Leitartikel zur Organspende

Die große Mühe, Vertrauen aufzubauen

Vor einem Jahr wurde der Skandal um manipulierte Wartelisten aufgedeckt. Seitdem wurden alle Leberprogramm überprüft. Heute werden die Ergebnisse vorgestellt. Doch das Vertrauen in die Organspende schwindet. Ein Berliner Bündnis will das ändern.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Transplantation einer Leber: Manipulationen bei der Beschaffung haben eine Vertrauenskrise ausgelöst.

Transplantation einer Leber: Manipulationen bei der Beschaffung haben eine Vertrauenskrise ausgelöst.

© J.L. MARTRA / Agentur Focus

Das Vertrauen der Deutschen in die Organspende war noch nie sehr hoch. Seit den Skandalen um die Manipulation von Patientendaten ist es jedoch endgültig im Keller. Rund jeder Vierte zeigte bei Umfragen schon vor zwei Jahren keine Bereitschaft zur Organspende im Todesfall. Wiederkehrende Diskussionen kreisen um das Kriterium des Hirntods des Spenders für eine Organentnahme.

Für neue Diskussionen sorgt nun die Praxis der Organvergabe. Der erneute Vertrauensverlust lässt sich an den rückläufigen Spenderzahlen ablesen: Von Januar bis Juni 2013 registrierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gerade einmal 459 Organspender (ohne Lebendspender).

In den Vorjahren seit 2007 bewegten sich die Zahlen um die 600, mitunter auch deutlich darüber. Rechnerisch ist bei ohnehin niedriger Organspendebereitschaft die Zahl der Organspender aktuell um ein Viertel gesunken.

Erklärtes Ziel der schwarz-gelben Bundesregierung war es aber, die Organspendebereitschaft zu steigern. Das ist beinahe parteiübergreifend politischer Konsens. Der Koalitionsvertrag formulierte in diesem Punkt "dringenden Handlungsbedarf", und Untätigkeit kann man Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auch nicht vorwerfen.

Doch gebracht haben die Neuregelungen und Gesetzesänderungen noch nichts. Auch die gesetz-geberischen Reaktionen auf den Transplantationsskandal bleiben bislang wirkungslos gegen die Erschütterung, die der Skandal ausgelöst hat.

Die Berliner Initiative für mehr Transparenz

Mehr Transparenz heißt das politische Rezept gegen den Vertrauensverlust. Darauf setzt in Berlin nun auch ein regionales Bündnis von Vertretern aus Medizin, Forschung, Politik und Verbänden, wie man es in dieser Breite selten sieht.

Das Bündnis will "mit verständlichen Informationen besser aufklären und so dazu anregen, sich bewusst für oder gegen eine mögliche Organspende zu entscheiden. Damit soll die Chance auf ein lebensrettendes Spenderorgan für Betroffene erhöht werden", heißt es in der Absichtserklärung der 15 Erstunterzeichner.

Zu ihnen gehören Landespolitiker fast aller Parteien, einschließlich der Piraten, aber ohne die Linke. Vertreten sind auch die Uniklinik Charité und das Deutsche Herzzentrum. Die Berliner Ärztekammer, die Patientenbeauftragte, die Verbraucherzentrale, die DSO-Regionalstelle und das Forum Organtransplantation finden sich auf der Liste wieder.

Gemeinsam haben sie beschlossen, dass das Berliner Transplantationsgeschehen transparenter und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar gemacht werden soll. Dazu setzen sie unter anderem auf das in Berlin bereits praktizierte Mehraugenprinzip und auf die Entwicklung von Benchmarks und Qualitätskriterien für Transplantationszentren.

Sie streben auch an, dass Ergebnisse und Prüfberichte veröffentlicht werden, und lehnen sogenannte "Chefarzt-Aufschläge" und Doppelmitgliedschaften in Entscheidungsgremien offen ab. "Die Berliner Situation soll zum Vorbild werden, indem über bundesweite Vorgaben hinausgegangen wird", so das erklärte Ziel des Bündnisses.

Doch bislang ist die Berliner Erklärung zur Organspende nur Absicht. Um die angekündigten Schritte umzusetzen, soll ein Beirat gegründet werden, der sich regelmäßig mit dem Berliner Transplantationssystem beschäftigt und Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Einen Zeitplan gibt es nicht. Es ist zu hoffen, dass den Worten bald Taten folgen.

Keine Debatte über Kriterien der Organvergabe

Kurzfristige Erfolge brauchen die Akteure sich jedoch auch dann nicht versprechen. Denn bekanntermaßen ist der Ruf zwar schnell ruiniert. Ihn zu reparieren erfordert aber viel Geduld und eine Vielzahl einzelner Maßnahmen. Vieles ist auf Bundesebene bereits unternommen worden. Das stellen auch die Berliner Bündnispartner nicht in Abrede. Sie wollen nur noch ein Stück weitergehen.

Eine solche regionale Initiative ist als weiterer Baustein zu begrüßen, wenn sie vor Ort konkret und sichtbar wird. Und wenn Berlin dabei eine Leuchtturmposition in Sachen Organspende übernimmt, wie es dem Berliner Kammerpräsidenten Dr. Günther Jonitz vorschwebt, ist auch dagegen nichts einzuwenden. Das kann andere Regionen zur Nachahmung animieren.

So sehr der Wille zur Transparenz über das Transplantationsgeschehen zu begrüßen ist, so sehr fällt eines negativ auf: Die Kriterien für die Organvergabe stehen scheinbar sakrosankt da. Die Argumentation der Verteidigung beim Prozessauftakt gegen den Göttinger Arzt wirkte derart dreist, weil sie diese Kriterien offen angriff.

Tatsächlich stellen sich jedoch immer mehr Menschen die Frage, ob wirklich diejenigen die Spenderorgane erhalten, die sie am dringendsten brauchen. Mithin wird Deutschland um eine ethische Debatte über die Vergabekriterien kaum herumkommen, wenn das Vertrauen in die Organtransplantation wieder wachsen soll.

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