allen Folgen für die Leistungserbringer ist der Zugriff auf Altersrückstellungen der PKV eine verfassungsrechtlich verbotene entschädigungslose Enteignung, auch wenn der selbsternannte "Gesundheitsexperte der Stiftung" Dr. Stefan Etgeton dies lieber verschweigen möchte:

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 14, bedeuten
"(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen."

Über diese Konsequenzen haben IGES und die Bertelsmann Stiftung nicht mal ansatzweise nachgedacht!
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Carsten Windt 11.01.201706:42 Uhr

Rechenakrobatik

Ich kann sehr gut eine Ersparnis für den Staat sehen. Aber das Ergebnis ist eher eine Ersparnis zu Lasten anderer. Viele haben immer das Bild des reichen Beamten oder Pensionäre vor Augen. Tatsächlich könnte dieses nur ab den oberen Besoldungsgruppen des gehobenen Dienstes oder des höheren Dienstes stehen. Das sind aber die wenigsten. Dafür haben Beamte statisch mehr in der als die 1,3 pro Frau im Bundesdurchschnitt. Mehr Kinder bedeutet aber auch mehr Versicherte pro Beitragszahler in der GKV. Knapp die Hälfte der Beamten sind Pensionäre. Bei einer etwas günstigeren Kostenstruktur dürfte auch hier der größte Teil der Leistungen benötigt werden. Eine Rechnung mit vielen Unbekannten, welche die Studie nicht berücksichtigt. Aber wer zahlt dann die Zeche?
Die jetzt GKV-VERSICHERTEN und die Ärzte.
Eine Überführung der Beamten verschärft das demografische Problem und dürfte mehr Leistungen-als durch Beiträge ausgeglichen werden, Kosten. Entweder steigt der beitragssatz oder der Zusatzbeitrag. Aber halt die SPD will ja die Bemmessungsgrenze um 25% erhöhen.
Trotzdem Verlierer sind die Gkv-versicherten und natürlich die Ärzte, die ca 20% Einkommen verlieren.
Herr Lauterbach hat aber auch hier eine Antwort. Für ihn hat die Pkv ein Problem, weil sie nicht einseitig Leistungen kürzen kann. Also zumindest die SPD verspricht schon heute in Zukunft bei Ihrer Bürgerversicherung die Leistungen zusammen zu streichen.

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